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Glosse zur WM 2018
Kaskade der Katachresen

"Am Ende entscheidet ja das Spiel", meint Fußballexperte Thomas Hitzlsperger im deutschen Fernsehen. Grund genug für Satiriker Jürgen Roth, pünktlich zum Ende der WM einen strengen Blick auf die Floskelhaftigkeit deutscher Fußball-Fernsehberichterstattung zu werfen.

Von Jürgen Roth | 15.07.2018
    Thomas Hitzlsperger, Matthias Opdenhövel, Stefan Kuntz, Alexander Bommes und Hannes Wolf bei der ZDF und ARD-Fußball-WM-Pressekonferenz im Empire Riverside Hotel.
    Thomas Hitzlsperger Matthias Opdenhövel Stefan Kuntz Alexander Bommes und Hannes Wolfsind sind das Team der ARD bei der WM. (imago sportfotodienst)
    Da die hochherrliche CDU-Politikerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor ein paar Monaten in die Welt hinausgekräht hatte: "Wir sind dann stark, wenn wir alle unsere Wurzeln bespielen", "bespielen" jetzt auch all die Kickbolzen dieses affenscharfen Globus ständig inständig und inbrünstig wenn nicht Wurzeln, so doch "Räume", "Gegner" und "Bälle" – zumindest in den Worten unserer sehr starken Fernsehfußballfachfabulanten.
    Damit nicht genug. Pausenlos sind, so haben wir’s vier Wochen lang ununterbrochen vernommen, selbst sobald wir wegzuhören versuchten, diese auf dem Rasen Herumrennenden "griffig", "on fire" und "vogelwild" - warum nicht wildvogelig? Zumal in einer "brutalen Situation", aus der "man sich" münchhausenmäßig "herausholen muß", vermutlich "um der Ausrechenbarkeit entgegenzutreten".
    Ein Porträt von Jürgen Roth.
    Ein Porträt von Jürgen Roth. (picture-alliance/ dpa / Hermann Wöstmann)
    Und zwar mit Hilfe von "Tempoleuten", die die altehrwürdigen "Stehgeiger" aufs Altenteil geschickt haben, zwecks des Erzielens eines "Dosenöffners", meint: eines Tors, und sei’s halt durch eine "Umschaltbewegung" in einer "Umschaltsituation", in der sich der "Umschaltmoment" als "Umschaltchance" erweist, weil "das Umschaltspiel im Kopf" – so sah’s der sagenhafte Alexander Ballabommes – volles Rohr hinhaut, so daß der "Umschaltball" dann dort landet, wo der Torwart, der nicht rechtzeitig umgeschaltet hat, hernach blöd hinschaut – im Netz.
    Einwurf des TV-Experten Hannes "’n bißchen normaler" Wolf: "Du kannst ja trotzdem umschalten." Eben. Notfalls auf, jubelte der Kommentator Oliver Schmidt, "Perus kollektiven Umschaltfußball". Von diesem torturartigen technizistischen, tiefere Kenntnis vortäuschenden Gelaber abgesehen: Im vergangenen Monat ward erneut, als habe es Hegels Weltgeist verfügt, in befeuerter Sprachlosigkeit alles, was wir Minderbemittelten ohnehin auf dem Schirm sahen und hatten, abermals und abermals bewortet und ein drittes Mal begriffskleckernd vollgetextet und zugespachtelt.
    "Gelber geht’s kaum."
    Immerzu "kreierte" da irgend jemand gottgleich "Ballbesitz" oder sogar "eine Ballbesitzphase", das mirakulöse "Momentum" nutzend, und sofern nüscht oder wenig los war, purzelten die windschiefen, abbruchreifen Sprachbilder endlos durcheinander, ja paradierten wie besoffen und aufgebläht verblödelt durch die Gegend. Verehrte Hörer, seien Sie wacker! Here we go!
    "Da geht er ganz hübsch zur Sache." Reizend! "Er hat den Weg im Tempo mitgemacht." Klasse! "Welchen frischen Wind kann das jetzt hier für Australien bedeuten?" Keine Ahnung. Einen Meteorologen fragen. "Er läßt den Ball noch mal scharf werden." Mit Chili? "Gelber geht’s kaum." Fürwahr nicht. Und die Blaue Blume der Romantik prangte nie grüner. "Er probiert den Ball zu bekommen – innerlich." Man muß einen Ball auch schlucken können! "Wichtig, daß die Mauer aktiv ist" – und davoneilt.
    Zwischenfrage: Ist Gerd Gottlob, dessen Stimme ständig eine Quint nach oben schnellt, Wolff-Christoph Fuss? Oder ist Wolff-Christoph Fuss Tom Bartels?
    Zum Voland mit all den Fernsehfritzen!
    Weiter im teuflischen Text. "Er ist in der ballnahen Szene beschäftigt." Welche obskure politische Gruppierung mag das sein? "Sie müssen in die Struktur kommen." Oder ist es nicht vielmehr besser, "daß man", wie Oliver Welke zaunpfahlwedelte, "mal die Strukturen wegsteckt vor so einem Spiel"? – "Messi hat sich den Ball bereits plaziert." War’s nicht einst so, daß man plaziert wird?
    Egal. Jedenfalls, "da wird der Fuß leichter mit der Zeit", und so "schiebt er nach vorne", yeah! Yo, Mann, "er geht ins Risiko", total, hurra! Und was tut er da, wenn er im Risiko angelangt ist? Erspäht er "die kleine Klarheit"? Um "in die Konter zu kommen"? Wir wissen’s nicht, verehrte Hörer. "Sie unternehmen alle möglichen Ideen", unsere superstarken TV-Dösbaddel, und all ihre Ideen werden uns ewiglich verschlossen bleiben.
    Halten wir uns deshalb an den tatsächlich tadellosen Oliver Kahn, der in der Pause des Achtelfinales Belgien – Japan eingestand: "Ich verstehe diese WM nicht mehr. Vielleicht habe ich auch einen Soccer-Overload." Oder wir halten uns an Hannes Wolf, dem zum gefallenen Engel Lionel Messi einfiel: "Die Karriere war trotzdem ganz gut." Gott sei es gedankt. Und zum Voland mit all den Fernsehfritzen!