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"Grande Dame des russischen Museumswesens" tritt ab

Irina Antonowa gibt nach 52 Jahren die Leitung des Puschkin-Museums in Moskau ab. Mit ihrem Abschied ginge eine Ära zu Ende, die die deutsche Geschichte maßgeblich beeinflusst habe, sagt Martin Roth. Die 91-Jährige hat jahrzehntelang die Existenz von Geheimdepots mit aus Deutschland stammender Beutekunst verschwiegen.

Martin Roth im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 01.07.2013
    Stefan Koldehoff: Irina Antonowa war und ist eine Institution in der Kunstwelt. Nikita Chrustschow machte die studierte Kunsthistorikerin zur Direktorin des Puschkin-Museums in Moskau – das war 1961, vor 52 Jahren also. Und seitdem ist jeder Regierungs- und Regimewechsel spurlos an der heute 91-Jährigen vorübergegangen. Weder der Umstand, dass sie jahrzehntelang die Existenz von Geheimdepots mit aus Deutschland stammender Beutekunst verschwiegen hat, noch ihre Weigerung, über die wenigstens teilweise Rückgabe zu verhandeln, haben ihr geschadet. Umso überraschender kam heute aus Moskau die Mitteilung, Irina Antonowa werde nun ihren Posten verlassen und künftig – nur noch, muss man wohl sagen - als Präsidentin des Museums fungieren. Ein totaler Rückzug ist das natürlich nicht. - Martin Roth, ehemals Generaldirektor der Staatlichen Kunstmuseen Dresden und heute des Victoria and Albert-Museums in London, kennt Irina Antonowa seit vielen Jahren sehr gut. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, wen die Kunstwelt nun als aktives Mitglied verliert.

    Martin Roth: Was man vielleicht wirklich zu allererst sagen muss ist, dass es schon das Ende einer gigantisch großen Ära ist und dass es auch das Ende einer Sowjetära ist. Der Kalte Krieg ist irgendwie ja auch vorbei, aber mit diesem Rücktritt ist wirklich ein Geschichtsbuch zugeschlagen, das mehr als aufregend ist und auch die deutsche Geschichte maßgeblich mit beeinflusst hat.
    Was ich immer an ihr mochte – und ich glaube, das impliziert ja auch Ihre Frage – ist, dass sie eine sehr ungewöhnliche Person ist. Ich hatte heute Morgen – und das ist eine seltsame Koinzidenz – Konstantin Akinsha hier bei mir zu Besuch. Da klingelte plötzlich das Telefon und dann kam die Nachricht, und Konstantin sagte, dass sie schon seine Gegnerin war, immer seine Feindin, wenn es sich um die Rückgabe von Kunstgut handelte.

    Koldehoff: Konstantin Akinsha – das muss man erklären – war einer der zwei, der andere war Gregori Kozlov, die relativ früh schon die russischen Beutekunstdepots überhaupt öffentlich gemacht haben, deren Existenz unter anderem Frau Antonowa bis dahin immer bestritten hatte.

    Roth: So ist es, aber der auf einer anderen Ebene immer ihre klaren Prinzipien akzeptieren konnte und bewundert hat, und mir geht es genauso. Sie ist eine starke Persönlichkeit mit großer Bildung. Ich habe sie erst letzten Freitag in Amsterdam wieder gesehen. Sie spricht hervorragend Deutsch, wie wir wissen, ist in Berlin aufgewachsen. Sie ist schon eine sehr ungewöhnliche Frau mit einer sehr klaren politischen Haltung.

    Koldehoff: Und diese klare politische Haltung war eine, die uns Deutschen nicht immer gut gefallen hat. Sie war 1945, als die Sowjetarmee Berlin befreit hat, Mitglied einer sogenannten Trophäenkommission, also einer jener Gruppen, die dann Kunstwerke abtransportiert haben aus Deutschland in Richtung Osten. Vieles davon ist – Sie waren Generaldirektor der Dresdner Museen, Herr Roth – zurückgegeben worden an die DDR, Mitte der 1950er-Jahre. Vieles ist aber auch nach wie vor in Russland, in Depots, von denen wir alle nicht so ganz genau wissen, was sich da eigentlich alles noch befindet. Was glauben Sie, warum gibt sie jetzt das Amt der Museumsdirektorin, dieses mächtige Amt auch im Hinblick auf die sogenannte Beutekunst, auf? Freiwillig?

    Roth: Das sind jetzt drei verschiedene Anmerkungen, die ich gerne dazu machen würde. Das erste ist, dass sie, Irina Antonowa, immer darauf bestanden hat, dass sie nicht mit der Trophäenkommission in Berlin oder Dresden war, um einzupacken, sondern sie war mal sogar ganz beleidigt und betroffen, wenn man das gesagt hat, sondern sie bestand darauf, dass sie in Moskau war, um auszupacken. Ob das die Situation maßgeblich verändert, weiß ich nicht, aber sie bestand immer darauf.

    Das Zweite ist, dass sie zumindest eines möglich gemacht hat, und das muss man ihr schon lassen - und das war sozusagen auch meine Strategie, die ich in all den Jahren in Dresden verfolgt habe und auch schon fünf Jahre vorher, als ich Präsident des Deutschen Museumsbundes war -, dass wir nämlich versuchen, zusammenzuarbeiten mit russischen Museen und russischen Kollegen, um die Provenienzforschung gemeinsam betreiben zu können. Das war sozusagen unser Ziel herauszufinden, wo die Objekte sind, sie gemeinsam zu bearbeiten, zu pflegen, zu konservieren, zu restaurieren und dann irgendwie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich war sehr überrascht über Angela Merkels deutliche Worte, die sie in Sankt Petersburg getroffen hat diese Woche, denn ich denke, ohne das jetzt weiter kommentieren zu wollen, auf der anderen Seite, auf der inhaltlichen Seite sind wir doch schon auch relativ weit gekommen, und das hat sie, Irina Antonowa, immerhin doch irgendwie zugelassen.

    Und die letzte Frage von Ihnen – da gehen jetzt natürlich die Spekulationen los. Einige glaubten, dass sie eher gesichert war aufgrund des neuen Streites, den sie begonnen hat, der sie aber schon seit langer Zeit irgendwie beschäftigt hat, nämlich sie wollte ja Kunstwerke zurück aus Sankt Petersburg, die in den 30er- und 40er-Jahren nach Sankt Petersburg verbracht worden sind aus dem Puschkin-Museum. Nun kam es anders herum; vielleicht war genau dies nun der Grund, dass sie gehen musste, man weiß es nicht. Aber sie ist 91 Jahre alt und Grande Dame des russischen Museumswesens. Das ist natürlich schon auch ein Moment des Abschieds, keine Frage.

    Koldehoff: Was könnte das denn bedeuten für die deutsch-russischen Verhandlungen? Könnte sich da jetzt was ändern in den bilateralen Beziehungen?

    Roth: Das ist, ganz ehrlich, eine extrem schwierige Frage. Aber in der Tat sind wahrscheinlich so einige Fehler gemacht worden, vor allen Dingen nach der Perestroika-Zeit Anfang der 90er-Jahre. Es gibt natürlich nach wie vor unendlich viele Fragezeichen und Probleme, die wir mal irgendwie bewältigen müssen. Das steht einfach zwischen uns. Deshalb hängt es jetzt natürlich extrem davon ab, wer die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Irina Antonowa ist. Wenn das jemand ist, der schon viel mehr in internationalen Dimensionen denkt, dann gibt es schon mal eine ganz andere Dimension in dieser Kooperation. Deshalb wollen wir mal sehen, was Putin entscheidet und wer hier eingesetzt werden wird. Es ist zumindest eine der maßgeblichsten Positionen weltweit.

    Koldehoff: Martin Roth über Irina Antonowa, die mit 91 Jahren in den Ruhestand geht. Marina Loschak wird die Nachfolgerin übrigens heißen - 57 Jahre jung, Kunstwissenschaftlerin und Galeristin.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.