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Graues Naxos aus Pappe

Die Baden-Badener "Ariadne" unter der Regie von Philippe Arlaud hinterlässt einen ambivalenten Eindruck : musikalisch grandios, szenisch unterbelichtet.

Von Kirsten Liese | 19.02.2012
    "Antinomie von Sein und Werden" nannte Hugo von Hofmannsthal das Grundthema seiner "Ariadne auf Naxos", der dritten gemeinsamen Oper mit Richard Strauss. Um zwei gegensätzliche Daseinsformen geht es, die Figuren Ariadne und Zerbinetta personifizieren sie. Ariadne hält an ihrer Liebe fest bis zum Erstarren in Leblosigkeit, nachdem sie verlassen wurde. Zerbinetta flattert von einer Verliebtheit zur nächsten.

    Aber schließen sich diese Lebensprinzipien tatsächlich aus? Philippe Arlaud geht dieser Frage nicht auf den Grund. So vermittelt sich das Gegenüber von komischer und tragischer Oper, von ernst und heiter, Sein und Schein in der Baden-Badener Aufführung letztlich nur über den Librettotext.

    Über weite Strecken recht statisch wirkt Arlauds jüngste Regiearbeit, für die er kaum mehr aufzubieten hat als clowneske Elemente. Asketisch weiß ist seine Bühne, die mit einer von breiten Säulen flankierten Treppe und einem Herrenensemble mit schwarzen Fräcken und Zylindern, atmosphärisch an ein Revuetheater erinnert. Doch gibt es auch viel Buntes: Luftballons, Schuhe, Hüte, glitzernde Fummel in allen Farben - und manch alberne Späßchen. Im Laufe des Abends baumeln viele Requisiten am Bühnenhimmel, darunter auch die Insel Naxos als graues Pappmaché. Doch reichen solche Effekte nicht aus, um den Kern des Stücks, das Wunder der Verwandlung zu erfassen.

    Treue, sagt Hofmannsthal, führt unweigerlich in den Tod, hält man am Verlorenen fest. Wer weiterleben will, muss über schmerzreiche Enttäuschungen hinwegkommen. Eine solch postulierte innere Verwandlung bleibt aber nur eine Behauptung, hat doch der Regisseur vor allem seine Titelheldin in ihren großen Szenen allein gelassen. Mit ihrem kultivierten Schöngesang vom tiefen As des "Totenreichs" zu strahlenden Höhen, ihren weiten melodischen Bögen und Ausdrucksreichtum aber macht die amerikanische Starsopranistin Renée Fleming die Ariadne zum musikalischen Kraftzentrum des Premierenabends.

    Richard Strauss' Partitur sieht eine kleine Besetzung vor, bietet erweiterte Kammermusik auf höchstem Niveau, und so interpretierte sie die Sächsische Staatskapelle unter Christian Thielemann: mit spielerischer Eleganz, präzisen Zuspitzungen und warmem Seelenton. Schließlich ist "Ariadne auf Naxos" in erster Linie auch eine Sängeroper: Im Vorspiel dominiert der Komponist, den Sophie Koch mit Verve und stimmlicher Intensität spielt. Jane Archibald meistert höchst achtbar den Koloratur-Hochseilakt ihrer Zerbinetta.

    Völlig unnötig und wenig vorteilhaft wirkt auch die von Hofmannsthal und Strauss nicht vorgesehene, in Baden-Baden aber anberaumte Pause nach dem Vorspiel. Unnötig reißt sie ein Stück aus einem Guss in zwei Teile. Schließlich ist die zweieinhalbstündige "Ariadne" schon das Resultat einer umfangreichen Bearbeitung seitens der Autoren. Ursprünglich hatten Strauss und Hofmannsthal ein Vorspiel zu Molières Komödie "Der Bürger als Edelmann" konzipiert. Die Kombination aus Schauspiel und Oper bewährte sich jedoch nicht, das Stück war mit fünf Stunden deutlich zu lang.

    Lang wird der Premierenabend in Baden-Baden trotz genannter Defizite indes nicht. Alles in allem hinterlässt die Baden-Badener "Ariadne" einen vergleichbar ambivalenten Eindruck wie Christian Thielemanns "Frau ohne Schatten" in Salzburg und sein Bayreuther "Ring", inszeniert von Tankred Dorst: musikalisch grandios, szenisch unterbelichtet.