Freitag, 19. April 2024

Archiv


Glückliche Heimkehr

Von Kriegsgefangenschaft waren im Zweiten Weltkrieg etwa 35 Millionen Menschen betroffen. Allein auf deutscher Seite gerieten 11 Millionen Soldaten in mehr als 20 verschiedenen Ländern in Gefangenschaft. Mehr als drei Millionen waren in sowjetischen Lagern interniert. Dort überlebte jeder Dritte die Gefangenschaft nicht. Am 22. Juli 1946 kehrten die ersten deutschen Soldaten aus der sowjetischen Gefangenschaft heim.

Von Monika Köpcke | 22.07.2006
    "Wir rufen den Heimkehrer Max Schumann, wohnhaft Leipzig 0-27, Steinmetzstraße 27."

    " Lieber Mickl, es grüßt Deine Hertha. Es ist mir noch immer unfassbar, dass Du einer der ersten Heimkehrer bist, und ich freue mich herzlich auf Dein Kommen."

    "Großer Bahnhof" in Leipzig. Ein Sonderzug bringt die ersten aus sowjetischer Gefangenschaft freigelassenen Männer in ihre Heimatstadt. Musik, Blumen und Erfrischungen empfangen die Heimkehrer. Und ihre sehnsüchtig wartenden Angehörigen.
    "Lieber Vati, als Begrüßungsschmaus koche ich Dir einen ganz großen Topf Kartoffelsuppe mit Pilzen."

    Es ist der 22. Juli 1946, und gerade einmal 60 Männer sitzen im ersten Heimkehrerzug. Sie kehren als graue, ausgemergelte Gestalten aus der Gefangenschaft zurück. Sie leiden an Unterernährung, Tuberkulose, Ödemen und Leberzirrhose. Und dennoch haben sie Glück. Denn noch immer befinden sich über drei Millionen deutsche Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Sie sollen beim Wiederaufbau des geschundenen Landes helfen.

    Die deutschen Truppen hatten bei ihrem Rückzug systematisch zerstört, was ihnen in den Weg kam, die Ernten vernichtet, die Dörfer verbrannt. Die Sowjetunion braucht Menschen, die arbeiten können, nicht solche, die versorgt werden müssen.

    So ist es nur konsequent, dass die Kranken und Arbeitsunfähigen als erste nach Hause kommen. Es existieren keine längerfristigen Rückkehrpläne. Von heute auf morgen wird entschieden, wer den Heimkehrertransporten zugeteilt wird und wer nicht.

    "Wir rufen den Heimkehrer Friedrich Tarant, wohnhaft Leipzig 22, Reginenstraße 6."

    "Lieber Fritz, hier spricht Deine Käthe, wir warten mit Schmerzen darauf, dass Du nun immer bei uns sein wirst. Der Tag Deiner Heimkehr wird für mich, Rolf und Klein-Ursula ein Festtag sein."

    April 1947: Die Außenminister der vier Alliierten treffen sich in Moskau. Zwischen den Siegermächten herrscht bereits Kalter Krieg, daran ändert auch dieses Treffen nichts. Doch in einem Punkt kommt es zu einer überraschenden Einigung: Bis Ende 1948 sollen alle Kriegsgefangenen heimkehren. Die westlichen Alliierten halten sich an die Abmachung. Die meisten ihrer Kriegsgefangenen kommen noch im Laufe des Jahres 1947 nach Hause.

    Nur in der Sowjetunion bleiben nach Ablauf der Frist weiterhin eineinhalb Millionen Soldaten in Gefangenschaft. In den sowjetischen Lagern sind die Lebensbedingungen besonders hart. Während beispielsweise die Engländer und Amerikaner ihre Gefangenen mit ausreichender Verpflegung und angemessener Kleidung versorgen, herrscht in der Sowjetunion unter weitaus härteren Witterungsbedingungen Hunger.

    Die Einheimischen leiden genauso darunter wie die Kriegsgefangenen. Beide erhalten in der Regel die gleichen Lebensmittelrationen. Seit 1949 ändert sich die sowjetische Rückkehrpolitik. Entscheidend ist nun nicht mehr die Arbeitsfähigkeit, wie dieser ehemalige Kriegsgefangene dem NWDR berichtet:

    "Das entscheidende Wort sprechen nicht mehr die Ärzte und Arbeitsinspektoren, sondern einzig und allein die für die Lager zuständigen NKWD-Offiziere. Leute, die nach russischen Maßstäben als belastet gelten, werden festgehalten, selbst wenn darunter Todkranke, Krüppel und Greise sind."

    Alle deutschen Gefangenen, die bis Ende 1948 nicht nach Hause gekommen waren, wurden in zweifelhaften Massenprozessen pauschal zu Kriegsverbrechern gestempelt. Dennoch kehrten die meisten von diesen 60.000 Männern bis 1953 in ihre Heimatorte zurück.

    Diejenigen, die es in die neu gegründete DDR verschlug, mussten das Erlebte für sich behalten - es wäre ihnen als strafbare 'Propaganda gegen die Sowjetunion’ ausgelegt worden. Sie sollten das Vergangene so rasch wie möglich abstreifen und sich klaglos in die neue Welt einfügen.

    "Ein tüchtiger Facharbeiter ist schon seines Lohnes wert und sehr begehrt. Ein schönes Gefühl, wieder ein Glied in der Welt der Werktätigen zu sein mit der Freude an einem interessanten Beruf."

    Auch in Westdeutschland wurden die Empfangsrituale im Laufe der Jahre immer bescheidener. Die grauen Kriegsheimkehrer passten nicht so recht in die allgemeine Geschäftigkeit nach der Währungsreform. Vielen von ihnen fehlten die Voraussetzungen zum Leben in dieser an Erfolg und Leistung orientierten Freiheit. Auch in der jungen Bundesrepublik interessierte man sich nicht für ihre Geschichten, sind sie doch Teil einer Vergangenheit, die die meisten Bundesbürger schnell hinter sich bringen wollten.

    "Liebe Landsleute, Heimkehrer aus dem fernen Osten. Das Grußwort, das ich für das deutsche Volk zu sprechen habe, kann ganz einfach sein: Ein herzliches Willkommen!"

    Bundespräsident Theodor Heuss im Oktober 1955. Im Herbst dieses Jahres bekamen die Kriegsgefangenen eine letzte Welle öffentlicher Anteilnahme. Im September 1955 war Adenauer in die Sowjetunion gereist, wo sich noch immer 10.000 deutsche Soldaten in Gefangenschaft befanden.

    Die sowjetische Führung nutzte sie als Faustpfand für politische Verhandlungen, denn sie wünschte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik. Im Austausch hierfür versprach Chruschtschow die Freilassung der Inhaftierten. Er hielt sein Wort: Bis Ende 1955 kehrten die letzten deutschen Kriegsgefangenen in die Bundesrepublik zurück. Nun war der Krieg auch für sie zu Ende.