Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Grauzone
Harmlose Bilder oder Kinderpornografie?

Derzeit überschlagen sich Politiker aller Fraktionen und fordern schärfere Gesetze gegen Kinderpornografie. Der Verkauf von Nacktbildern sollte unter Strafe gestellt werden, wünscht sich auch Maren Ruden, die selbst missbraucht wurde. Kinderpornografie sei für viele Täter eine Art Einstiegsdroge.

Claudia van Laak | 20.02.2014
    Eine Fotografin vom Landeskriminalamt im brandenburgischen Eberswalde bearbeitet Einzelbilder von einer Videokamera von einem Fall, in dem es um Kinderpornographie geht.
    Untersuchung im Landeskriminalamt: Kinderpornografie als eine Art Einstiegsdroge? (dpa / picture alliance)
    Ein Café in der Berliner Friedrichstraße. Maren Ruden hat den Treffpunkt vorgeschlagen, sie bestellt Wasser, eine heiße Schokolade. Die 51-Jährige hat den Verein "Die Rose" gegründet, eine Selbsthilfegruppe von Frauen, die als Kinder sexuell missbraucht wurden, die Opfer von Pädophilen geworden sind. Kinderpornografie, das ist für viele Täter eine Art Einstiegsdroge, sagt Maren Ruden:
    "Bei mir waren es Missbrauchsübergriffe, die im engsten Familienkreis passiert sind, das waren Berührungen, aber ich weiß auch, dass der Täter sehr viel von Nacktfotos von Geschlechtsteilen hielt."
    Der Täter - das ist ihr Vater. Er hat Maren Ruden als Jugendliche missbraucht. Ein Horror allein diese Tatsache. Doch für die 51-Jährige kam es noch schlimmer - ihr Vater vergriff sich auch an ihren beiden Töchtern, als diese sechs und zehn waren. Die persönlichen Erfahrungen haben Maren Ruden dazu gebracht, sich ehrenamtlich und politisch zu engagieren - sie war Mitglied am Runden Tisch der Bundesregierung. Wie die meisten Expertinnen und Experten sagt sie: Allein die Herstellung von Fotos und Filmen mit nackten Kindern ist Missbrauch:
    "Denn die Kinder wussten nicht, warum sie fotografiert und gefilmt worden sind. Man weiß nicht, wie lange diese Fotos im Netz kursieren, man weiß nicht, welche Schäden diese Kinder davongetragen haben, in meinen Augen ist es auch eine Form von Missbrauch."
    Ampelsystem für Sexualstraftäter
    Und deshalb wünscht sie sich, dass künftig der Verkauf solcher Nacktfotos unter Strafe gestellt wird. Produzenten der Fotos sind in den meisten Fällen im Graubereich tätig, sie bieten Bilder und Videos als Serien an. Christoph Ahlers, klinischer Sexualpsychologe:
    "Wir finden da Bilder mit Kindern, die sind ganz klar im harmlosen grünen Bereich, niemand würde da sagen, das ist verboten, aber wir finden dieselben Kinder in erotischen Posen wieder, die sie einnehmen müssen, und letztlich sehen wir dann dieselben Kinder, die sexuell missbraucht werden und das auch gefilmt wird, das macht die Sache ungeheuer schwierig."
    Seit zehn Jahren therapiert Christoph Ahlers Sexualstraftäter und Männer, die von ihren pädophilen Neigungen wissen, aber nicht zu Tätern werden wollen. Er hat für sie einen Verhaltensleitfaden entwickelt, ein einfaches Ampelsystem. Das Ziel:
    "Wie kann ich einen verantwortlichen Umgang mit sexuell erregenden Bildern lernen. Sodass durch meinen Konsum weder Personen mittelbar geschädigt werden noch ich mich durch mein Verhalten strafbar mache."
    Bei FKK-Bildern, Strandfotos, Unterwäschekatalogen blinkt die Ampel grün - keine Gefahr für die Kinder und für potenzielle Täter. Bei Posing-Bildern - nackte Kinder in besonderen Positionen - ist die Ampel gelb. Das bedeutet: Diese Fotos und Videos stellen eine potenzielle Gefahr für Kinder und Pädophile dar. Die rote Ampel bedeutet Stopp: Pornographische Darstellungen sind verboten. Der Sexualtherapeut Christoph Ahlers versucht seinen Patienten klarzumachen:
    "Sobald ich in geschützten Bereichen nach Bildern suche, in speziellen anmeldungsbedürftigen Bereichen des Internets, Newsgroups, Foren, im Darknet, so wie es heißt, sobald ich mich da hineinbegebe, dann ist eigentlich programmatisch klar, dass selbst grüne Bilder nur eine Auftaktserie für Bilder sind, die rot enden."
    Sperren und Löschen der Seiten bringt nichts
    Als Ursula von der Leyen noch Familienministerin war, verkündete sie den Kampf gegen Kinderpornografie im Internet. Ihr damaliger Vorschlag war, einschlägige Seiten im Netz sperren zu lassen. Diese Initiative scheiterte am Koalitionspartner FDP und an Netzaktivisten, die die damalige Ministerin zur "Zensursula" erklärten. Nun ist es das Ziel, einschlägige Seiten zu löschen - schwierig, wenn nicht unmöglich, wenn die Server im Ausland stehen. Der zwischenzeitlich verstorbene Staatsanwalt Marko Thelen:
    "Der Inhalt der Seiten ist auf einer Vielzahl von Servern gespeichert, als Ersatz, sodass das Sperren einer Seite und das Löschen einer Seite nicht viel bringt. Denn drei Tage später haben Sie die Seite absolut identisch wieder am Netz. Natürlich sind Sperren und Löschen gangbare Wege, um kurzfristig ein Ärgernis zu produzieren. Allerdings dauerhaft wird man das Problem nicht aus dem Weg bekommen."
    Wo es Nutzer gibt, da ist ein Markt, ein äußerst lukrativer dazu. Pornoproduzenten missbrauchen Kinder in asiatischen und osteuropäischen Ländern, beuten sie aus. Und der Nutzer, das ist der nette Nachbar von nebenan, der Lehrer, der Polizist, der angesehene Politiker. Maren Ruden beobachtet:
    "Ein Zurückweichen vor der Thematik, dieses Gefühl, das ist schmutzig, man möchte es nicht anfassen. Und hier: Man möchte diesen Fall möglichst schnell lösen, man möchte den Politiker am liebsten schnell aus der Partei rauswerfen, um das Thema schnell für sich beendet zu haben, aber das ist nicht der richtige Weg."
    Zum Schluss schenkt Maren Ruden der Reporterin noch einen Marienkäfer aus Schokolade und eine Karte mit einem Schutzengel. Sie greift zur Handtasche - darauf ein Foto der Familie - Maren Ruden mit ihrem Mann und den zwei erwachsenen Töchtern. Auf dem Foto sehen sie glücklich aus.