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Gorlebens Zukunft

Eine Enquetekommission soll Kriterien für eine neue Endlagersuche erarbeiten. Und auch wenn die neue niedersächsische Landesregierung versprochen hat, dass Gorleben nicht mehr infrage kommt, die Bewohner des Wendlandes bleiben skeptisch.

Von Axel Schröder | 04.04.2013
    Das Tauwetter lässt auf sich warten. Noch deckt eine dünne Schneeschicht den Waldboden am Ortsrand von Gorleben zu. Fried Graf von Bernstorff steht vor einer Schautafel, 200 Meter hinter ihm liegt das sogenannte Endlagererkundungsbergwerk. Auf der Tafel: eine Karte des Salzstocks in der Tiefe, eingezeichnet sind die Besitzverhältnisse der Bernstorffs: ein breiter roter Sperrriegel, der den Salzstock in zwei Hälften teilt:

    "Das sind eben die Salzrechte unserer Familie. Für die ich jetzt die Verantwortung habe. Und die will ich auch in meinen besten Möglichkeiten wahrnehmen!"

    Fried Graf von Bernstorff ist gerade 34 Jahre alt, aber die Verantwortung für die weiten Forstgebiete hat ihm sein Vater, Andreas Graf von Bernstorff, im vergangenen Jahr übertragen. Und damit auch die Rechte am Salz unter dem Forst. Seit über drei Jahrzehnten weigert sich die Familie, diese Salzrechte an die DBE zu verkaufen, an die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern.

    Fried von Bernstorff beginnt seinen Rundgang um das Bergwerksgelände, stapft durch den Schnee. Blick auf die kilometerlange schmutzig graue Betonmauer, auf messerscharfen NATO-Draht und Wachposten in dicken Anoraks. Das Misstrauen gegen die Anlage keimte bei der Adelsfamilie schon Ende der Siebzigerjahre auf. Das Weltbild des damals jungen Andreas Graf von Bernstorff geriet ins Wanken. Sein Sohn erzählt:

    "Den hat das glaube ich sehr durchgeschüttelt das Ganze. Hat sein Weltbild auf den Kopf gestellt."

    Und nicht nur beim jungen Grafen wuchs damals das Misstrauen. Ein ganzer Landkreis, einst fest in CDU-Hand, machte mobil gegen die heute wahnwitzig anmutenden Atompläne der niedersächsischen Landesregierung unter Ernst Albrecht: Ein Nukleares Entsorgungszentrum sollte entstehen: eine Wiederaufbereitungsanlage, eine Brennelementefabrik, dazu ein Zwischenlager für abgebrannte Brennstäbe, eine passende Verpackungsanlage für Atommüll und – als Lösung für die massiven Entsorgungsprobleme Ende der 70er-Jahre – ein unterirdisches Endlager.

    3.000 Arbeitsplätze versprach der damalige Ministerpräsident der strukturschwachen Region, Widerstand erwartete er nicht. Fried Bernstorffs Vater war damals nur ein Jahr älter als er heute, Mitte 30. Die Archivbilder zeigen einen jungen, aufgebrachten Mann, weißes Hemd unterm braunen Nicki-Pullover, hinter ihm das Gartower Schloss, sechs Kilometer von Gorleben entfernt:

    "Ich persönlich bin zutiefst erschüttert über die Möglichkeit, dass hier eine der schönsten Gegenden, die wir in Deutschland haben, dass die zum Ruhrgebiet der Atomindustrie werden soll. Und darüber hinaus zur Schuttkuhle für die gefährlichsten Abfälle unserer Zivilisation. Ich finde das persönlich einfach katastrophal!"

    26 Millionen D-Mark wurden ihm damals für sein Land und vor allem: Das Salz darunter geboten. Und während viele Bauern gern die Hand aufhielten oder nach anfänglichem Zögern ihre Skrupel beiseiteschoben, bleibt der Graf standhaft.
    Der Widerstand formierte sich. 100.000 Demonstranten versammelten sich kurze Zeit später in Hannover:

    "Mein lieber Herr Albrecht! Und auch die übrigen Politiker! Überlegen Sie sich gut, ob Sie das riskieren wollen! Was glaubt ihr? Wenn wir uns mal alle hier so auf unsere Straßen setzen, wenn Sie bei uns anrücken – glaubt ihr, dass Sie uns wegkriegen?
    Nein""

    Die Regierung Albrecht zeigte sich beeindruckt. Die hochfliegenden Pläne für das Nukleare Entsorgungszentrum wurden aufgegeben. An den Plänen für ein Zwischen- und Endlager allerdings hielt man fest.

    Zurzeit sind alle Erkundungsarbeiten eingestellt, die schwarz-gelbe Bundesregierung hat die noch unter Umweltminister Norbert Röttgen entworfenen Pläne für eine schnelle und umfassende Untersuchung des Standorts aufgegeben. Nun soll zunächst ein neues Gesetz her, ein Endlagersuchgesetz. Und eine Enquetekommission, die über das Prozedere der Suche beraten soll. Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer könnte diese Kommission leiten, heißt es. Fried von Bernstorff begrüßt diese Ideen. Aber er kennt auch die Finten der Gorleben-Politik. Und die ewig gleichen Protagonisten, die schon immer auf diesen Standort gesetzt hätten, die sich bisher immer ein Hintertürchen offengehalten hätten. Mit der Aufschrift: Gorleben.

    "Wenn da dieselben Leute drinsitzen, dann bringt die Enquetekommission gar nichts. Es muss gewährleistet sein – das ist für mich auch ein Sicherheitskriterium - dass auch kritische Wissenschaftler und zum Beispiel die Kirche und Umweltverbände da drin sitzen. Weil das einfach die Notwendigkeit erhöht, andere Fragen zu stellen und zu erörtern, als wenn da nur Leute sitzen, die das durchwinken wollen."

    Die Skepsis bleibt also. Auch, wenn Bundesumweltminister Peter Altmaier schon zum persönlichen Gespräch mit den Bernstorffs nach Gartow gereist ist. Der Besuch, erzählt Fried Graf von Bernstorff war ein Erfolg. Der Minister habe zugehört, sich Zeit genommen. Professionell, vielleicht sogar zu professionell:

    "Er ist so ein Politprofi. Aber genau das ist das Problem. Wenn man mit so einer Einstellung an einen solche Fragestellung geht, wie ein Endlager für eine Millionen Jahr zu finden, dann darf ein Politprofi nicht der Hauptentscheider sein, sondern es muss so sein, dass es auf breiten Schultern getragen werden kann."

    Am Ende braucht Gorleben keine politische Lösung, sondern eine gesellschaftlich verankerte, sagt der Graf. Und dafür sei Vertrauen nötig, Vertrauen, dass über drei Jahrzehnte verloren ging.