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Gonzalo Torné: "Meine Geschichte ohne dich"
Scheidung liegt in der Luft

Mitte 40 und von Herzbeschwerden geplagt: Der Protagonist in "Meine Geschichte ohne dich" wälzt sich zwischen Sex und Streit, Ausschweifungen und Kater. Schonungslos zeichnet Gonzalo Tornés in seinem neuen Roman die Chronik einer verkommenen Oberschicht.

Von Eva Karnofsky | 03.11.2017
    Autor Gonzalo Torné steht auf einer Straße
    Von der Literaturkritik zum Kritikerliebling: Gonzalo Torné (Digitales Propias)
    In einem Interview hat Gonzalo Torné einmal geäußert, dass Joan-Marc, eine Nebenfigur in seinem bislang hier nicht übersetzten, zweiten Roman "Hilos de sangre", auf Deutsch "Blutrinnsale", mehr Platz verdiente. Den bekommt er nun: Joan-Marc ist der Ich-Erzähler des gerade auf Deutsch erschienenen, dritten Romans des Autors, "Meine Geschichte ohne dich". Joan-Marc richtet sich in "Meine Geschichte ohne dich" an eine zweite Ehefrau, deren Namen im Buch nicht genannt wird, die jedoch jene Clara sein dürfte, mit der er in "Blutrinnsale" verheiratet ist und die in dem Roman von ihren Eheproblemen mit ihm berichtet. Gern hätte man "Blutrinnsale" gelesen, bevor man "Meine Geschichte ohne dich" zur Hand nimmt.
    Darin erzählt Joan-Marc, inzwischen Mitte Vierzig und von Herzbeschwerden infolge eines ausschweifenden Lebens geplagt, in der Ich-Form seiner zweiten Ehefrau von seiner ersten Ehe mit Helen, einer Amerikanerin. Joan-Marc erzählt nicht chronologisch, sondern beginnt den Rückblick auf diese Beziehung mit dem Bericht von einem Treffen mit Helen nach längerer Trennung, um dann weiter auszuholen und auf einzelne Episoden seiner Kindheit und Jugend sowie auf die frühen Jahre mit Helen zurückzuschauen.
    Brüchige Beziehung, flüchtige Belebung
    Helen hat inzwischen einen Sohn mit einem anderen Mann. In einem Kurort wollen die beiden trotzdem ausloten, ob sich ihre Beziehung noch kitten lässt.
    "Ich war seit jeher der Ansicht, dass man die herausragende Rolle fremder Zimmer in Hotels, Pensionen oder Gästehäusern zur Festigung von Paarbeziehungen gar nicht hoch genug schätzen kann. Ich jedenfalls schwöre darauf, sowohl zur Einstimmung als auch als Ausgleich zum häuslichen Sex, sozusagen zur flüchtigen Belebung zwischendurch. Doch auf unserer Reise war mir bei der Vorstellung, mit ihr allein im Schlafzimmer zu sein, die Lust vergangen."
    Zwar kommen die beiden sich kurzfristig näher, doch sehr bald schon ahnt man, dass es zwischen ihnen nur zum endgültigen Zerwürfnis kommen kann. Dessen Zeuge der Leser dann wird.
    Zwischen Standesdünkel und Vorurteilen
    Vordergründig ist Meine Geschichte ohne dich die Chronik dieser Ehe und ihres Zerfalls. Helen und Joan-Marc verlieben sich, und es ist vor allem körperliche Anziehung, die sie verbindet, doch sie sind zu verschieden, als dass ihre Beziehung von Dauer sein könnte. Zudem schält sich heraus, dass Helen manisch-depressiv und Joan-Marc ein unverbesserlicher Macho ist.
    Doch in dem Roman kommt eine weitere, gesellschaftliche Dimension ins Spiel: Joan-Marc entstammt einer Familie der Oberschicht von Barcelona, und Helen ist Tochter einfacher Leute aus der amerikanischen Provinz. Auch wenn Joan-Marc glaubt, er habe mit dem Standesdünkel gebrochen, ist er doch tief in seiner Schicht verwurzelt und sieht Helen immer weniger mit den Augen eines verliebten Ehemannes, als vielmehr durch die Brille seiner Klasse und ihrer Vorurteile.
    "Seit ihrem ersten Kuss (gierig, wild, amerikanisch) wusste ich, dass ich sie jeder besonnenen Frau mit klaren, festen Vorstellungen vorzog. Es ist wunderbar, eine einfachere Person zu finden, deren gesamte Geschichte in eine Erzählung passt."
    Die Reichen und Schönen der Franco-Zeit
    So stellt sich die Geschichte einer Ehe zwischen zwei unreifen, sexbesessenen und lediglich an Amüsement interessierten jungen Leuten als eine bitterböse Satire heraus – eine Satire über die Oberschicht des Barcelonas der Achtziger- und Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts, hinter deren großbürgerlicher Fassade der Verfall lauert. Die Reichen und Schönen der Franco-Zeit haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt: Die abgeschottete Diktatur mit ihren feudalistischen Strukturen ist endgültig vorbei. Spanien verwandelt sich in einen modernen kapitalistischen Staat, der internationaler Konkurrenz ausgesetzt ist. Nicht mehr alte Pfründe braucht man, vielmehr ist nun wirtschaftliche Kompetenz gefragt. Die jedoch hat Joan-Marc nicht vorzuweisen. So bringt der verwöhnte junge Mann mit Helen das Familienvermögen durch, weil er von Arbeit nicht viel hält.
    Joan-Marcs gesamte Familie ist gescheitert: Die Schwester heiratet um des Geldes willen einen reichen Mann, den sie nicht liebt. Die Mutter vegetiert in ihrer hochherrschaftlichen Wohnung im Morgenmantel dahin, seit Joan-Marcs Vater sie verlassen hat und verschwand. Nach Jahren findet ihn Joan-Marc, zerbrochen an einem Geheimnis, das sich dem Sohn erst am Ende offenbart und einmal mehr unterstreicht, wie verlogen die Konventionen dieser Oberschicht waren. Die Frage nach dem Verbleib des Vaters zieht sich durch den gesamten Roman und verleiht ihm Spannung.
    Sex und Streit, Ausschweifungen und Kater
    Auch Joan-Marcs Schulfreunde, verwöhnt und arbeitsscheu wie er selbst, zeigen sich der sich wandelnden Gesellschaft nicht gewachsen.
    "Pedro hatte im Alkohol ein Mittel gefunden, das ihm half, den Stress und die durch ihn verursachten Kopfschmerzen zu bewältigen. ... Das Beste für Pedro wäre eine dieser hübschen, resoluten Frauen, die die Karriereleiter emporklettern und dir die Pflege von Pflanzen und Kleintieren überlassen."
    Die spanische Tageszeitung El País nannte Meine Geschichte ohne dich das heftigste Plädoyer gegen die Ehe, das die spanische Literatur zu bieten hat. Man mag den Roman so lesen und kann noch anfügen, dass es ein sehr amüsantes Plädoyer ist, denn Ich-Erzähler Joan-Marcs schonungslose, umgangssprachlich-saloppe Beschreibungen von Sex und Streit, Ausschweifungen und Kater gehen ganz exakt um das Maß über die Realität hinaus, das notwendig ist, um den Humor durchscheinen zu lassen. Mehr noch als ein Plädoyer gegen die Ehe ist Meine Geschichte ohne dich ein Roman über eine Zeit gesellschaftlichen Umbruchs, in der in Spanien so mancher glaubte, Freiheit sei ein Synonym für Zügellosigkeit. Und das führt Gonzalo Torné ad absurdum, in dem er sich mit leiser Überzeichnung über seinen Joan-Marc lustig macht, der sich selbst zu ernst nimmt und fassungslos zuschauen muss, wie sich seine Privilegien in Luft auflösen. Dabei ist ein tragikomischer Roman mit viel sprachlichem Witz herausgekommen, den man nicht beiseite legt, vor allem, weil man gern verfolgt, wie Torné einen hemmungslosen Egoisten und Macho so an seine Grenzen stoßen lässt, dass man fast schon wieder Mitleid mit ihm hat.
    Gonzalo Torné: "Meine Geschichte ohne dich"
    Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017. 384 Seiten, 21,99 Euro.