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Gottergebenes Slammen

Die Veranstaltung erfreut sich bereits seit 2011 großer Beliebtheit: Der "I,Slam" ist zu Gast beim Poesiefestival Berlin. Muslimische Dichter präsentieren hier satirische Texte über Gesellschaft und Religion auf der Bühne. Gotteslästerung ist allerdings nicht erlaubt.

Von Oliver Kranz | 10.06.2013
    "Salam aleikum und herzlich willkommen zu der heutigen "I,Slam"-Veranstaltung in der wunderbaren Hauptstadt Berlin. Begrüßen Sie mit mir die Gastgeber, die Moderatoren, nein, die Erfinder von "I,Slam", Younes und Youssef." (Applaus)

    Younes Al-Amayra und Youssef Adlah werden fast wie Popstars gefeiert. Sie sind Mitte 20 und haben das Format erfunden. Die Idee entstand, als Youssef an einem deutschen Poetry Slam teilnahm. Younes begleitete ihn …

    "Ich kam so auf die Frage: Kann man sich das auch für Muslime vorstellen, weil er sich dort mit einem Text präsentiert hat, der sehr gesellschaftskritisch ist und mehr oder weniger aus einer muslimischen Perspektive gesprochen wurde und es wurde aber angenommen. Mit Satire kann man sehr viel vermitteln und da dachten wir OK, wir basteln uns selber ein muslimisches Ding, weil die Frage tauchte auf: Machen das überhaupt Muslime?""

    Vor zwei Jahren lautete die Antwort eindeutig nein. Wettbewerbe, bei denen jeder teilnehmen und einen kurzen Text seiner Wahl vortragen kann, hatte es bis dahin bei den deutschen Muslimen nicht gegeben. Dabei ist der Koran in Versform geschrieben, sagt Youssef Adlah:

    "Die besten Gefährten des Propheten waren große Dichter und er hat sich auch immer der Dichtkunst bedient, wenn es um Auseinandersetzung mit Nicht-Muslimen ging."

    Und so fiel es Younes und Youssef nicht schwer, unter muslimischen Institutionen Unterstützer für das Projekt zu finden. Im Dezember 2011 fand in Berlin der erste "I,Slam" statt - ein Riesenerfolg. Dabei kamen nicht nur religiöse Themen zur Sprache:

    "Das ist auch nicht unser Anspruch gewesen, dass wir nur über Religion sprechen. Der Anspruch war immer zu sprechen, mehr nicht."

    Denn das ist für Muslime am wichtigsten. Sie haben in Deutschland nur selten Gelegenheit sich öffentlich zu äußern - im kulturellen Bereich noch viel weniger als im politischen.

    "Wir werden auf jeden Fall rausgehen und die laute I-Slammisierung Deutschlands in Anspruch nehmen."

    Viele I,Slam-Teilnehmer liefern satirische Texte ab, Muhammet Ali Bas verkündete am Samstag beim Poesiefestival das Wahlprogramm einer fiktiven muslimischen Partei …

    "Wir wollen die Kölner Moschee abreißen und diese dann dort wieder einpflanzen, wo der Kölner Dom steht. Diese Hagia-Sophia-Politik wollen wir in ganz Deutschland einsetzen und so die Architektur Deutschlands revolutionieren."

    Beim "I, Slam" treten jeweils neun Teilnehmer gegeneinander an, das Publikum bestimmt am Ende den Gewinner. Witzige Texte haben immer gute Chancen - das ist beim muslimischen Slam nicht anders als bei einem deutschen. Nur Flüche und Gotteslästerung sind verboten. Außerdem darf bei "I,Slam" kein Alkohol ausgeschenkt werden. So viel Respekt vor der Religion muss sein. Teilnehmen dürfen aber auch Poeten, die keine Muslime sind:

    "Wir haben bereits den ersten interreligiösen Poetry Slam veranstaltet, den "I-Slam - We-Slam" in Zusammenarbeit mit jüdischen Slam-Poeten, christlichen Slam-Poeten und Slam-Poeten der Bahai. Das ist ja auch die grundsätzliche Idee des I-Slam. Wir möchten mit den Nicht-Muslimen reden."

    Der "I,Slam" beim Poesiefestival in Berlin war die Endrunde eines längeren Wettbewerbs, bei dem die Sieger von Slams aus ganz Deutschland gegeneinander antraten. Auch Fatima Moumouni gehörte zu den Finalisten:

    "Ich bin nicht hier, weil ich hier so dazugehöre, ich bin eigentlich nur hier, weil es für alles Mögliche eine Quote gibt und ich bin halt die Quotennegerin. Das habe ich gemacht, weil ich so ein Fuchs bin, dass ich für solche Veranstaltungen einfach so Negertexte schreibe. Vorhin hat ja die Moderation gesagt, dass es ein Verbot gibt für schlechte Wörter, aber ich bin ja, wie ich bin und wir Schwarzen benutzen oft auch Fäkalausdrücke. Deswegen darf ich Neger sagen: Neger, Neger, Neger, Neger."

    Und für diese Frechheit erntete Fatima Moumouni stürmischen Applaus. Fast hätte sie im Wettbewerb um die Publikumsgunst gesiegt, aber dann wurde sie doch von einem muslimischen Poeten übertrumpft…

    "Du wusstest, dass ich dich in schwarzem Leder mag. Jetzt bereue ich jeden Tag. Du machst Männer glücklich für Geld - so ähnlich wie Frauen auf der Reeperbahn. Keine Diskussion, denn das ist eh Haram. Ich schmeiß Dich mit Anlauf in den Müll und du fliegst wie Peter Pan."

    Sami El-Ali spielt in seinem Text "Liebesdilemma" mit erotischen Klischees. Man könnte ihn für einen schlimmen Macho halten, doch die Schlusspointe dreht die Wirkung um. Der Text richtet sich nicht an eine Frau, sondern an einen alten Schuh, den der Poet sich am Ende vom Fuß reißt. Das Publikum ist begeistert.

    "Spaß muss man irgendwann im Leben doch haben. Sonst würde es, glaube ich, zu langweilig werden, wenn es zu ernst wäre,"

    … sagt eine junge Kopftuchträgerin, die nach dem Slam bestens gelaunt den Saal verlässt. Auch ein Mann mit Gebetskette ist begeistert…

    "Islam bedeutet ja Gottergebenheit. Die Slammer interpretieren das für sich halt anders, als vielleicht ein Prediger das machen würde. Das ist ihre Art zu zeigen, dass sie gottergeben sind. Das geht miteinander einher - die Slam-Texte und der Islam, das ist kein Widerspruch."

    Ebenso wenig wie Humor und Islam. Der "I,Slam" widerlegt viele Klischeevorstellungen, die in der deutschen Gesellschaft über Muslime existieren. Und er führt dem Poesiefestival ein neues Publikum zu - muslimisch, gut gelaunt und tolerant.