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Glenfiddich Musik-Wettbewerb
Der Dudelsack und die Tiefen der schottischen Seele

Schlachtengesänge, Märsche oder Lieder für gefallene Soldaten: Trauer und Würde kann kaum ein Instrument so klagend vortragen wie ein schottischer Dudelsack. Beim wichtigsten Musikwettbewerb in den schottischen Highlands - dem Glenfiddich Piping Championship - messen sich die besten Spieler auf Blair Castle.

Von Detlef Urban | 09.04.2017
    Ein Dudelsackspieler in den Farben des Clans MacBeth spielt im Hochland bei Glen Coe in Schottland für die Touristen, aufgenommen am 09.07.2005.
    Die Dudelsackspieler in den schottischen Highlands transportieren mit ihrer Musik die blutige Geschichte des Landes. (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Eine Lindenallee hinauf geht es zum Schloss. Moos auf Ästen und Zweigen und sattes Grün auf der Weide, in neblig fahlem Licht laben sich Schafe und ein paar Rehe. Der Goldene Oktober weht die klagenden Töne eines Dudelsackpfeifers herüber, noch wetteifern sie mit den Nebelkrähen. Wir sind auf dem Weg zum wichtigsten Musik-Wettbewerb in den schottischen Highlands: dem Glenfiddich Piping Championship.
    Blair Castle ist ein weiß getünchtes größeres Jagdschloss mit Türmen und Zinnen, Anbauten für das Gesinde, im Ostflügel ein großer Ballsaal. Kanonen vor der Tür bezeugen, dass die Dukes of Atholl vom Clan Murray es ernst meinten. Hier floss viel Blut. Mondäne Wellingtonia, Riesenmammut-Bäume, und den Exerzierplatz vor dem Schloss lassen wir vorerst hinter uns.
    Der Dudelsack ist auch bei Schulkindern ein populäres Instrument
    Man zahlt zehn Pfund Sterling Eintritt und darf sich treiben lassen in die Tiefen der schottischen Seele. Im Rittersaal, ausstaffiert mit Hirschgeweihen rundum, mit Panzerhemden und Rüstungen verstorbener Dukes und nobler Ritter, Speere und Lanzen an den Wänden, ein Galloway-Stierkopf an der Stirnseite, über allem die Colours, die Regiments-Fahnen und Standarten des Hauses Atholl.
    Und auf der Bühne präsentieren sich zehn exzellente Musiker in zwei Kategorien: Märsche und Tänze und dann Pibrochs, klassische Musik. "Dudelsack" zu sagen, klingt etwas despektierlich gemessen an dem, was man hier hört. Nennen wir sie also korrekter "Sackpfeife" oder "Great Highland Bagpipe".
    "Im Moment ist Bag Piping sehr populär und trendy in Schottland. Besonders für Schulkinder durch die mitreißende Spielweise von Pipers wie Fred Morrison oder Gordon Duncan. Das hat wirklich die jüngere Generation animiert. In den Schulen gibt es gute Lehrer, und auch in der Armee wird Piping unterrichtet. Egal, wie alt man ist, man findet überall einen Platz zum Lernen."
    Seit dem 16. Jahrhundert hört man die Highland Bagpipe auf Schlachtfeldern
    Stuart Letford ist selbst Piper und Redakteur der Zeitschrift "Piping Times". Er stimmt sein Instrument: ein Sack, englisch "bag" – original aus Schafsfell, heute oft aus Gortex - in den der Spieler Luft einbläst und mit dem Unterarm herausdrückt, um die Melodie-Flöte und die zwei aufrecht stehenden Tenor- und eine Bassflöte zu bespielen. Die Schottische Sackpfeife spielt man auf einer Oktave, meistens B-Dur. Tenor- und Bassflöten werden eingestimmt und erzeugen einen permanenten Unterton.
    Stuart Letford: "Die Highland Bagpipe ist laut und durch die britische Armee populär geworden. Ab dem 16. Jahrhundert war sie auf den Schlachtfeldern zu hören: die Jakobite Army und die Regimenter der schottischen Clans haben sie benutzt. In anderen Ländern gibt es ähnliche Instrumente, sie sind aber leiser und für festliche Anlässe bestimmt: die Musette de Cour in Frankreich etwa, die Gaita in Galizien und Asturien, die Zampogna in Italien oder die Säckpipa in Schweden. Auf der Great Highland Backpipe werden zwar auch Tänze gespielt, aber in erster Linie wurde sie für Märsche eingesetzt und für Schlachtengesänge, Salut und Trauerlieder für gefallene Soldaten."
    Der Wettbewerb auf Blair Castle dauert zehn Stunden
    "Scotland the Brave", Schottland, Du Tapfere - ist die heimliche Nationalhymne, wird manchmal bei Fußballspielen geblasen und darf auf keiner Parade der Schottischen Garde und bei keinem großen Military Tattoo fehlen.
    Zehn Stunden dauert der Wettbewerb in Blair Castle. Zeit, sich die Füße zu vertreten und zu hören, welche Eindrücke andere Besucher haben. Erstaunlich, eine Gruppe von Arabern:
    "Wir kommen aus Oman und sind hier, weil wir selbst Spieler sind und in Glasgow am National Piping Center studieren. Ich spiele schon lange in Oman, seit 27 Jahren."
    Die Schotten brachten die Dudelsack-Kultur mit nach Kanada
    Jack Lee ist einer der zehn Musiker, die heute spielen. 2003 hat er bereits den Glenfiddich Piping Wettbewerb gewonnen. Er ist Kanadier aus der Nähe von Vancouver, ein wahrer Experte, der sein Brot verdient mit Bagpipe-Unterricht überall auf der Welt:
    "Piping ist in Kanada verbreitet, natürlich nicht wie in Schottland. Aber die Schotten besiedelten unser Land und brachten ihre Kultur mit, und somit auch die Bag-Pipes. Wenn Du besonders die Pibrochs magst, dann gibt es nichts Besseres als Blair Castle und das Glenfiddich-Championship."
    Meditative Musik mit einem Timbre aus Bass- und Tenorflöten
    Ich hatte erwartet, dass fünf Stunden mittelalterlicher Sackpfeifen-Musik eine Strapaze würden, doch es kommt anders: die Konzentration überträgt sich, mit der jeder Musiker eine halbe Stunde lang solo sein Stück auf der Bühne vorträgt, versunken auf- und abschreitend, in Kilt und Blazer, mit dem Glengarry auf dem Kopf, dem Schiffchen der Hochlandregimenter. Mit dem Timbre aus Bass- und Tenorflöten erhält die Musik etwas Meditatives.

    Eine irisierende Musik, fluktuierend und fragil wirkt sie, die hohen Töne scheu dahin fliegend, immer wieder geerdet in dem stabilen Fundament der ewigen tiefen Drones. "Lament for the Children" heißt dieser Klassiker, 1650 geschrieben. Und wie das Land, so liegt der Ursprung des Liedes im Nebel und hat verschiedene Legenden.
    Die jährliche Parade zu Ehren der Atholl Highlander Privatarmee auf Blair Castle in Schottland Ende Mai. 
    Die Parade zu Ehren der Atholl Highlander Privatarmee findet auf jedes Jahr Ende Mai auf Blair Castle statt. (imago / Andre Poling)
    Eine ist: Der Komponist MacCrimmon soll sieben seiner acht Kinder innerhalb eines Jahres verloren haben, verendet an einer damals unbekannten Krankheit – wahrscheinlich die Pocken, die auf die Insel Skye eingeschleppt worden waren. Eine andere Legende sagt: Das Lied erzähle die Geschichte vom Chief of Glencamaron, dessen drei Töchter ein Bad nahmen im Schlossteich. Zehn Minuten später fand der Chief sie alle drei am Ufer. Sie waren tot. Was auch immer der Anlass war: Trauer und Würde kann kaum ein Instrument so klagend vortragen wie eine Highland Bagpipe.
    "Keltische Erzählstruktur - ohne Anfang und Ende"
    Hier sitzt die Musikszene beisammen, und auch ich werde gefragt: "Are you a piper?" Nein, bin ich nicht, aber mich fasziniert das Spiel auf diesem so einfach anmutenden Instrument. Die Tonerzeugung auf der Bagpipe ist an sich schon ein Abenteuer für die Solisten. Im letzten Teil des Stücks wird die Melodie mit angerissenen Sechzehntel-Tönen verwoben. Das können nur die Besten.
    Stuart Letford: "Der gälische Name dafür ist Crun lua - die Krönung. Wir nennen es Feuerwerk. Du spielst weiterhin das Thema, und jeder weiß, du kommst jetzt zum Ende, musikalisch könntest du aber auch weitermachen, an den Anfang gehen und das gesamte Lied noch mal spielen. In dieser Musik finden wir somit eine keltische Erzählstruktur, ohne Anfang und ohne Ende. "
    Blair Castle ist älter als der älteste Pibroch und hat wegen seiner strategischen Lage immer eine Schlüsselrolle gespielt: Von hier kontrollierten die Dukes of Atholl und die verbündeten Clans den Norden und Westen der schottischen Highlands. In Reichweite liegen bekannte Schlachtfelder wie Killecrankie. Das Haus Atholl war aber durchaus gespalten: für und gegen die britischen Könige, für und gegen Maria Stuart, für und gegen Protestantismus oder Katholizismus. Geschichte ist in Blair Castle zum Greifen nahe.
    Die schottische Geschichte ist blutig
    "Das hier ist das Schlafzimmer von Lord George Murray, der dieses Schloss seines Vaters, einem Königstreuen, beschossen hat."
    Er sei ein militärisches Genie gewesen, meint Stuart Letfort. Hätte Bonnie Prince Charly Edward Stuart ihn die alte schottische Kriegstaktik doch nur in der Schlacht von Culloden anwenden lassen, dann stünde Schottland heute vielleicht ganz anders da. Die Armeen der Clans hätten niemals im Flachland gekämpft, Angriffe kamen immer von einer Anhöhe aus. Die Regimentsfahne hoch, Attacke, Kampfesgeschrei, Kanonendonner und Sackpfeifen hätten die britische Armee eingeschüchtert, den Hügel hinab, die Kleidung abgeworfen, halbnackt – so sahen richtige Highlander-Attacken aus.
    Die vor Schreck erstarrten Gegner sahen das Grauen kommen, kamen nicht einmal zum Nachladen und wurden in Stücke gehackt. So lief das normalerweise, aber eben in Culloden bei Inverness 1746 nicht, Historiker fanden dafür vielfältige Gründe. Stuart Letfort aber trauert in der Verklärung einzig dem militärischen Genie Lord George Murray nach. Eine Schlacht in der Ebene, das konnte nicht gut gehen. Die Folge war eine krachende Niederlage für die Schotten, das Ende der Clans, der Sieg der Engländer.
    Die schottische Geschichte ist blutig. Vom Teesalon an Dutzenden Hirschgeweihen und an einem Gemälde vorbei, vom Marqueze of Montrose.
    Der Dudelsack erinnert die Schotten an ihre Geschichte
    Stuart Letford: "An etliche dieser historischen Ereignisse werden die Schotten durch die Musik der Bagpipers erinnert, vor allem durch die klassischen Pibrochs. Wenn es diese Musik nicht gäbe, hätten wir unsere Geschichte wohl längst vergessen."
    Durch Stuck verzierte Salons mit Intarsien-Kommoden und Sekretären hin zur Waffensammlung. Die meisten Musketen und Gewehre sind aus deutscher Fabrikation, erfahre ich. Aha, waren wir schon damals gute Waffenlieferanten. Eines aber hat Blair Castle auf Dauer gewonnen, und zwar von Queen Victoria, die hier öfter zu Gast war.
    Weil sie von der Schlossgarde gut bewacht wurde, verlieh Queen Victoria den Atholl Highlanders den Status eines herzoglichen Regiments, stattete sie mit den colours aus, den Farben – soll heißen mit der Regimentsfahne – und so sind die Atholl Highlanders mit ihren knapp 100 Mann noch heute die letzte Privatarmee Europas.
    Was denn auch hinlänglich zelebriert wird, immer Ende Mai, mit Parade und Appell vor dem Schloss, dann reist der amtierende Duke aus Südafrika an, natürlich von den Atholl Highland Bagpipers begrüßt, die zur Freude der zahlreichen Besucher zeigen, wie gut sie marschieren und salutieren können.
    Wir aber wollen uns verabschieden von Blut und Schlachten und Privatarmee und stellen uns vor, wie fröhlich in den Highlands getanzt wird, nach der Musik einer Scottish Bagpipe.