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Greenpeace-Experte
"Die Union ist der größte Bremser beim Klimaschutz"

Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup hält es für richtig, dass die Bundesländer das Klimapaket der Bundesregierung blockiert haben. Es fehlten wichtige Punkte wie der Kohleausstieg oder die Abkehr vom Verbrennungsmotor, sagte er im Dlf. Vor allem die Union sei nicht zu solchen Maßnahmen bereit.

Tobias Austrup im Gespräch mit Peter Sawicki | 09.12.2019
Ein SUV rauscht durch die Innenstadt.
In der Debatte um das Klimapaket befürwortete Tobias Austrup von Greenpeace ein CO2-Dividende als Kopfpauschale: "Wer unbedingt einen SUV kaufen will, der würde dann vermutlich mehr bezahlen." (picture alliance/ZUMA Press)
Peter Sawicki: Eigentlich war die Marschroute der Bundesregierung beim Thema Klimaschutz schon klar. Bis 2030 sollen die Klimaziele mit einem Maßnahmenpaket doch noch erreicht werden – unter anderem mit einem erstmaligen Preis für CO2, der zunächst zehn Euro pro Tonne betragen soll. Dann gingen die Bundesländer dazwischen, aber vor allem bei Aspekten wie der Senkung der Mehrwertsteuer für Bahntickets oder der Erhöhung der Pendlerpauschale. Die Bundesländer befürchten nämlich Steuerausfälle. Ab heute soll der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat eine Lösung finden. Was davon zu erwarten sein könnte, das können wir jetzt Tobias Austrup fragen. Er ist Verkehrsexperte bei der Umweltorganisation Greenpeace. Schönen guten Morgen, Herr Austrup.
Tobias Austrup: Guten Morgen! – Ich grüße Sie.
Sawicki: War es richtig von den Bundesländern, das Klimapaket zu blockieren?
Austrup: Ja, ich glaube, dass es richtig ist. Jedem Beobachter ist klar, dieses Klimapaket war eine Farce. Es ist keine Antwort auf die Herausforderungen, die uns der Klimawandel stellt. Es war viel zu wenig. Wir müssen erwarten, dass dieses Paket, wenn es gut läuft, gerade mal die Hälfte der notwendigen Einsparungen erbringen wird. Von daher ist es sinnvoll, dass die Grünen jetzt ihren Hebel nutzen und versuchen, dieses Paket noch zu verbessern. Gleichwohl, man muss sagen: Ein richtig gutes Klimapaket wird es auch mit den Grünen daraus nicht werden. Dafür ist die Vorlage, die wir haben von der Großen Koalition, einfach zu schlecht.
"Vom 2030-Ziel sehr, sehr weit entfernt"
Sawicki: War es auch sinnvoll, günstigere Bahntickets weiter hinauszuzögern?
Austrup: Das Problem ist: Der Bundesrat kann nur über einen Teil des Klimapakets mitbestimmen. Der andere ist nicht zustimmungspflichtig. Das heißt, sie müssen jetzt in diese Fragen der Finanzierung hineingehen. Dort haben sie einen Hebel, um sich in diese Gespräche reinzubringen. Das hat sicherlich nichts damit zu tun, dass die Grünen kritisch sind, was die Senkung der Bahnpreise angeht. Das ist kein inhaltlicher Aufhänger, sondern das ist der Aufhänger, um an den Verhandlungstisch zu kommen. Ich glaube, so muss man das auch einordnen.
Sawicki: Blicken wir noch mal kurz auf das Klimapaket, so wie es bisher Bestand haben soll. Was ist falsch daran, Elektroautos zu fördern oder beispielsweise klimafreundliches Sanieren von Häusern?
Austrup: Es fehlen einfach sehr, sehr basale und enorm wichtige Maßnahmen. Wir brauchen einen schnelleren Kohleausstieg. Wir brauchen eine Abkehr vom Verbrennungsmotor. Wir brauchen eine Reduktion der Tierbestände. Das sind drei große Hebel, die praktisch gar nicht angegangen werden, sondern man fördert hier ein wenig, man fördert dort ein wenig. Das basiert auf dem Prinzip Hoffnung. Leider kann ich diese Hoffnung nicht teilen.
Sawicki: Da ist ja das Argument, dass es ein erster Schritt sein soll.
Austrup: Ja, natürlich ist das ein erster Schritt. Der Koalitionsvertrag sagt allerdings, man wolle dieses 2030-Ziel verlässlich einhalten. Davon ist man sehr, sehr weit entfernt, und von daher sind sowohl die Ambitionen der Grünen jetzt im Bundesrat als auch die Nachbesserungen, die die neue SPD-Spitze einfordert, nötiger denn je.
"Union muss sich dringend bewegen"
Sawicki: Dann schauen wir mal auf das, was erreicht werden könnte, wenn Sie sagen, dass Sie ohnehin keine großen Änderungen erwarten. Was können Sie sich vorstellen, was erreicht werden könnte?
Austrup: Wir hören jetzt, sowohl die Grünen als auch die neue SPD-Spitze wollen einen höheren CO2-Preis. Das ist erst mal sehr, sehr sinnvoll. Wir hören aus der Wissenschaft, unter 50 Euro tut sich sehr, sehr wenig. Darunter wird er keine Lenkungswirkung entfalten. Die SPD-Spitze will jetzt mit 40 Euro als Forderung da reingehen. Die Grünen signalisieren auch, 40, 50 Euro, das wäre ihre Vorstellung. Das wäre schon ein erheblicher Fortschritt für den Klimaschutz in Deutschland.
Sawicki: Dagegen sträubt sich aber die Union. Das heißt, wie realistisch ist, dass es in diese Richtung überhaupt geht?
Austrup: Wir müssen leider feststellen, dass die Union sehr, sehr wenig bereit ist, ausreichende Maßnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen. Es ist völlig außer Frage: Im Moment ist die Union der größte Bremser beim Klimaschutz. Das ist auch nicht völlig neu, aber immer wieder aufs Neue erschreckend. Diese Partei ist nicht bereit, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, die uns von Wissenschaftlern empfohlen wurden. Das haben wir jetzt auch gesehen im Verkehrsbereich, wo das Umweltbundesamt noch mal eine Studie in der letzten Woche veröffentlicht hat, die andeutet, wie weit eigentlich die Maßnahmen allein im Verkehrssektor entfernt sind von dem, was eigentlich nötig wäre. Die Union muss sich da dringend bewegen. Das hat weniger parteipolitische Hintergründe. Es geht jetzt nicht darum, die Koalition zu retten, sondern das Klima zu retten.
Sawicki: Gut, dass Sie diese Studie ansprechen, oder das Papier des Umweltbundesamtes. Darauf wollte ich jetzt auch zu sprechen kommen. Das ist ja Ende vergangener Woche an die Öffentlichkeit geraten. Wenn wir mal kurz reinschauen: Als mögliche wichtige Maßnahmen gelten dort die Abschaffung der Pendlerpauschale und eine Erhöhung zum Beispiel beim Diesel des Preises für Diesel. Der sollte demnach um 70 Cent bis 2030 steigen. Sind das sozial verantwortungsvolle Vorschläge?
Austrup: Ja! Ich glaube, dass man diese Vorschläge auch so ausgestalten kann, dass es keine Überforderung der Bürger gibt. In der Debatte ums Klimapaket wurde die Idee hineingebracht, eine Klima-Dividende pro Kopf an die Bürger auszuzahlen. Darauf hat man verzichtet, das will man nicht tun. Das ist, glaube ich, sehr unklug, das nicht zu tun, denn wir müssen dazu übergehen, klimaschädliches Verhalten sehr deutlich zu verteuern, aber gleichzeitig auch Anreize zu schaffen für die Bürger, die einen geringeren CO2-Ausstoß haben. Und genau eine Klima-Dividende, ein Klimageld, je nachdem wie man es nennen will, würde das leisten. Dann würde ich pro Kopf Geld zurückbekommen. Wenn ich mich CO2-freundlich verhalte, steigen. Würde ich sogar unterm Strich mit einem Plus rausgehen. Wer aber unbedingt einen SUV kaufen will, der würde dann vermutlich mehr bezahlen, oder derjenige, der dreimal im Jahr in den Urlaub fliegt.
"Viel Ideologie in der Tempolimit-Debatte"
Sawicki: Die Union sagt dagegen, dass über die Erhöhung der Pendlerpauschale ein sozialer Ausgleich erfolgen soll. Warum soll das, was Sie jetzt geschildert haben, effektiver sein als das, was die Union bisher sich vorstellt?
Austrup: Die Pendlerpauschale reduziert ja die Steuerbelastung des Arbeitnehmers. Davon profitiert vor allem derjenige, der viele Steuern zahlt. Das ist derjenige, der ganz gut verdient. Von daher: Die Leute, die es wirklich brauchen, nämlich Menschen mit sehr geringen Einkommen, haben davon relativ wenig. Von daher ist sie nicht sozial ausgewogen, sondern stellt eigentlich die Leute besser, die sich einen höheren CO2-Preis auch einigermaßen gut leisten können.
Sawicki: Ein anderer Aspekt, der diskutiert wird, der jetzt auch beim SPD-Parteitag zur Sprache kam, ist ein Tempolimit auf Autobahnen. Das wurde aber neulich erst im Bundestag relativ deutlich abgelehnt. Warum sollte man sich jetzt trotzdem darauf einigen?
Austrup: Wenn ein Bundestag eine Maßnahme ablehnt, dann heißt das noch lange nicht, dass sie nicht sinnvoll war. Da steckt ja sehr, sehr viel Ideologie in dieser Debatte. Studien zeigen uns, ein solches Tempolimit hätte einen erheblichen CO2-Effekt. Wir sprechen da von drei bis fünf Millionen Tonnen. Das wird allein das Klima nicht retten, aber man muss sehen, es ist kostenlos. Es kostet praktisch nichts, abgesehen von ein paar Schildern, die man vielleicht aufstellen muss. Alle Welt redet darüber, der Klimaschutz dürfe nicht zu teuer werden. Hier hat man eine Maßnahme, die praktisch umsonst ist, aber aus ideologischen Gründen wird sie von der einen oder anderen Partei und dem einen oder anderen Politiker immer wieder vehement abgelehnt. Sinnvoll ist das nicht. Es erhöht auch die Verkehrssicherheit. Es bringt was fürs Klima. Also eine Maßnahme, die praktisch niemandem weh tut, außer natürlich irgendwelchen Rasern, die sich nicht an Regeln halten wollen.
Sawicki: Vielleicht noch kurz zum Schluss. Was glauben Sie? Gibt es vor Weihnachten noch eine Lösung, wie das vor allem bei der Bundesregierung der Wunsch ist?
Austrup: SPD und Union haben das als Zielmarke formuliert. Das Thema ist sehr, sehr komplex. Die Interessenlagen sind sehr, sehr unterschiedlich. Ob die Parteien das in der kurzen Frist hinbekommen, wird man sehen. Aber der Zeitplan ist auf jeden Fall ambitioniert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.