Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Gounod-Quartette
Klassik im romantischen Ton

Charles Gounod komponierte eine Ave-Maria-Melodie zu Bachs berühmtem Präludium in C-Dur und sicherte sich damit Unsterblichkeit. Seine Streichquartette hingegen kennt kaum jemand. Fraglich, ob das Quatuor Cambini-Paris daran etwas ändern wird.

Am Mikrofon: Elisabeth Richter | 05.08.2018
    Das Quatuor Cambini-Paris im Grünen, mit Violoncello und antikem Stuhl
    Das Quatuor Cambini-Paris: v.l. Atsushi Sakaï, Pierre-Éric Nimylowycz, Karine Crocquenoy und Julien Chauvin (Frank Juey)
    Mit der Erfindung der Ave-Maria-Melodie zu Bachs berühmtem ersten Präludium C-Dur aus dem "Wohltemperierten Klavier" hat sich Charles Gounod Unsterblichkeit gesichert. Seine Oper "Faust" - zuweilen auch "Margarete" genannt - steht regelmäßig auf den Spielplänen. Seltener dagegen seine zahlreichen Kirchenmusik-Kompositionen und noch seltener seine Kammermusik. Dass Gounod immerhin fünf Streichquartette schrieb, ist kaum im Bewusstsein. Zum 200. Geburtstag des Komponisten hat das Quatuor Cambini-Paris jetzt erstmals eine Gesamtaufnahme seiner Streichquartette auf historischen Instrumenten eingespielt.
    Musik: Charles Gounod, Streichquartett A-Dur, 2. Satz, Allegretto
    Düster, melancholisch, fragend setzen die vier Streicher - erst Bratsche, dann Cello und zuletzt die beiden Violinen - sukzessiv ihre Töne in den Raum. Nach wenigen Takten übernimmt das Cello die Funktion einer Art Walking-Bass und tupft pizzicato die stützenden Basstöne unter die kanonisch verschlungenen Oberstimmen. Dieser zweite Satz Allegretto aus Charles Gounods Streichquartett A-Dur beginnt wie ein kleiner Trauermarsch. Das Quatuor Cambini-Paris verleiht ihm Würde und Zurückhaltung. Haupt- und Nebenstimmen werden unterschiedlich gefärbt und artikuliert, so dass das polyphone Geflecht des Satzes plastisch wird.
    Musik: Charles Gounod, Streichquartett A-Dur, 2. Satz, Allegretto
    Jede Stimme ist eigenständig in dieser feierlich voranschreitenden Prozession. Die mit Dämpfer spielenden Streicher verharren in den tieferen, dunkleren Registern, womit der schwermütige Charakter unterstrichen wird. Besonders in den langsamen Sätzen seiner Streichquartette gelingen Charles Gounod dichte, atmosphärische Momente mit originellen kompositorischen Ideen.
    Feines Gespür für Balance
    Im Mittelteil dieses Allegretto-Trauermarsches hellt sich die Stimmung ein wenig auf. Erinnerungen an bessere Tage scheinen aufzukommen. Die beiden Geiger Julien Chauvin und Karine Crocquenoy, Bratschist Pierre-Eric Nimylowycz sowie Cellist Atsushi Sakaï behalten den getragenen Charakter bei. Sie erlauben sich kaum ein Vibrato. Zur meldodisch führenden Violine werden die Begleitstimmen dynamisch genau abgestuft. Der durchgehend gehaltene Bass-Orgelton im Cello gibt eine Piano-Grundierung für die vom Cambini-Quartett ein wenig lauter profilierten Mittelstimmen. Das Aufblühen der Musik bis zu einem Mezzoforte gestalten die vier Streicher mit feinem Gespür für Balance, ebenso die wie resigniert wirkende Rückkehr zum grüblerischen Ton des Anfangs.
    Musik: Charles Gounod, Streichquartett A-Dur, 2. Satz, Allegretto
    Charles Gounods fünf erhaltene vollständige Streichquartette - es gibt noch einige unvollendete Skizzen - geben der Musikwissenschaft noch immer Rätsel auf. Bei keinem lässt sich der Zeitpunkt der Komposition genau bestimmen. Man weiß nur, dass der Komponist erst in den 1870er Jahren sein vermutlich erstes Quartett, das sogenannte "Petit Quatuor" in C-Dur vollendete. Da war Gounod bereits über 50 Jahre alt. Aus Skizzen um 1842/43 lässt sich aber ermitteln, dass sich schon der junge, etwa 25-jährige Komponist mit der Gattung auseinandersetzte.
    Musik: Charles Gounod, Streichquartett a-Moll, 1. Satz, Allegro
    Lange wusste man nur von zwei Quartetten Gounods, in C-Dur und a-Moll, bis 1993 bei einer Auktion drei weitere zum Vorschein kamen, in A-Dur, F-Dur und g-Moll. Gedruckt wurde zu Lebzeiten Gounods nur das Quartett in a-Moll, von dem zwei erste Aufführungen Ende Februar und Anfang März 1890 in Paris belegt sind.
    Musik: Charles Gounod, Streichquartett a-Moll, 1. Satz, Allegro
    Dieses Quartett in a-Moll – hier der Kopfsatz Allegro - ist in der Chronologie der Entstehung vermutlich das vierte Quartett. Es entstand nur wenige Jahre vor Gounods Tod 1893.
    Zurückhaltung trotz Pathos
    Stilistisch, klanglich und satztechnisch lässt sich leicht erkennen, dass der Streichquartett-Komponist Gounod sich selbst in der Tradition der Wiener Klassik positioniert - von Beethoven oder Schubert etwa. Dass er auch Quartette von Mendelssohn kannte, ist sicher, begegnete er doch Fanny und Felix auf seinen Reise-Stationen in Berlin und Leipzig. Dennoch, so klassizistisch - und manchmal auch ein wenig akademisch die Regeln befolgend - Gounods Streichquartette aufs erste Hören wirken, ein romantischer Ton scheint stets durch. Gounod war und blieb Kind seiner Zeit. Das Andante, quasi Adagio aus dem Quartett F-Dur belegt dies ohrenfällig. Das Pariser Cambini Quartett vermeidet bei diesem hochromantischen Satz klug unnützes Pathos. Dissonanzen und chromatisch dicht geführte Stimmen erzählen ohnehin klar genug von Schwermut und Desillusion.
    Musik: Charles Gounod, Streichquartett F-Dur, 2. Satz, Andante, quasi Allegro
    In den langsamen Sätzen kann Gounod offensichtlich am besten seine Fantasie entfalten. Sie kommen variantenreich, eigen und geistvoll daher. Weniger stark sind dagegen die Kopf- und Finalsätze. Hier setzt Gounod immer wieder auf dasselbe Muster. Es gibt eröffnende Akkorde und Floskeln, wie ein Statement. Dann zeigt der gelehrige Komponist, dass er verstanden hat, wie Beethoven, Schubert oder Mendelssohn mit den Motiven arbeiten. Sie wandern durch die Stimmen, werfen sich Fragen und Antworten zu, intonieren immer wieder kleine Fugen.
    Unzufrieden mit Quartetten
    Vermutlich wusste Gounod selbst, dass er hier nicht an seine großen Komponisten-Kollegen heranreicht. Camille Saint-Saëns berichtet 1897 in "La Revue de Paris" von einem Treffen mit Gounod, bei dem dieser ihm von gerade fertig gestellten Streichquartetten erzählte, sich aber weigerte sie Saint-Saëns zu zeigen, weil er meinte, sie seien nicht gut genug.
    Musik: Charles Gounod, Streichquartett g-Moll, 4. Satz, Allegro
    Das Pariser Quatuor Cambini – das sich nach dem Mozart-Zeitgenossen, Geiger und Quartett-Komponisten Giuseppe Maria Cambini nennt - hat sich auf das Spiel mit historischen Streichinstrumenten spezialisiert. Auch wenn deren Klang im ausgehenden 19. Jahrhundert schon recht nah am heutigen Klang ist, sorgt die genauere Artikulation, der etwas vibrato-ärmere Ton beim historisch-informierten Spiel für eine erfrischende Klarheit der kompositorischen Strukturen.
    Zu wenig Esprit
    Für die vielen ähnlich angelegten Quartett-Sätze Gounods hätte man sich allerdings manchmal doch mehr Erfindungsreichtum und Kontrast in der Tongestaltung gewünscht, und auch einen etwas energischeren Zugang. Als Einzelwerke sind Gounods Quartette zwar allemal interessant und spannend, der Esprit nutzt sich in der Wiederholung der Techniken spätestens nach dem dritten Quartett doch ein wenig ab. Genießt man Gounods Streichquartette dosiert, wird man an ihnen seine Freude haben.
    Musik: Charles Gounod, Streichquartett g-Moll, 3. Satz, Scherzo
    Charles Gounod: Sämtliche Streichquartette
    Quatuor Cambini-Paris
    Label: Aparte, 2 CDs, AP 177
    EAN: 5 051083 127752