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Goldveedelsaga

Die "Goldveedelsaga" von Gesine Danckwart ist eine ortsspezifische Performance im Kölner Agnesviertel. Schauspieler spielen vor den Zuschauern auf der Straße, so dass sich Fiktion und Wirklichkeit vermischen.

Von Dina Netz | 08.10.2011
    Schauspieler und Publikum der "Goldveedelsaga" stehen auf einem Platz im Kölner Agnesviertel, der eigentlich keiner ist, eher die Kreuzung dreier Straßen. Und außer der Kirche St. Gertrud, in den 60er-Jahren von Gottfried Böhm gebaut, gibt es wahrlich nichts Besonderes: zwei Kneipen, Friseur, Imbiss, Kiosk, ein paar Gründerzeit- und ein paar 50er-Jahre-Häuser. Die Akteure schärfen den Blick der Zuschauer für das, was die Augen normalerweise höchstens streifen.

    "An den Straßenlampen Beschriftungen und kleine Hilferufe. Neben 'Family Hair' Hausnummer 59: moosgrüne Kacheln mit meist rosafarbenen Graffiti. Krefelder, Ecke Balthasarstraße: Briefkasten für Briefe zum Reinwerfen."

    An diesem Abend ist der Platz, der keiner ist, der "Mittelpunkt der Welt", wie Robert Dölle als Zeremonienmeister Roger selbstbewusst ankündigt, es ist ja der Schauplatz der "Goldveedelsaga". Veedel ist das kölsche Wort für Stadtviertel, etwas dem Gold Ebenbürtiges sollen die Zuschauer vielleicht entdecken, und eine Saga erzählt Gesine Danckwart eigentlich nicht. Die Inszenierung ist eher eine Art personenbezogene Viertel-Führung oder ein "Open Air-Museum", wie es einmal ganz treffend heißt.

    "Goldveedelsaga. Bitte bleiben Sie hier auf dem Platz. Wir führen Sie weiter."

    Die Zuschauer haben Kopfhörer auf, über die sie Anweisungen erhalten und Geschichten erzählt bekommen. Jeder Schauspieler nimmt eine Gruppe mit vor oder in ein Haus und erzählt die Geschichte seiner Figur. Maik Solbach zum Beispiel als beseelter Organist Claas ist kaum zu bremsen in seiner Begeisterung für die Kirche St. Gertrud. Birgit Walter spielt eine Frau, die sich nicht entscheiden kann, ob sie heute noch ausgehen soll und dabei über Leben, Tod und Einsamkeit nachdenkt. Gesine Danckwart hat diesen Figuren kleine philosophische und sehr poetische Texte geschrieben, wie zum Beispiel der Kellnerin Mira (Marie Rosa Tietjen), die vielleicht ihre eigene Kneipe aufmachen will.

    "Sie steht im Eingang des Restaurants unter der Linde. Dort hat sie heute Schicht. Weil Montag ist, eine halbe Schicht. Die reicht aber, weil es eine von vielen halben Schichten ist. Nach sieben Jahren weiß man, ob man das Leben in der Gastro überlebt oder nicht."

    Fiktion und Wirklichkeit vermischen sich, die erfundenen Figuren bekommen Gesellschaft von Leuten, die tatsächlich rund um den Platz arbeiten oder leben. Sie kommen selbst zu Wort, wie die Kellnerin Vio, oder die Schauspieler erzählen von ihnen.

    "Ich bin mit 20 nach Deutschland gekommen wegen der Liebe, nach Köln. Und dann bin ich geblieben, auch als die Liebe vorbei war. Und dann bin ich beruflich weitergewandert nach Bonn, nach Hamburg. Der Kölner ist einfach sympathisch, der redet laut, hat ein bisschen mehr Sonne im Blut."

    "Jetzt kommt Isabelle, die arbeitet im Bagel Shop weiter unten mit ihrem Freund. Und sie ist froh, dass sie endlich Feierabend hat. Sie guckt sich nochmal um. Sie lacht immer, auch im Bagel-Laden, wenn sie einen Bagel zubereitet. Sie hat ein sonniges Gemüt."

    Nach und nach entsteht ein Geschichten-Panorama, man verbindet etwas mit den Häusern. Dass Nähe und Nachbarschaft auch unangenehme Seiten haben können, wird nur momentweise thematisiert, zum Beispiel wenn Torsten Peter Schnick als René den Inhalt der Mülltonnen eines Wohnhauses wie ein Müll-Spitzel den Bewohnern zuordnet.

    Das normale Leben, das auf dem Platz ja trotz Anwesenheit von Theaterleuten und Publikum weitergeht, wird einbezogen: Die Schauspieler beschimpfen Autofahrer, erfinden zu Passanten Namen und Geschichten. Das ist fürs Publikum amüsant, aber als die Passanten zurückstarren auf die frierenden und durchnässten Gestalten, die mit Kopfhörern auf der Straße rumstehen, ist schon nicht mehr so klar, wer hier der Voyeur ist.

    Plätze oder Viertel durch Bespielen anders zu sehen und im Kleinen die ganze Welt zu entdecken, ist ja kein neues Konzept. Aber Gesine Danckwart und ihr Team setzen die Idee im Kölner Agnesviertel sehr amüsant und charmant um. Vielleicht erbarmt sich die Stadt Köln ja nun und gibt der Kreuzung endlich einen Namen. "Goldveedelplatz" wäre doch schön.