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Gorleben ja, aber bitte in einem anderen Bundesland

Seit 30 Jahren wird in Deutschland über eine sichere Entsorgung radioaktiven Mülls debattiert und gestritten - ohne Ergebnis. Sicher, da gibt es Gorleben - aber ist das sicher? Klare Kriterien dafür fehlen weiterhin.

Von Axel Schröder | 21.04.2011
    Rosalinde Klappstein ist eine echte Vorreiterin. Sie ist zweite Kreisvorsitzende der FDP im Landkreis-Lüchow-Dannenberg. Immer, wenn Castor-Behälter nach Gorleben rollen, erlebt sie Straßenblockaden direkt vor dem kleinen Sägewerk, das sie im Wendland zusammen mit ihrem Mann betreibt. Und sie freut sich über die klare, unveränderte Meinung Haltung der Landkreis-FDP im Streit um Gorleben:

    "Wir haben 1977 die erste Resolution verabschiedet – das ist lange vor meiner Zeit ... - dass wir Atomenergie nur befürworten können, wenn sie die Aufarbeitung der Abfälle oder der sichere Umgang mit den Abfällen gewährleisten."

    Und dieser sichere Umgang, nämlich eine dauerhafte Lösung für die Endlagerung des hoch radioaktiven Mülls, diese Lösung gibt es auch heute, nach über dreißig Jahren nicht, so Klappstein. Den Einwand, dass doch gerade in Gorleben nach dieser Lösung gesucht wird, lässt sie nicht gelten. Denn aus einem Salzstock könne Atommüll bei Problemen nicht einfach wieder herausgeholt werden. Weil Salz nicht fest, sondern plastisch ist und die Atomfässer mit der Zeit fest umschließt, ist eine Bergung – siehe Asse II – nur mit großem Aufwand möglich. Dass Alternativen zu Gorleben gesucht werden müssen, davon ist seit wenigen Wochen auch die niedersächsische Landes-FDP überzeugt:

    "Auf dem Landesparteitag – das war am 9. und 10. April in Braunschweig wurde beschlossen, dass eine alternative Standortsuche gemacht werden sollte schon parallel zu der Erkundung von Gorleben."

    Dieser Schwenk, so Rosalinde Klappstein, gehe zu einem Gutteil auf das Konto der örtlichen Liberalen. Ganz verabschiedet hat sich die Landes-FDP von einer Endlageroption in Gorleben aber nicht: Die Erkundung soll nämlich weitergehen. Einen ganz neuen Dialog über Gorleben, wie ihn Bundesumweltminister Norbert Röttgen vorschlägt, hält FDP-Mitglied Klappstein für richtig, aber für ungeheuer schwer:

    "Man muss miteinander reden, das sehe ich schon so. Aber – ich weiß auch nicht, wie ... Es ist schwierig, hier mit den Menschen sachlich zu argumentieren. Sie wurden irgendwie zu oft über den Tisch gezogen ..."

    Und wahrscheinlich ist es auch die Strategie der Gorleben-Befürworter, immer mehr Fakten zu schaffen, die für großes Misstrauen in der Bevölkerung sorgen. Erstens sind bisher 1,5 Milliarden Euro in die Erforschung des Salzstocks Gorleben geflossen, obwohl es bis heute keine klaren gesetzlichen Vorschriften gibt, welche Anforderungen ein Endlager für hoch radioaktiven Müll überhaupt erfüllen muss. Zweitens stehen mittlerweile im oberirdischen Zwischenlager 102 Castorbehälter in direkter Nachbarschaft zum Erkundungsbergwerk. Und drittens wartet daneben eine betriebsbereite 280-Millionen-Euro-teure Spezialfabrik auf ihren Einsatz. Hier soll hoch radioaktiver Müll für die Einlagerung im Salzstock Gorleben verpackt werden. Trotz dieser Fakten hält Karin Bertholdes-Sandrock, Landtagsabgeordnete von der CDU, die Erkundung von Gorleben für ergebnisoffen. Und die langjährige Hardlinerin in Sachen Endlager hat nach eigenen Angaben umgedacht:

    "Wenn man 'ergebnisoffen' sagt, denke ich, ist es ein Zeichen von Glaubwürdigkeit, wenn man eine alternative Standortsuche auch fordert. Das haben wir sehr deutlich gemacht schon vor einem halben Jahr! Und ich gehe davon aus, dass SPD, Grüne und Linke, die süddeutschen Länder und auch unsere eigene CDU-FDP-Bundesregierung unter Umweltminister Röttgen jetzt daran gehen werden, mindestens alternative Suchkorridore, alternative Standorte auch zu benennen, die man parallel zu Gorleben zumindest für eine Untersuchung vorbereiten müsste ..."

    ... und auf Nachfrage nennt sie auch Standorte, an denen nach den Studien der Bundesanstalt für Rohstoffe und Geowissenschaften eine Endlagersuche Erfolg versprechend sein könnte:

    "Andere Bundesländer! Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz! Und ich bin jetzt auf die Angebote von Herrn Kretschmann auch sehr gespannt, die er machen wird. Hoffentlich!"

    Diese Endlagersuche im Schwabenland, so die CDU-Abgeordnete süffisant, könnte der künftige grüne Ministerpräsident nun vorantreiben. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister denkt ähnlich. Immerhin gäbe es auf der Schwäbischen Alb Tonvorkommen, die für ein Atommülllager geeignet sein könnten. Noch fanden die Forderungen aus Niedersachen in Berlin kein Gehör. Dort aber müssten für eine alternative Standortsuche die Weichen gestellt werden. Aus diesem Grund beurteilt die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg das Umdenken bei der Mc-Allister-CDU noch sehr zurückhaltend. Kerstin Rudeck, Sprecherin der BI:

    "Also, wenn eine Frau Bertholdes-Sandrock sich hinstellt und sagt: 'Wir denken jetzt um, wir greifen diese Debatte auf! Und wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher!', dann möchte ich ihr das glauben können! Ich kann es erst in dem Moment glauben, wo die nächsten Wahlen vorbei sind – wir haben im September Kommunalwahlen – es könnte das gleiche Spektakel sein, wie jetzt auf Bundesebene stattfindet. Also ich bin schon skeptisch ... Auf der anderen Seite denke ich: Wann sollten die denn einlenken und umdenken, wenn nicht jetzt?"

    Und als Erstes, so Rudeck, sollte der Regierungschef sich dafür einsetzen, die nach zehnjähriger Pause gerade erst wieder aufgenommenen Erkundungsarbeiten sofort auszusetzen. Dieser Forderung schließt sich auch Andreas Graf von Bernstorff an. Anders sei kein glaubwürdiger Dialog möglich:

    "Zu behaupten, es wird hier ergebnisoffen erkundet, wenn kein anderer Standort untersucht wird, und noch nicht einmal über einen anderen Standort diskutiert wird, das ist aus meiner Sicht abenteuerlich!"

    Graf Bernstorff verlangt, dass sich die Ethikkommission um Klaus Töpfer – in der es schließlich um einen Atomausstieg geht – auch um die endlose Gorleben-Debatte kümmert. Vielleicht sollte die Kommission einfach mal mit dem neuen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann reden.