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Glocken
Läuten heute

Traditionell wurden Kirchenglocken von Hand geläutet. Körperliche Schwerstarbeit, wenn man beispielsweise die 25 Tonnen des Dicken Pitter im Kölner Dom in Schwingung bringen muss. Deshalb ist dort seit 1902 eine der ersten elektrischen Läuteanlagen in Betrieb, erfunden, gebaut und immer noch gewartet von den Herforder Elektromotoren Werken.

Von Remko Kragt | 11.04.2014
    Der "Dicke Pitter", die größte Glocke des Kölner Doms, wird seit 1902 elektrisch geläutet - wenn nicht gerade der Klöppel zur Reparatur muss ...
    Der "Dicke Pitter", die größte Glocke des Kölner Doms, wird seit 1902 elektrisch geläutet - wenn nicht gerade der Klöppel zur Reparatur muss ... (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    "Also dies sind hier unten die ganzen Knöpfe für die Glocken," Küsterin Christine Franke zeigt in einem in der Kirchenmauer eingebauten Schrank auf die beleuchteten Druckknöpfe, mit denen sie die Turmglocken bedient: "Dies ist die Automatik. Wenn es morgens, mittags, abends läutet, ist das alles schon einprogrammiert im Kasten und das läutet dann automatisch. Wenn ich aber per Hand läuten muss, drücke ich dann einfach nur auf den Knopf und dann gehen die Glocken los."
    Muskeln braucht sie zum Läuten keine. Elektromotoren treiben die Glocken an, die Schlagfrequenz regelt eine Elektronik. Dass das so einfach funktioniert, hat sie einem Gespräch zu verdanken, das zwei Brüder vor mehr als hundert Jahren führten. Der eine, Friedrich Bokelmann, hatte im Jahr 1892 die Herforder Elektrizitätswerke - HEW - mit gegründet. Das Unternehmen versorgte die Stadt Herford mit Strom. Der andere war Pastor irgendwo im Westfälischen. Der hatte die Idee, den neuen elektrischen Strom auch für das Läuten seiner Kirchenglocken zu nutzen.
    So wurde Friedrich Bokelmann zum Erfinder der Läutemaschinen, erzählt Detlev Urbigkeit, Verkaufsleiter beim inzwischen in Herforder Elektromotoren Werke umbenannten Unternehmen: "Eine der ersten war ausgeliefert worden zum Kölner Dom. Da haben wir 1902 eine Läuteanlage geliefert. Da konnten wir dann drei Glocken mit läuten, aber auch die große Glocke hauptsächlich - den Dicken Pitter, wie sie genannt wird, weil die 25 Tonnen hat."
    "Eigentlich nicht kaputtbar"
    Zwei Jahrzehnte später entwickelte HEW die ersten elektrischen Steuerungen für die Geläute: "Was die Robustheit angeht, sind diese Steuerungen eigentlich nicht kaputtbar."
    Seit 1978 baut HEW elektronische Schaltungen ein, die mehr Möglichkeiten bieten. Mit den Läutemaschinen erwirtschaftet das Unternehmen etwa 40 Prozent seines Umsatzes, über dessen Höhe Detlev Urbigkeit sich allerdings ausschweigt. Bestellt werden die Läuteanlagen vor allem dort, wo eine mitteleuropäische Läutekultur, wie es Detlev Urbigkeit nennt, gepflegt wird: "Wir liefern also Österreich, Deutschland, Skandinavien. Dann liefern im Ausland dorthin, wo eben diese mitteleuropäische Läutekultur gepflegt wird. Das ist hauptsächlich da, wo viele Auswanderer mal hingegangen sind: Argentinien, Chile, Venezuela, Süd-Afrika, da gibt es ja richtig deutsche Kolonien. England zum Beispiel ist für uns kein Markt, weil die einen anderen Läuterhythmus haben - Bimm-bamm-bommbomm-Bimm-bamm-bommbomm - was wir elektrisch gar nicht nachvollziehen können."
    Der Markt der Läutemaschinen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert: "Wir haben natürlich in der Nachkriegszeit einen erhöhten Nachholbedarf gehabt. Man muss das auch so sehen: Es kamen ja auch sehr viele Menschen, Flüchtlinge herüber. Es wurden in rein evangelischen Bereichen neue Kirchen gebaut oder in rein katholischen Bereichen wurden dann Kirchen gebaut und wir haben also in den 50er- und 60er-Jahren sehr, sehr gut zu tun gehabt."
    Instandhaltung und Sanierung
    Neue Kirchen werden heute kaum noch gebaut. Zwar werden hier und da noch neue Steuerungen gebraucht, etwa wenn Stahl- und Eisenglocken aus der Nachkriegszeit gegen Bronzene ausgetauscht werden. Aber das Geschäft hat sich verlagert:
    "Diese Anlagen - 50er- und 60er-Jahre - sind ja auch schon 50 und 60 Jahre alt, und wir sind zur Zeit dabei, die damals ausgelieferten elektrischen Läuteanlagen zu sanieren. Das ist unser Geschäft zurzeit."
    Rund 50.000 Glocken betreut HEW. Von insgesamt 85 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen arbeiten 29 in der Läutemaschinen-Abteilung. Knapp zwei Drittel von ihnen sind für die Wartung der Glocken unterwegs. Dafür braucht das Unternehmen vor allem vielseitige Mitarbeiter: "Wir stellen gerne Leute ein, also gerade speziell im Servicebereich, die Elektriker gewesen sind, also elektrische Ausbildung gehabt haben. Unsere Monteure müssen alles beurteilen, sie müssen die Elektrik beurteilen, sie müssen die Mechanik beurteilen, sie müssen auch in der Lage sein, Schlosserarbeiten auszuführen, in der Arbeitsplatzanforderung ist das sehr vielschichtig und daher auch sehr interessant."
    Vier Kräfte arbeiten in der 10.000 Quadratmeter großen Produktionshalle, in der eine Seite für die Läutemaschinen reserviert ist. Hier geht es hauptsächlich um Endfertigung. Die Komponentenherstellung, etwa das aufwendige Wickeln der Motorenanker, hat HEW nach Kroatien ausgelagert.
    Mechanische und elektronische Komponenten füllen Regal um Regal. Dazwischen: ein Glockenstuhl aus Doppel-T-Trägern. Darin eine mächtige Glocke, verziert mit einem Bibelzitat. "Der Gerechte wird seines Glaubens leben."
    Der am Glockenstuhl montierte Antriebsmotor wirkt dagegen winzig. Viel Kraft müsse er auch nicht erzeugen, sagt Detlev Urbigkeit: "Die Maschine hat also 0,75 KW, mehr hat die nicht, also das ist relativ wenig, ist aber eine zwölfpolige Maschine. Ich brauche ja auch die Kraft eigentlich nur beim Anläuten um die Glocke aus der Ruhestellung zu bringen und wenn die Glocke ihren Ausschwungwinkel erreicht hat, dass die Glocke auf Ausschwunghöhe gehalten werden kann."
    Und die erreicht die Glocke tatsächlich ziemlich schnell, beweist die Vorführung.