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Gnade für die lebende Legende

Als der Nachtzug nach London im August 1963 ausgeraubt wurde, machten die Gangster fette Beute im heutigen Wert von etwa 40 Millionen Euro. Die meisten Posträuber waren schnell gefasst, darunter auch der legendärste: Ronald Biggs. Dieser allerdings floh klassisch mit einer Strickleiter nach einigen Monaten im Gefängnis. Nach 35 Jahren auf der Flucht stellte er sich 2001 der britischen Justiz. Nach mehreren Schlaganfällen scheint es nun, dass er bald begnadigt werden könnte.

Von Martin Zagatta | 23.02.2009
    Seine Gnadengesuche sind alle abgelehnt worden. Nun allerdings scheint der bekannteste Verbrecher des Königreichs das Gefängnis doch verlassen zu dürfen. Die Freilassung von Ronald Biggs sei nur noch eine Formalie, heißt es aus Justizkreisen. Der schwerkranke Posträuber soll noch vor seinem 80. Geburtstag im Sommer entlassen werden, bestätigt sein Sohn Michael.

    Der Bewährungsausschuss und die Gefängnisbehörden hätten bereits Kontakt mit ihm aufgenommen, und wenn alles klappe, könne sein Vater schon in den nächsten Wochen freikommen. Die Behörden wollten dem Todkranken nun doch noch die Reststrafe für den "Raub des Jahrhunderts" erlassen. Ronald Biggs war zwar nicht der Anführer der Bande, die im August 1963 den Postzug von Glasgow nach London überfallen und dabei 2,6 Millionen Pfund erbeutet hat, nach heutigem Wert mehr als 40 Millionen Euro. Doch der einstige Bauarbeiter, der wie seine Komplizen schnell gefasst wurde, ist zum berühmtesten der Posträuber geworden, mit seinem Ausbruch aus einem Londoner Gefängnis und seiner Flucht um die halbe Welt.

    "Der Vater eines in Brasilien geborenen Kindes kann Gott sei dank nicht ausgeliefert werden". "

    So lachte Biggs am Strand von Copacabana in eine Kamera des britischen Fernsehens, als ihn Scotland Yard in Rio de Janeiro aufgespürt hatte. Über Australien war er nach Brasilien geflohen, nachdem er sich zuvor in Paris einer Gesichtsoperation unterzogen hatte. Als ihn sein langjähriger Verfolger Polizei-Superintendent Jack Slipper in der Stadt am Zuckerhut verhaften wollte, da war Biggs brasilianische Freundin schon schwanger. Der gewiefte Ganove, in dem viele Briten einen liebenswerten Taugenichts sehen, hatte seinen Häschern erneut ein Schnippchen geschlagen.

    Der Überfall auf den Postzug wurde mehrfach verfilmt und die Räuber werden bis heute oft als "Gentlemen-Gangster" verklärt.

    ""Wir waren wie in einem Glücksrausch als wir das Geld hatten und um die Beute herumgetanzt sind"

    so Biggs Mitte der 90er Jahre in einem Interview mit dem Deutschlandradio. Er würde das wieder tun und bedauere nichts - oder fast nichts: Es tue ihm nur leid, dass der Lokführer bei dem Überfall auf den Kopf geschlagen und verletzt wurde.

    Seinen Anteil von 148.000 Pfund hat der Millionendieb - so behauptet er - für die Flucht ausgegeben. In Rio hat sich Biggs Jahrzehnte lang damit über Wasser gehalten, britische Touristen zu empfangen, gegen Entgelt mit ihnen zu feiern und sich mit ihnen fotografieren zu lassen - ein Leben, das 2001 ein jähes Ende hatte. Nach zwei Schlaganfällen, gebrechlich und pflegebedürftig, hat Ronald Biggs sich entschieden, doch noch zurückzukehren in seine Heimat, wo zumindest seine gesundheitliche Betreuung gesichert war, - eine Heimkehr, die von der Boulevardzeitung "Sun" organisiert und vom britischen Fernsehen direkt übertragen wurde.

    "Wir waren damals alle etwas naiv, sagt Mike Sullivan von der "Sun". Wir dachten, er würde nach zwei oder drei Jahren freikommen und begnadigt werden". Eine Fehleinschätzung. Biggs, der nicht mehr sprechen und kaum noch gehen kann, sitzt nun fast schon acht Jahre in Haft auf der Insel. Die britischen Behörden, die der berühmte Posträuber so lange an der Nase herumgeführt hat, sind hart geblieben und haben sich Zeit gelassen mit seiner jetzt absehbaren Begnadigung.