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Gletscherschmelze
Warum sich der Anstieg der Meeresspiegel verzögert

Das Abschmelzen der antarktischen Gletscher lässt den Meeresspiegel ansteigen, derzeit um 3,4 Millimeter pro Jahr. Doch dieser Prozess führt gleichzeitig dazu, dass sich der Untergrund der abschmelzenden Gletscher anhebt - und dadurch den Anstieg der Meeresspiegel wieder ausgleicht.

Von Dagmar Röhrlich | 29.04.2019
Die Front des Thwaites-Gletschers mit Eis unter der Wasseroberfläche im Südwesten der Antarktis im Oktober 2012.
Der Thwaites-Gletscher schmilzt - sein Untergrund reagiert auf die Entlastung durch das geringere Gewicht und hebt sich (picture alliance / Nasa / Jim Yungel )
Derzeit steigt der globale Meeresspiegel um 3,4 Millimeter pro Jahr an. Und es sind nur ein paar Eisströme, die aus der Westantarktis ins Amundsenmeer münden, die fast zehn Prozent dazu beitragen. Diese Gletscher schieben sich weit auf das Meer hinaus, so dass das vergleichsweise warme Tiefenwasser ihr Eis von unten her angreifen und abschmelzen kann.
Wenn große Eismassen abschmelzen
"Beim Meeresspiegelanstieg geht es aber nicht nur um das reine Abschmelzen des Eises. Das Tempo wird durch die komplizierteren Prozesse mitbestimmt, die in der Zone ablaufen, in der sich die Gletscher aus ihrem Bett lösen und aufschwimmen. Denn Eis ist schwer und drückt den Untergrund nach unten. Schmilzt es, entlastet es den Untergrund - und der steigt auf. Wenn große Eismassen abschmelzen, wird auch das lokale Gravitationsfeld schwächer, wodurch sich das Wasser zurückzieht."
Diese beiden Ausgleichsbewegungen sorgen also lokal für ein Absinken des Meeresspiegels relativ zum Gletscherbett, erläutert Eric Larour vom Jet Propulsion Laboratory der NASA im kalifornischen Pasadena. Und damit dürften beide Effekte den globalen Meeresspiegelanstieg verlangsamen.
"Wir haben uns deshalb das Geschehen in der 'Aufschwimmzone' mit hoher räumlicher Auflösung angeschaut. Derzeitige Modelle berücksichtigen nur Ausgleichsbewegungen, die über lange Zeiträume ablaufen, nämlich über die Jahrtausende hinweg. Wir hingegen haben uns für die Auswirkungen der schnellen, elastischen Bewegungen interessiert, die unmittelbar mit der Entlastung einsetzen."
Gebiet hebt sich um fünf Zentimeter jährlich
Zur "Laborratte" für die Untersuchung dieser schnellen Ausgleichsbewegungen haben die Wissenschaftler den Thwaites-Eisstroms in der Westantarktis erkoren. Denn der ist derzeit allein für rund vier Prozent des jährlichen globalen Meeresspiegelanstiegs verantwortlich. Die Zone, in der er aufschwimmt, zieht sich inzwischen um fast einen Kilometer pro Jahr zurück, und das Gebiet, in dem er liegt, hebt sich in diesem Zeitraum um etwa fünf Zentimeter. Das Ergebnis der Simulationen:
"Der Untergrund des Thwaites-Gletschers reagiert sofort auf die Entlastung. Deshalb läuft sein Beitrag zum Meeresspiegelanstieg etwas langsamer ab als angenommen. Zunächst einmal, bis 2100, ist der Unterschied zwischen unseren und den gängigen Simulationen gering, liegt nur bei ein bis zwei Prozent. Im Jahr 2350 schlagen die Effekte der schnellen Ausgleichsbewegungen dann schon mit 20 bis 30 Prozent zu Buche - wir würden also 20 bis 30 Jahre Zeit gewinnen. "
"Für die Menschheit ist beides schlecht"
Diese Effekte werden bei allen antarktischen Gletschern, die aufs Meer hinaus strömen, eine Rolle spielen. Doch damit sie spürbar wirken, muss bereits sehr viel Eis geschmolzen sein. Die Gnadenfrist kommt am Ende der Entwicklung, wenn die Welt den Hauptanstieg bereits erlebt hat. Trotzdem sei die Arbeit seiner Kollegen sehr wichtig, betont Eric Steig von der University of Washington: Sie helfe, die Prozesse besser zu erfassen.
"Diese Arbeit legt die Messlatte für künftige Simulationen zum Verhalten antarktischer Gletscher sehr hoch, und der Effekt wird - über alle antarktischen Gletscher betrachtet - noch größer sein. Allerdings: Ob der Meeresspiegel in 300 Jahren nun um 2,80 Meter oder um drei Meter angestiegen sein wird: Für die Menschheit ist beides schlecht."