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Grantige Instanz

In den 60er Jahren war er der Meister des österreichischen Kabaretts. Mit Charakteren wie dem "Herrn Karl" sezierte Helmut Qualtinger auf der Bühne gnadenlos die Eigenschaften, die ihm an seinen Mitmenschen am meisten zu schaffen machten: Denkfaulheit, Gedankenlosigkeit und Mitläufertum.

Von Agnes Steinbauer | 29.09.2006
    "Mir basst nix, wos basst, i setz auf Ruin, gegen ma Ignoranz gibt’s ka Medizin."

    Helmut Gustav Friedrich Qualtinger - auch Quasi genannt - besingt den Kern seines eigenen Wesens. Rachsucht war eine seiner herausragendsten Eigenschaften, erinnert sich Künstler-Freund Michael Kehlmann in dem Buch "Der Qualtinger":

    "Die Sprachtäter überführte er wie ein Kriminalkommissar. (…) Er verfolgte den Tonfall fremder Zungen bis in die verräterischsten Schlupfwinkel."

    "Schauns, was ma uns da nacha hat vorg’wurfn – des war ja alles ganz anders – net - da Dänenbaum hat des aufwischn müssen - ned er allans, naaa - die anderen Juden scho a da Hausmasta hod zuagschaut und hod g’lacht. Alles, was man heute darüber spricht, ist falsch. Ws war eine herrliche, schöne, ich möchte die Erinnerung nicht missen müssen.""
    Die Banalität des Bösen im Alltag - Helmut Qualtinger entlarvte sie gnadenlos in der Figur des "Herrn Karl". Mit ihm wurde er 1961 auch international bekannt. In Österreich machte ihn "der Herr Koal" zum Nestbeschmutzer; schließlich war der "Jedermann" aus Wien kein angenehmes Spiegelbild, sondern der Inbegriff des gedankenlosen Brandstifters und Mitläufers, der seine Nazi-Vergangenheit verklärt.

    In der Nachkriegszeit tauchte Qualtinger in die neue, subversive Wiener Literatenszene ein - oft schwer bepackt mit Lektüre von Nestroy, Schnitzler, Ödon von Horvath, Kafka oder Karl Kraus, dessen berühmtester Interpret er später wurde. Er galt als "Bücherfresser", erzählt sein Freund Andre Heller:

    ""Das, wovon seine Dickheit gekommen ist, war sicher nicht vom Essen, sondern vom Lesen. Er war einer der belesensten, gebildetsten, klügsten Menschen, denen ich je begegnet bin."

    An fünf verschiedenen Wiener Gymnasien hatte Qualtinger die Nerven seiner Lehrer ruiniert, war jedoch immer durch ungeheuren Wissensdurst aufgefallen:

    ""Mi wundert gar net, was im Weltall g’schieht. Ich kenn mi dort genauso aus, wie bei uns im Gemeindebau.""

    Qualtingers Vater war Naturwissenschaftler. "Ich bin Chemiker - mein Sohn ist Komiker", soll der gesagt haben. Qualtinger gab an der medizinischen Fakultät nur ein kurzes Intermezzo und schlug sich nach dem Krieg als Journalist durch. Er veröffentlichte Filmkritiken und erste Satiren in der Wiener Zeitung "Welt am Abend". Mit seinem Talent zur Parodie stand er immer im Mittelpunkt: in Kneipen, Wohnzimmern oder auf der Straße. Dort sorgte er einmal als russischer Hauptmann verkleidet für Aussehen, erinnert sich der Schauspieler Hans Konarek - mit einer Parodie auf die Besatzungsmacht, eine nicht ungefährliche Eskapade. Nur mühsam konnte sich Quasi mit Schnaps und Zigaretten aus sowjetischer Haft befreien. Seine erste Frau Leomare Seidler nannte ihn den '"Eulenspiegel von Wien, der von Streichen lebte".

    In den 50er Jahren feierte Qualtinger mit Gerhard Bronner, Carl Merz und Louise Martini große Erfolge mit den Kabarettprogrammen "Dachl übern Kopf", "Spiegl vorn G’sicht" oder "Brettl vorm Kopf". Auch der Vorläufer des "Herrn Karl" entstand in dieser Zeit. Hier in einem Sketch mit Gerhard Bronner:

    "Herr Travnicek, nächsten Sonntag geht doch der pflichtbewusste Staatsbürger zur Wahl."

    ""Na, wenn's regnet und er kane Kinokoaten kriegt, kann er ja zur Wahl gehen.""

    Gerhard Bronner: "Für den Qualtinger zu schreiben, war ein echtes Vergnügen, man konnte sich bei jeder Zeile vorstellen, was er draus machen würde, später ging das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr, das war leider schon der Niedergang."

    "A Schwipserl, a Spitzerl a Reischerl, a Schwüh, ma braucht zur Seeligkeit zwa, drei Promül.""

    "Ich bin eine gewaltiger Trinker, ich kann jederzeit mit dem Trinken aufhören, wenn ich will - ich will aber nicht."

    Darin war Helmut Qualtinger konsequent bis zum bitteren Ende. In den 70er Jahren konnte er nicht mehr Kabarett spielen. Die grantige Instanz Wiens machte sich nun mit Karl-Kraus-Interpretationen einen Namen und provozierte mit Zitaten aus "Mein Kampf".

    Helmut Qualtinger starb am 29. September 1986 an Leberzirrhose in Wien. Gegen das Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof konnte er sich nicht mehr wehren.