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"GoEast"-Filmfestival in Wiesbaden
Zwischen Einwanderung, Politik und Finanzkrise

Von Kirsten Liese | 28.04.2015
    Es ist einige Zeit her, dass die ehemals jugoslawischen Länder cineastische Meisterwerke hervorbrachten. Die international bekanntesten Vertreter sind wohl immer noch die beiden Serben Emir Kusturica und Miki Manoljevic.
    Umso stärkere Beachtung verdiente in Wiesbaden die kroatisch-slowenische Koproduktion "The Reaper - Der Sensenmann". Sie überragte den Spielfilmwettbewerb. Landschaften, die in ihrer Einsamkeit an den amerikanischen Maler Edward Hopper erinnern, und sehr subtile zwischenmenschliche Begegnungen zeichnen den "Sensemann" aus.
    Der noch am Anfang seiner Karriere stehende Regisseur dieses Films, Zvonimir Juric, hat mit diesem Werk auch die Festivalleitern Gabi Babic beeindruckt:
    "Das ist ein Regisseur, der in seinen Arbeiten schon auch kontinuierlich die Postkriegsgesellschaft thematisiert. 'The Reaper' ist eine Geschichte über eine Gesellschaft 20 Jahre nach einem Krieg mit grandiosen Schauspielern. Und ich find eben, dass Zvonimir Juric es schafft, auf eine sehr subtile Art und Weise und einer Regie, die sehr präzise ist und einer Geschichte, die sich in einer Nacht abspielt, ein Psychogramm abzuliefern einer ganzen Gesellschaft, diesen Zustand zwischen Krieg und Frieden."
    Unheimlich wie ein Thriller setzt "The Reaper" ein, nachts, auf einer verlassenen Straße. Eine Frau hat eine Autopanne, ihr ist das Benzin ausgegangen. Ivo, ein Traktorfahrer, der zur späten Stunde noch arbeitet, zeigt sich bereit, ihr zu helfen. Er fährt mit ihr zu einer Tankstelle, wo sie erfährt, dass Ivo einmal zum Vergewaltiger wurde, wenn auch vor 20 Jahren.
    Das mulmige Gefühl wächst, als die Frau trotz ihrer Todesangst wieder auf den Traktor steigt und nicht bemerkt, wie der Fahrer ihren Autoschlüssel heimlich entwendet. Erst wesentlich später stellt sich heraus, dass die Sehnsucht nach etwas menschlicher Wärme den vereinsamten Mann dazu bewogen hat. Aber der scheue Kontaktversuch scheitert, der Tankstellenwart hetzt Ivo im falschen Moment die Polizei auf den Hals.
    In den Wettbewerbsbeiträgen des 15. Wiesbadener "GoEast" spiegelten sich auch aktuelle Krisen wie die im Zuge von hohen Staatsverschuldungen wachsende Armut. Nicht nur in Osteuropa hat sie längst auch die Bildungselite erreicht:
    "Bei 'Lesson' haben wir ein sehr intensives psychologisches Porträt, das einen packt und mitreißt, wo es gar keine Möglichkeit gibt, sich von der Hauptdarstellerin zu distanzieren, und der georgische Film 'Credit Limit' von Salomé Alexi zeigt diesen Kreditwahnsinn, in den sich eine Frau von Klein- und Kleinstkrediten begeben muss, um ihren Alltag irgendwie noch zu finanzieren, und das ganze Groteske, was darin steckt."
    Die bulgarisch-griechische Koproduktion "The Lesson" ist sowohl hinsichtlich der Handlung als auch der dichten Erzählweise der ungleich stärkere Film. Ganz ohne Musik erzählen Kristina Grozeva und Petar Valchanov von einer Lehrerin, die in eine Spirale von Katastrophen gerät, als ihr die Schulden über den Kopf wachsen. Als ihr nichtsnutziger, fauler Mann auch noch das letzte Geld versoffen hat, droht die Zwangsversteigerung ihres Hauses. Tapfer entwirft die besonnene Frau immer neue Strategien, um das Schlimmste zu verhindern. Doch am Ende kann sie ihre hohen moralischen Ansprüche, die sie stets auch an ihre Schüler gestellt hat, nicht mehr aufrechterhalten.
    Im Dokumentarfilmwettbewerb fand Želimir Žilniks "Logbook Serbistan" große Aufmerksamkeit, ein Pamphlet gegen die restriktive europäische Einwanderungspolitik.
    "Hier haben wir einen Film, der wirklich nochmal mehr erzählt und mehr zeigt, und auch diese Menschen anders partizipieren lässt auch an dem Prozess des Filmschaffens selber."
    Der Leiter eines Asylbewerberheims in einer serbischen Kleinstadt behandelt die Flüchtlinge etwas schroff, viele Serben zeigen sich ihnen gegenüber aber durchaus hilfsbereit.
    Die Ansprüche und Einschätzungen einiger Migranten stimmen allerdings auch nachdenklich. So unterstellt etwa ein Schwarzafrikaner den reichen Industriestaaten, sie würden den Ebola-Virus nur bekämpfen, um die hohen Flüchtlingszahlen zu minimieren. Er hält es für erstrebenswerter, sich eine Zukunft in Westeuropa aufzubauen, als daran zu arbeiten, dass das Leben in seiner Heimat lebenswerter wird.
    Mit solchen diskussionswerten Beiträgen hat sich das Wiesbadener "GoEast" weiter politisiert. Seine Bedeutung wächst damit in der Festivalszene: Es fungiert nicht mehr nur als wichtige Plattform für die Filmkunst aus Mittel- und Osteuropa, sondern auch als ein Forum, auf dem brisante aktuelle Debatten weitergeführt werden.