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"Glück ist der einzige Sinn des Lebens"

Für seine Autobiographie brauchte der englische Schriftsteller William Somerset Maugham – schon zu Lebzeiten in das Wachsfigurenkabinett der Madame Toussaud aufgenommen – mehrere Bände. Darin fand sich nicht nur die Darstellung eines äußerlich glanzvoll geführten Lebens, sondern auch zahlreicher innerer Lebensverhinderungen, die ihn produktiv machten und in die Welt hinaustrieben.

Von Christian Linder | 16.12.2005
    Als berühmtester Schriftsteller seiner Zeit lebte William Somerset Maugham seit 1929 standesgemäß in einer Villa in Cap Ferrat bei Nizza, in der die berühmtesten Zeitgenossen dem Hausherrn ihre Aufwartung machten, Winston Churchill ebenso wie Grace Kelly und Jean Cocteau, das Herzogpaar von Windsor ebenso wie die Könige von Schweden und Siam.

    Maughams Leben: eine Legende. Als die Legende neunzig Jahre alt wurde, belagerten Hunderte von Journalisten die schöne alte Villa mit dem Namen "Mauresque", und dem durch seine intimen Fernsehreportagen bekannten Journalisten Georg Stefan Troller, spezialisiert auf Sonderlinge, denen er ihre angebliche Kenntnis vom Geheimnis des Lebens zu entlocken versuchte, gelang es auch, zu William Somerset Maugham vorzudringen.

    Sein weltweiter Erfolg, der Reichtum und das gelebte Leben, vermutete man vielleicht, habe sich in dem 90jährigen gesammelt zu einem Ich, das man auch außerhalb der Bücher vorzeigen konnte: Hier bin ich, William Somerset Maugham. Und dann kam auf die typische Troller-Frage "Sind Sie glücklich, würden Sie alles noch einmal erleben wollen?" - die Antwort:

    "Ich habe mehr gelitten als ich mich gefreut habe. Viel mehr. Wenn ich mein Leben neu leben könnte, würde ich sagen: nie wieder. Ich hatte alles gegen mich. Ich hatte dieses Stottern, dass mir alles verpatzt hat. So viele Dinge. Ich bin ausgelacht worden von den Menschen, weil ich stotterte."

    Das Stottern hat Maugham selber darauf zurückgeführt, dass er, geboren am 25. Januar 1874 in Paris als vierter Sohn eines englischen Rechtsanwalts, nach dem frühen Tod der Eltern bei Verwandten "abgegeben" wurde, bei einem Onkel, Pfarrer in der Grafschaft Kent. Der junge Maugham, ein hochtalentierter Schüler, rebellierte gegen die innere und äußere Einsamkeit nicht nur durch sein Stottern, sondern flüchtete in zahlreiche Krankheiten, so dass ihn seine Tante nach Deutschland schickte, nach Heidelberg, damit er in der Fremde der Welt vielleicht etwas von seiner eigenen Fremdheit verliere. In Heidelberg lernte Maugham Deutsch.

    "Ich kann nie vergessen, dass ich das glücklichste Jahr meines Lebens in Heidelberg verbracht habe. Es war das erste Mal, dass ich Freiheit genießen konnte, mit der Kunst in Berührung kam und schließlich das erste Mal verliebt war."

    Zurück in England, versuchte Maugham sich in verschiedenen Berufen, wurde Steuerberater, studierte dann Medizin und wurde Arzt, bis er zu schreiben anfing.

    "Mein Leben begann unter schwierigen Umständen. Die ersten zehn Jahre als Berufsschriftsteller habe ich nur hundert Pfund verdient pro Jahr."

    Plötzlich wurden dann vier Theaterstücke von ihm gleichzeitig in London uraufgeführt, darunter "Lady Frederick", und der Erfolg war da. Auch mit den folgenden Romanen und Kurzgeschichten kam er nun bei einem großen Publikum an, wenn ihm auch der Respekt der Kritik versagt blieb. Maugham sei letztlich doch nur ein Unterhaltungsschriftsteller. Das wollte er aber auch sein, wollte gelesen werden, und gelesen wurde er auf der ganzen Welt – wie viele Generationen außerhalb Englands haben bei der Lektüre Maughams Englisch gelernt.

    Kurzgeschichten wie "Rain", Romane wie "Des Menschen Hörigkeit" strahlten in klassisch einfachem Englisch, wobei die Geschichten in einer abenteuerlich-zauberhaft-pittoresken Welt spielten, die der Weltreisende Maugham aus naher Anschauung kannte, die Welt der Südsee, Indiens, Russlands. Ein glanzvolles äußeres Leben dank 80 Millionen verkaufter Buchexemplare, und doch auch ein Leben im Versteck: So hat Maugham, mehrfach verheiratet, lange seine homosexuellen Beziehungen nur heimlich leben können, aus Angst vor dem Schicksal eines Oscar Wilde. Maugham brauchte sich nur irgendwo in der Welt aufzuhalten, und schon hatte er eine neue Geschichte in den Händen:

    "Ich kann keine Stunde in irgendeiner Gesellschaft verbringen, ohne Material aufzunehmen für eine Geschichte."

    Er könne keine Stunde in irgendeiner Gesellschaft verbringen, ohne Material aufzunehmen für eine Geschichte. Von solchen Geschichten ist seine Autobiographie voll. Ob er etwas in seinem Leben bedaure, wurde Maugham von Georg Stefan Troller gefragt. Maughams Antwort, knapp zwei Jahre vor seinem Tod in Nizza am 16. Dezember 1965:

    "Georg Stefan Troller: Glück sei der einzige Sinn des Lebens, haben Sie geschrieben.
    William Somerset Maugham: Habe ich das wirklich gesagt? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber ich glaube, das ist vielleicht wahr."