Dienstag, 16. April 2024

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Göring-Eckardt glaubt nicht an Schwarz-Grün

Vier Jahre lang mit der Union zu regieren ist für die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt nach dem ersten Sondierungsgespräch nicht vorstellbar. Man sei beispielsweise bei der Klimapolitik noch weit auseinander. Über die Flüchtlingsfrage will Göring-Eckardt beim zweiten Treffen verhandeln.

Christoph Heinemann im Gespräch mit Katrin Göring-Eckardt | 11.10.2013
    Christoph Heinemann: Wenn es mit dem "King of Kotelett" gereicht hätte, dann brauchten die Grünen mit "Mutti" nicht zu reden. Es hat für Rot-Grün aber nicht hingehauen, deshalb saßen 14 Schwarze und acht Grüne gestern zusammen. Sie haben nicht verhandelt, vielmehr sondiert, also ausgelotet, ob Schnittmengen ausreichen. Für die Grünen gilt: je südwestlicher gemessen wird, desto größer die Gemeinsamkeiten. Der einzige grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält eine Zusammenarbeit mit der Union durchaus für denkbar. Anderen Grünen bereitet diese Vorstellung Bauchschmerzen. Und apropos Bauch: Jens Spahn, Gesundheitspolitiker der CDU, hat beide möglichen Koalitionen einmal folgendermaßen anatomisch verortet.

    O-Ton Jens Spahn: "Mein Herz sagt Schwarz-Grün, mein Verstand Schwarz-Rot in diesen Tagen. Ich fände das mutig, das mal zu probieren. Allerdings haben die letzten Monate es nicht eben leichter gemacht mit dem Linkskurs der Grünen."

    Heinemann: Mit von der Partie war gestern Katrin Göring-Eckardt, die frisch gewählte Co-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Morgen.

    Katrin Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie.

    Heinemann: Und, waren die gestern nett zu Ihnen?

    Göring-Eckardt: Es war völlig sachlich und es war sehr inhaltsreich und es war ein Gespräch, wo man einfach sagen kann, da haben sich zwei Parteien getroffen, die nach einem Wahlkampf ausloten wollen, ob man miteinander eine Regierung bilden kann, was vorher beide Parteien definitiv nicht angestrebt haben. Das kann ich für uns sagen, aber das kann man ja auch für die Union sagen.

    Heinemann: Beschreiben Sie uns den Inhaltsreichtum.

    Göring-Eckardt: Wir sind ja nicht durchgekommen, deswegen gibt es ja auch ein zweites Gespräch. Wir haben über Europapolitik sehr lange gesprochen. Das ist ja auch eines der zentralen Probleme, die jetzt anstehen, die die nächsten vier Jahre bestimmen werden. Sie wissen, dass wir bei den Hilfspaketen in der Vergangenheit zugestimmt haben, aber trotzdem in vielerlei Hinsicht andere Vorstellungen haben. Ich nenne ein Beispiel mit dem Altschulden-Tilgungsfonds. Über solche Fragen haben wir gesprochen. Wir haben natürlich über die Klimaschutz-Politik geredet, haben unsere Vorstellungen dort deutlich gemacht. Und nicht gekommen sind wir zu so was wie Beschäftigung, Teilhabe, Gerechtigkeit. Auch bei der Finanzpolitik haben wir das nur angerissen, auch übrigens bei der Frage offene Gesellschaft, Migration, Flüchtlinge sind wir nur sehr kurz dazu gekommen zu sprechen.

    Heinemann: Frau Göring-Eckardt, haben Sie persönlich seit gestern Appetit auf Schwarz-Grün?

    Göring-Eckardt: Nein. Um Appetit geht es da auch nicht, ehrlich gesagt. Es geht um etwas, was wir nicht wollten, was die CDU nicht wollte und wo wir jetzt ausloten, ob es für vier Jahre eine stabile tragfähige Regierung geben kann. Und ich kann jetzt nach gestern Abend nicht sagen, dass ich eine Vorstellung davon habe, dass man das vier Jahre tun könnte. Ich kann mir das bei den Punkten, über die wir geredet haben, nicht vorstellen, weil wir da auch letzten Endes nicht so konkret geworden sind, dass man sagen kann, da gibt es jetzt eine Annäherung, und natürlich erst recht nicht bei den Punkten ...

    Heinemann: Was steht konkret im Wege?

    Göring-Eckardt: Nein, ich würde jetzt gar nicht sagen, das oder das steht konkret im Wege, sondern da sind zwei Parteien aufeinandergetroffen, die auch in diesen Fragen sehr weit auseinandergehen. Ich will gerne ein Beispiel machen. Wir haben gesagt bei der Klimaschutz-Politik, man muss definitiv eine CO2-Reduzierung haben. Man muss definitiv dafür sorgen, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz so funktioniert, dass tatsächlich die erneuerbaren Energien einen Vorrang haben, natürlich immer so, dass der Strom am Ende auch bezahlbar bleibt. Wir haben natürlich deutlich gemacht – und das machen wir seit Wochen, das war jetzt gestern Abend auch ganz sicher für niemanden eine Überraschung -, dass wir auf europäischer Ebene CO2-Begrenzungen haben, die die Bundeskanzlerin im Moment gerade noch einmal aufgeschlagen hat, und insofern sind, gerade wenn es um die Klimaschutz-Politik geht, natürlich sehr unterschiedliche Vorstellungen beieinander, auch wenn wir zur Kenntnis genommen haben, dass die Bundeskanzlerin unter anderem auf dieses Thema sehr gut vorbereitet gewesen ist.

    Heinemann: Bei der Energiepolitik erleben die Verbraucher ja gerade, wohin eine ideologische Fixiertheit führt. Die Stromrechnung kennt in Deutschland nur eine Richtung, nämlich aufwärts. Ist doch schön, wenn die Union da ein bisschen bremst.

    "Da sind zwei Parteien aufeinandergetroffen, die auch in diesen Fragen sehr weit auseinandergehen"
    Göring-Eckardt: Ja, das ist nicht ideologisch, sondern es geht ja allen gemeinsam darum, dass der Strom bezahlbar bleibt und dass wir im Moment eine Situation haben, dass wir sehr, sehr viele Ausnahmen für Unternehmen haben. Für die ist der Strom sehr gut bezahlbar, insbesondere dann, wenn sie sehr große Unternehmen sind, weil nämlich der Preis dort gar nicht in die Höhe gegangen ist. Auf der anderen Seite zahlen Verbraucherinnen und Verbraucher ein System, was mit den erneuerbaren Energien nur zum kleinsten Teil zu tun hat, sondern was damit zu tun hat, dass der Börsenpreis auf der einen Seite sinkt und auf der anderen Seite dieser Börsenpreis nicht weitergegeben wird.

    Heinemann: Und genau das versteht ja kein Mensch. Ist das schon Sozialismus, die Preise fallen, die Herstellungskosten fallen offenbar, und die Verbraucherpreise steigen, weil der Staat den Anbietern Preise garantiert, die der Markt eben nicht hergibt?


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    Göring-Eckardt: Ich hatte ja gerade gesagt, der allerkleinste Teil dieser Steigerungen hat etwas zu tun mit den erneuerbaren Energien. Das ist inzwischen auch völlig unstrittig. Wir wissen aber natürlich alle gemeinsam, dass es nicht sein kann, dass insbesondere es sich jetzt lohnt, dass Kohlestrom produziert wird, sogar Braunkohlestrom. Ich glaube, da muss man jetzt nicht sozusagen eine neue ideologische Schleife drehen, nach dem Motto, daran sind die erneuerbaren Energien schuld, sondern da ist echter Reformbedarf angesagt. Und dass die Frage des Klimaschutzes und der neuen Energien auch nicht nur eine ist, wo man irgendwie an kleinen Schräubchen dreht, sondern wo es um eine Generationenfrage, wo es ja auch um eine Überlebensfrage geht, das ist für uns eine der zentralen Fragen, die man in solchen Gesprächen natürlich weiter ausloten muss. Da sind wir auch nicht fertig damit.

    Heinemann: Würde die Union sofort unterschreiben?

    Göring-Eckardt: Das würde die Union, glaube ich, nicht sofort unterschreiben, weil die Frage auf der anderen Seite ja immer ist, wir schauen uns Regierungshandeln an, wir schauen uns an, dass die CO2-Begrenzung auf europäischer Ebene, die die anderen europäischen Länder ja wollen, von Deutschland im Moment gestoppt und blockiert wird, und dass wir nicht nur jetzt im Moment solche Grenzen brauchen, sondern sie auch mit weiter Sicht dann auf europäischer Ebene vereinbaren müssen. Da hilft es ja auch nichts, wenn wir auf einer Insel Europa handeln. Das gehört dazu und insofern wird das die Union nicht unterschreiben, jedenfalls nicht im praktischen Handeln gerade in diesen Tagen.

    Heinemann: Frau Göring-Eckardt, von ihrem Staatsverständnis her stehen die Grünen der Union wahrscheinlich näher als der doch stärker staatsorientierten SPD. Die Kernenergie trennt sie jetzt auch nicht mehr. Besteht der Rest bei Lichte besehen nicht aus Peanuts?

    Göring-Eckardt: Nein, das besteht nicht aus Peanuts. Wenn Sie über Staatsverständnis reden, dann meinen Sie wahrscheinlich – und das würde ich sofort unterschreiben -, dass Bündnis 90/Die Grünen eine Partei sind, die nicht der Auffassung sind, dass der Staat immer schon weiß, was gut für den Einzelnen ist, sondern dass es individuelle Selbstbestimmung geben muss.

    Heinemann: Die Verbraucher hören das gerne, Stichwort Veggieday.

    Göring-Eckardt: Ja, dafür braucht es Voraussetzungen, und die Voraussetzungen haben mit Gerechtigkeit zu tun, die haben mit Zugängen zu tun, das hat damit natürlich zu tun, dass nicht jeder die gleichen Voraussetzungen hat, um individuelle Freiheit auch zu leben. Über den Veggieday können wir gerne auch jeden Tag noch wieder reden, aber es war eben gerade keine Vorschrift, sondern es war ein Anreiz, der geschaffen werden sollte, und auch da geht es ja nicht um irgendwie einen kleinen Anreiz, sondern es geht um die Frage, was bedeutet der massenhafte Fleischkonsum, den wir in Deutschland haben, vor allen Dingen ökologisch, aber natürlich auch, was die Gesundheit angeht, aber hier auch keine Vorschrift.

    Aber wenn Sie über Staatsverständnis auf der anderen Seite reden und wenn man sich die Union anguckt, auch wenn man sich die CSU und die CDU anguckt, dann geht es eben doch häufig nicht darum, dass es da um individuelle Freiheit geht für alle, sondern eben nur für einige. Und da sind wir eine Partei, die sagt, da gehört auch Gerechtigkeit dazu bei den Voraussetzungen für die Freiheit und da gehören Zugänge dazu, da gehören Aufstiegschancen dazu. Da gehört dazu, dass Migrantinnen und Migranten in unserem Land so leben können, dass sie sich zuhause fühlen, übrigens dass auch Menschen hier herkommen, die wir dringend brauchen, die Fachkräfte sind, und dass die auch das Gefühl haben, Deutschland ist ein Land, in dem man gut leben kann, dass die zweite, dritte Generation von Einwanderern nicht wieder weggeht, weil sie den Eindruck haben, sie können woanders besser leben. Willkommenskultur ist da ein wichtiges Stichwort, über das wir geredet haben, über das auch weiter zu reden sein wird.

    Heinemann: Genau, zum Beispiel am nächsten Dienstag. Und was passiert dann genau? Dann kommen Sie zusammen und anschließend werden Sie sagen, es reicht nicht?

    Göring-Eckardt: Und anschließend werden wir uns zusammensetzen und das analysieren, was da auf dem Tisch liegt. Über Flüchtlinge beispielsweise haben wir auch nur in zwei Sätzen gesprochen, auch das wird weiter ein Thema sein. Und wir haben am nächsten Wochenende Parteitag und wir werden unserer Partei dann eine Empfehlung geben, und wie die aussieht, das können wir dann am nächsten Dienstag entscheiden, wenn wir noch weiter und vertiefter gesprochen haben.

    Heinemann: Katrin Göring-Eckardt, die Co-Fraktionschefin der Grünen im Deutschen Bundestag. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch herzlich. Auf Wiederhören.

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