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Greenwalds Buch "Die globale Überwachung"
"Sammelt alles, schnüffelt alles aus, nutzt alles aus"

Der Journalist Glenn Greenwald hat Edward Snowden geholfen, den NSA-Skandal scheibchenweise ans Licht zu bringen. Morgen wird es wohl neue Schlagzeilen geben - denn Greenwalds Buch erscheint. Es hat alles, was einen spannenden Roman ausmacht, meint unsere Rezensentin. Die schiere Möglichkeit der Überwachung scheine die Verantwortlichen dazu zu bringen, jedes Maß zu verlieren.

Von Brigitte Baetz | 12.05.2014
    Der US-amerikanische Journalist Gleen Greenwald spricht am 10.04.2014 in Berlin mit Journalisten.
    "No Place to Hide" - so heißt das Buch von Glenn Greenwald im Original. Es gibt keinen Platz, sich zu verstecken: ein mehrdeutiger Titel. (Britta Pedersen, dpa picture-alliance)
    Dieses Buch ist das, was die Angelsachsen einen Page-Turner nennen: ein Buch, das man nicht aus der Hand legen mag, bis man es ausgelesen hat. Es besitzt alles, was einen spannenden Roman ausmacht: es gibt Helden und Schurken, es geht um Macht und Moral und um die Frage: was hat das alles mit mir zu tun?
    "Insbesondere für die jüngere Generation ist das Internet keine Domäne, die nur für bestimmte Zwecke benutzt wird. Es ist nicht nur unser Postamt und unser Telefon, sondern das Epizentrum der Welt – der Ort, wo sich praktisch das ganze Leben abspielt. Im Internet werden Freundschaften geschlossen, Lektüre und Filme ausgewählt, politische Aktionen organisiert, die privatesten Daten erstellt und gespeichert. Dort entwickeln wir unsere Persönlichkeit und unser Selbstgefühl und bringen es zum Ausdruck. Aus diesem Netzwerk ein System zur Massenüberwachung zu machen hat Folgen, die bislang mit den Überwachungsprogrammen keines Landes vergleichbar sind."
    Größter Überwachungsskandal der Welt
    Schreibt Glenn Greenwald, der Journalist, der gemeinsam mit der Dokumentarfilmerin Laura Poitras dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden geholfen hat, den größten Überwachungsskandal, den die Welt bislang gesehen hat, öffentlich zu machen. Die Geschichte, wie der erst 29-jährige Snowden über Monate zunächst unter Pseudonym vergeblich versucht, Kontakt zu Greenwald herzustellen, wie es dann über Laura Poitras dennoch gelingt, wie Greenwald und Poitras dann unter konspirativen Umständen nach Hongkong fliegen, die erste Begegnung mit Snowden in einem Luxushotel: das alles liest sich wie ein Spionagethriller.
    "Ohne bewusst darüber nachgedacht zu haben, war ich aus verschiedenen Gründen davon ausgegangen, dass Snowden älter sei, wahrscheinlich in den Fünfzigern oder Sechzigern. (...) Wer eine derart drastische Entscheidung trifft und sich selbst geradezu opfert, dachte ich mir, der musste Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte der Desillusionierung hinter sich haben. Dass dieser junge Bursche mein Informant sein sollte, der über all das geheime NSA-Material verfügte, war eines der verwirrendsten Erlebnisse meines Lebens. In Gedanken spielte ich rasend schnell die verschiedenen Möglichkeiten durch: Steckte da irgendein Schwindel dahinter? War ich umsonst um die halbe Welt geflogen?"
    Greenwald über Snowden: Hochintelligent, denkt strategisch
    Doch der junge Mann mit dem weißen T-Shirt und der modischen Nerd-Brille gibt in vollem Bewusstsein über die Tragweite seiner Entscheidung sein bisheriges Leben auf, um die Welt vor der Überwachungstätigkeit der NSA und anderer Geheimdienste wie z.B. des britischen GCHQ zu warnen. Snowden, sagt Greenwald, ist kein untergeordneter, kleiner IT-Experte, der zufällig an brisantes Material gelangt ist und aus persönlicher Frustration das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat. Greenwald zufolge ist er hochintelligent, denkt strategisch und plant jeden seiner Schritte genau. Er sei zudem ein Mensch mit hohen moralischen Maßstäben, die es ihm erlaubten, bei all der Gefahr, in die er sich begibt, einigermaßen ruhig und selbstsicher zu bleiben. Grundsätzliche Erwägungen sind es auch, die den ehemaligen Anwalt Greenwald antreiben. Er warnt davor, dass unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung ein System der Massenüberwachung etabliert wird, dessen Existenz allein schon ausreiche, um Andersdenkende mundtot tut zu machen.
    "Die US-Regierung hat Terrorismus in den vergangenen Jahren als Vorwand genutzt, die Folter wieder einzuführen, in den Irak einzumarschieren und ihn zu zerstören, Menschen ohne Anklage in Guantanamo festzuhalten und Menschen auf der ganzen Welt auszuschnüffeln. Man braucht kein Verschwörungstheoretiker zu sein, um das so zu sehen, sondern man muss nur Kenntnisse über die Geschichte haben."
    Die NSA-Dokumente, die Greenwald für sein Buch zusammengestellt hat, beweisen, wie umfangreich die Anstrengungen waren und noch sind, die Internet- und Telekommunikation, und zwar nicht nur in den USA, zu unterwandern - auch mit Hilfe der großen Firmen wie Facebook, Microsoft, Skype, Google und Apple. Es geht dabei nicht nur um das Privatleben möglicher "Zielpersonen", sondern in großem Umfang auch um internationale Wirtschaftsspionage. Nach Greenwalds Informationen fängt die NSA regelmäßig amerikanische Netzwerkgeräte ab und verwanzt sie, bevor sie zu internationalen Kunden transportiert werden. Allein die schiere Möglichkeit der Überwachung scheint die Verantwortlichen dazu zu bringen, jedes Maß und Ziel zu verlieren.
    "Es gibt da ein spezielles Dokument, das ich besonders aufschlussreich finde. Die NSA präsentierte es bei einer Geheimtagung der Five-Eyes, also der fünf verbündeten Geheimdienste der USA, Kanadas, Neuseelands, Großbritanniens und Australiens. Unter dem Titel "New Collection Posture" heißt es: Sammelt alles, schnüffelt alles aus, wisst alles, verwertet alles, nutzt alles aus."
    Gleichgültigkeit großer Teile der Öffentlichkeit
    Die Gesprächsunterlagen von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon vor einem Treffen mit Präsident Obama wurden anscheinend ebenso von der NSA ausgespäht wie auch 2010 die Abstimmungsabsichten von Mitgliedern des Weltsicherheitsrates in Sachen Iran-Sanktionen. Beim Lesen ist man überrascht, oft überhaupt nicht mehr überrascht zu sein: über die Programme etwa, die vorsorglich entwickelt wurden, um Handys im Flugzeug abzuhören - falls es einmal möglich und erlaubt ist, sie dort zu benutzen, oder das Eindringen der NSA in die diplomatische Infrastruktur ausländischer Botschaften. Doch nicht nur die Gleichgültigkeit großer Teile der Öffentlichkeit gegenüber staatlicher Überwachung macht es Enthüllern wie Glenn Greenwald schwer. Da ist das rigide Vorgehen der Regierung Obama gegen missliebige Journalisten, die zunehmend kriminalisiert werden, da sind Geheimdienste, die jenseits demokratischer Kontrolle zu stehen scheinen, da ist auch das regierungskonforme Verhalten der amerikanischen Mainstream-Medien, mit denen Greenwald streng ins Gericht geht.
    "Gemäß diesen Regeln, die es der Regierung ermöglichen, Enthüllungen selbst zu steuern und ihre Auswirkungen zu minimieren, oder gar zu neutralisieren, wendet sich die Redaktion zuerst an die Behörden und informiert sie darüber, was sie zu veröffentlichen gedenkt. Sicherheitsbeamte der Regierung erklären den Redakteuren dann lang und breit, wie die nationale Sicherheit durch diese Veröffentlichungen angeblich bedroht werden würde. Das bewog die Washington Post beispielsweise 2005, als sie über die Existenz von Geheimgefängnissen der CIA berichtete, die Namen der Länder, in denen es solche Gefängnisse gab, nicht preiszugeben; auf diese Weise trug sie sogar zum Fortbestehen dieser gesetzeswidrigen CIA-Folterstätten bei."
    Weltweiter Abbau des Rechts auf Privatsphäre
    No Place to Hide - so heißt das Buch im Original. Es gibt keinen Platz, sich zu verstecken: ein mehrdeutiger Titel. Denn nicht nur liegen unsere ganzen modernen Kommunikationswege für interessierte Geheimdienste offen, auch jeder Bürger, jeder Politiker, jeder Jurist müsste sich angesichts des NSA-Skandals fragen, ob er gegen den weltweiten Abbau des Rechts auf Privatsphäre und die Untergrabung von Informationssicherheit und - freiheit genug unternimmt. Dieses Buch zu kaufen und zu lesen, wäre vielleicht ein erster Schritt, denn es stärkt diejenigen, die die Aufklärung vorantreiben.
    Glenn Greenwald: Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen, Droemer Verlag, 368 Seiten, 19,99 Euro ISBN: 978-3-426-27635-8