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Graben für Germania - Archäologie unterm Hakenkreuz

Die Verquickung von Propaganda und Kultur wurde im Nationalsozialismus perfektioniert. Es galt vor allem, das rassistische Germanenbild und den Germanenmythos aufzubauen und zu stilisieren. Viele Archäologen nutzten die Diktatur für ihre Karrierelaufbahn.

Von Franziska Rattei | 07.03.2013
    Im Bremer Focke-Museum laufen die letzten Vorbereitungen für die Sonderausstellung "Graben für Germanien - Archäologie unterm Hakenkreuz". Kuratorin Karin Walter und Dirk Mahsarski, Leiter des dazugehörigen Forschungsprojektes, wählen kleine Sammelbildchen aus den 1930er-Jahren für eine Vitrine aus. Auf einem zu sehen:

    Karin Walter:
    "Die typische Familie. Natürlich: die Mutter blond, der Vater ein Kopf größer, kräftig. Und natürlich ein nettes, blondes Mädchen dazu. Dieses Bild von der Familie taucht überall auf. Wenn man sich das einmal angeschaut hat - das ist typisch. Das prägt natürlich auch das Bild der Familie, so eine Idealvorstellung."

    Die Germanen-Bildchen stammen von der Mainzer Chemie-Firma "Erdal" und waren vor mehr als 80 Jahren Teil einer Werbekampagne für eine neuartige Schuhcreme. Passend zu den Sammelbildchen gab es Alben für die Kunden.

    "Auch die kriegt man noch, komplett beklebt, problemlos, für zehn bis zwölf Euro,"

    erklärt Dirk Mahsarski, Leiter der Projektes "Vorgeschichtsforschung in Bremen unterm Hakenkreuz". Die Erdal-Sammelalben zeigen beispielhaft, wie Propaganda und Wissenschaft damals miteinander verzahnt waren. Die Texte zwischen den Bildchen stammen von namhaften Archäologen der Zeit. Der Titel: "Aus Deutschlands Vorzeit".
    "Das Problem ist, dass es die Germanen nie gegeben hat. Dass "die Germanen" eine Außenbezeichnung ist, die die Römer erfinden, um zu sagen: jenseits unserer Grenze leben bestimmte Völker, und es gibt einen bestimmten Grund, warum wir die Grenzen so ziehen, wie sie sind. Es gibt niemanden, der sich als "Germane" bezeichnet."

    Und trotzdem eignete sich die Geschichte um die Germanen, die einst der Römer Tacitus aufschrieb, hervorragend, um einen Kult zu kreieren, so Mahsarski:

    "Die römischen Autoren schreiben nicht allzu viel zu den Germanen. Sie haben quasi nen Weltteil, nämlich das heutige Mittel-Europa, was sie als Germania bezeichnen. Und sie machen aber keine genauen Angaben, wie weit das jetzt tatsächlich nach Osten reicht, was alles dazugehört. Sie haben zum Teil ja auch nur sehr grobe Vorstellungen."

    Die Verquickung von Germanen-Mythos und Kultur und Wissenschaft begann bereits vor der Nazizeit, im 19. Jahrhundert. Kinder und Jugendliche lasen Germanensagen, Richard Wagner schrieb seine Oper "Die Walküre". Schon damals, also vor mehr als 100 Jahren, waren klare rassistische Unterklänge auszumachen, sagt Karin Walter, die Ausstellungskuratorin:
    "Ja, einen anderen Aspekt, den wir noch zeigen, ist die Anthropologie. Da sind die Gebrüder Lindenschmitt, die 1848 in der Nähe von Mainz, in Selzen, gegraben haben, da unter anderem Schädel gefunden haben und aus den Funden geschlossen haben, dass das Germanen gewesen sein müssen, und die Schädelform dann als typische Schädelform von Germanen gesehen haben. So hat es damit angefangen, dass man Menschen an der Schädelform erkennen würde, zu welcher "Rasse" sie gehören. Etwas, was ja dann, zur Zeit des Nationalsozialismus, weitergetrieben worden ist."

    Nicht alle Wissenschaftler der Zeit unterstützten das rassistische Germanenbild. Der Arzt Rudolf Virchow zum Beispiel übte klar Kritik; ebenso der Anthropologe Johann-Friedrich Blumenbach. Doch im "wissenschaftlichen Mainstream" setzte sich der Germanen-Mythos durch. Mitnichten wurde Wissenschaftlern etwas aufgedrückt. Sie trugen vielmehr dazu bei, das Germanen-Bild maßgeblich zu formen; allen voran die Archäologen, deren Fach zur NS-Zeit regelrecht aufblühte. So steht es auch über einem Glasgang, der die Besucher von einem Ausstellungsraum in den anderen bringt.

    Dirk Mahsarski:
    "Die Universitäten insgesamt schrumpfen ja im Nationalsozialismus, das Fach "prähistorische Archäologie" boomt. Es gibt Unmengen an neuen Lehrstühlen, es gibt jede Menge neue Studierende, die das Fach studieren. Es wächst deutlich antizyklisch, und das mit Geldern, die eben an weniger ideologisch wertvollen Stellen eingespart werden. Oder es werden dann Mittel von entlassenen jüdischen Professoren umgewidmet und ähnliches."

    Auch Nichtakademiker wurden von Archäologen unterrichtet, zum Beispiel mit Aufsätzen in populärwissenschaftlichen Zeitschriften oder mit Ausstellungen, die Repliken von angeblichen Germanen-Funden zeigten. Das Focke-Museum war direkt involviert, denn der frühere Leiter, Ernst Grohne, engagierte sich sehr für die Archäologie; ganz im Sinne der NSDAP.

    Karin Walter:
    "Das ist ein Teil seiner Persönlichkeit. Der andere Teil seiner Persönlichkeit ist, dass er 1939, mit Kriegsausbruch, das Museum geschlossen hat, alles ausgelagert hat, ein Großteil der Sammlung gerettet wurde. Er ist auch nach 1945 Museumsleiter gewesen. Man kann‘s einfach nur offenlegen, indem man sagt: so ist es. Also, so ein endgültiges Urteil ist, finde ich, auch sehr schwer zu fällen. Man muss es ja auch immer in seiner Zeit zeigen. Aus heutiger Sicht den Finger zu heben ist ein bisschen schwierig."

    Dass Grohne die Nazizeit genutzt hat, um seine Forschungen voranzutreiben, scheint inzwischen erwiesen. Andere haben es genauso gemacht. Auch sie konnten ihre Karrieren nach Kriegsende zum größten Teil nahtlos weiterführen. "Der Mythos geht weiter" ist die Überschrift des letzten Raumes der Ausstellung. Dort werden die Karriereleitern derer ausgestellt, die vor, während und nach der Diktatur als Archäologen tätig waren. Daneben: eine Vitrine mit Exponaten, die jeder aus dem Alltag kennt. 2010 titelte "Der Spiegel" mit den sogenannten "Ur-Germanen", eine Spielzeugfirma brachte vergangenes Jahr ein paar neue Heldenfiguren auf den Markt. "Der gefürchtete Nordmann" hieß eine von ihnen, und sogar der Mythos, Germanen seien besonders trinkfest, hält sich bis in die Jetztzeit, zeigt Karin Walter:

    "Letztes Jahr hat eine Brauerei in Mannheim, die Eichbaum-Brauerei, ein Bier des Jahres kreiert, das heißt "Der goldene Germane". Und wenn man sich das Etikett auf der Flasche anschaut und dann gesehen hat, wie in der Zeit des Nationalsozialismus eine Werbung für ein "Germanen-Bier" gab, erschreckt es einen doch, was für Parallelen da sind. Und das ist eigentlich das, was wir in der Ausstellung zeigen wollen, dass man dann nächstes Mal vielleicht reflektierter mit dem Thema umgeht, wenn man da so einen Germanen sieht und man dann sagt, dass das einfach auch einen ideologischen Hintergrund hat, den man doch eigentlich gar nicht möchte."

    Deutschlandradio Kultur ist Medienpartner der Ausstellung.

    Die Ausstellung "Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz" wird am Samstag, den 9. März eröffnet. Ab Sonntag, den 10. März ist für Besuch geöffnet. Sie läuft bis 8. September 2013. Empfehlung der Kuratorin: Für Besucher ab Klasse 10.
    Der sehr ausführliche Katalog beschäftigt sich nicht nur mit der Ausstellung. Die darin enthaltenen Aufsätze gehen darüber hinaus und in die Tiefe. Kann man auch lesen, ohne in der Ausstellung gewesen zu sein.
    "Graben für Germanien - Archäologie unterm Hakenkreuz", erschienen im Konrad Theiss Verlag in Stuttgart. ISBN 978-3-8062-2673-7. Preis: 29,95/24,95 Euro für die Museumsausgabe