Donnerstag, 25. April 2024

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Good Morning Los Angeles

Ankündigungen sind etwas Schönes. Man weiß, worauf man sich einlassen muß. Zitat:mmmmm "Es bereitet mir Spaß, die Liquidierung einer Kultur zu beobachten - und dabei auf die Erlösung von unten zu hoffen."

Florian Felix Weyh | 01.01.1980
    Oder, Zitat: "Was Amerika so groß macht, ist, daß nirgendwo sonst die Tatsache deutlicher wird, daß jeder, der sich ein Bild von der Dummheit machen will, immer auch eine Vorstellung von der Intelligenz haben muß."

    Klingt irgendwie gut, kraftvoll und willensstark. Eine Prise Schopenhauer, ein Schuß John Wayne. Aber was will uns der Autor damit sagen? Daß die Amerikaner Weltmacht geworden sind, weil sie über ihre Dummheit Bescheid wissen? Oder umgekehrt, daß sie ihre Dummheit nicht erkennen, weil sie keine Vorstellung von Intelligenz haben? Oder vielleicht nur, daß der Intelligente Dummheit erkennt, weil der Dumme sich für die Norm hält? Aber warum soll das bloß in Amerika so sein? Zitat:

    "Du darfst deinen Kollegen niemals zu verstehen geben, daß du viel intelligenter bist als sie."

    Logisch. Denn sie, die Amerikaner, haben ja eine Vorstellung von Intelligenz, die er, der deutsche Autor ... Moment, da läuft was schief! Lesen wir lieber weiter, Zitat:

    "Das Leben in Los Angeles hat viele Vorteile. Ich kann es mir hier zum Beispiel leisten, mein geistiges Leben auf ein Minimum herunterzufahren, was in Europa einfach unmöglich ist."

    Gut gebrüllt, Löwe - aber warum das geistige Minimum dann in einem Buch festhalten, ja auch noch dem Gespött der europäischen Intelligenz preisgeben, die ja doch nicht verstehen kann, daß der american way of life nahe der Gehirn-Nullinie die ultimative Existenzform des 20. Jahrhunderts darstellt? Die Antwort findet sich in grauer Vorzeit. Vor vielen, vielen Jahren gab es ein farbiges Bilderblatt, das schneller sein wollte als die Konkurrenz und sich darum Tempo nannte. Es wollte aber nicht nur schneller, sondern auch greller, lauter, modischer, mutiger, provokativer, kurzum: jugendlicher sein als alle anderen. Weil man sich in dieser längst vergangenen Epoche gesellschaftlich im Kreis drehte, ging das ein paar Jahre gut, und das Bilderblatt leistete sich einige wilde Reporter. Mit einem Minimum an Wissen und einem Maximum an Kaltschnäuzigkeit zogen sie wie Cowboys durch die Lande. Meist reichte die Recherche zwar nur für "100 Zeilen Haß" oder ein braves Starportrait, aber der Gestus wurde eisern durchgehalten: kleine Nachricht, große Klappe. Zum Star dieser Technik mauserte sich Tom Kummer, und alsbald bezog er Stellung am wichtigsten Platz der Welt: Los Angeles. Denn nicht die politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Zentren interessierten die Tempo-Redaktion, sondern der Ort, an dem ihr Bilderstoff gedeiht: Blutbäder und Zelluloid.

    Dort also sitzt Tom Kummer noch immer und weiß nicht recht, was tun. Nach dem Ableben seiner Hauspostille fehlt es ihm zwar nicht an Aufträgen - längst haben die Zeitgeistschreiber seriöse Medien unterwandert -, aber die Nährlösung ist weg, das Milieu, in dem ein hardboiled journalist prahlen und protzen kann. Folgerichtig wird Kummer von der schmierigsten Karikatur des "new journalism" angezogen. Chuck Weinberg ist ein "Sharpshooter", einer, der sein Militär-MG mit einer Videokamera vertauscht hat und nun lokale Fernsehstationen mit den dreckigsten der dreckigen Bilder versorgt: Unfälle, Verbrechen, Schamlosigkeiten. Kummer freundet sich mit dem Medienrowdie an und begleitet ihn auf seinen visuellen Raubzügen. Das Muster folgt den Vorgaben Tom Wolfes aus den Sechzigern, als der amerikanische "new journalism" den Deutschen Egon Erwin Kisch - Vater der engagierten Sozialreportage - vom Herzen auf den Geldbeutel stellte. Die Meriten dieser hemmungslos subjektiven, maßlos effekthascherischen Berichterstattung sind längst verwelkt, doch Kummer kommt sich ziemlich hip vor, während er das alles nochmals durchexerziert. Und ach! Er tut's mit teutonischer Dumpfheit. Niemand hat ihm den maßvollen Gebrauch des Wortes "ich" gelehrt, nie jemand seinen unbeschreiblich arroganten Tonfall in ein kritisches Verhältnis zum Gehalt seiner Faction gesetzt, und so erleben wir einen beispiellosen Sturz vom Gipfel des Hochmuts ins düstere Tal der Belanglosigkeit. Wo Kummer mit dem Revolver schreiben will, verpufft sein Pulver unter großer Rauchentwicklung; wo er zur medienkritischen Reflektion anhebt, erreicht er nicht einmal das Niveau gängiger Ratgeber. Vollmundig entwirft er "Regeln zur Förderung journalistischer Effektivität", die Weisheiten enthalten wie, Zitat:

    "Die Alltagswirklichkeit taucht in der Medienwirklichkeit auf, was wiederum Rückwirkungen auf die Alltagswirklichkeit hat."

    Ständig betont sein Selbstverständnis als Watergate-Reporter, doch seine journalistische Chuzpe beschränkt sich darauf, bei einem Stardesigner Kleidung der Konkurrenz zu tragen und Sharon Stone zu fragen, ob sie als Sexsymbol Beziehungsprobleme habe. Für Freunde der Selbstdemontage ist dieses Buch ein Leckerbissen; für den Rest der Welt eine Qual. Doch ohne Zweifel, Kummer findet sich toll. "Schließlich", schreibt er, "ist der Medienmacher der unbarmherzigste Killer, der je auf Erden gejagt hat." Man kann das alles auch ziemlich widerlich finden.