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Gregor Gysi (Die Linke)
US-Wahl: "Kein Präsident kommt um die Außenpolitik herum"

Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Linken, geht bei einem Sieg von Joe Biden davon aus, dass er einen Kurswechsel in der US-Außenpolitik vollziehen und wieder ins Pariser Klimaabkommen eintreten werde. Im Umgang mit China und Russland erwarte er von Biden keine Änderung, sagte er im Dlf.

Gregor Gysi im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.11.2020
Gregor Gysi
Gregor Gysi - außenpolitischer Sprecher der Linken (dpa)
Die Welt blickt heute mit Spannung auf die USA. Denn dort ist Wahltag - doch vieles ist noch ungewiss. Wird es heute Nacht schon ein Ergebnis geben? Oder kommt es zu einem wochenlangen Tauziehen vor Gericht? Umfragen zufolge liegt Demokrat Joe Biden aktuell mit klarem Vorsprung vor Amtsinhaber Trump. Trump selber hat allerdings Zweifel gestreut, ob er eine Niederlage akzeptieren würde.
Gregor Gysi ist der außenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag. Er wagt im Dlf-Gespräch keine Prognose über einen Wahlsieg, geht aber davon aus, dass bei einem Sieg Joe Bidens ein außenpolitischer Kurswechsel stattfinden wird. Auch, wenn Joe Biden natürlich innenpolitisch viel zu tun habe.
Sigmar Gabriel (SPD) zur US-Wahl - "Wir Europäer haben auch ein paar Hausaufgaben zu machen"
Die Europäer zeigten gern mit dem Finger auf die USA, sagte der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) im Dlf. Dabei müsse Europa selber Verantwortung übernehmen. Auch mit einem US-Präsidenten Joe Biden werde es kein Zurück in die "guten alten Zeiten transatlantischer Beziehungen" geben.

Jasper Barenberg: Herr Gysi, drücken Sie eigentlich Joe Biden die Daumen, den Trump im Wahlkampf ja ein ums andere Mal einen radikalen Sozialisten genannt hat?
Gregor Gysi: Das ist er nun zweifellos nicht. Aber ich drücke ihm trotzdem die Daumen, weil für die USA, aber auch für die Menschheit Trump doch eine ungeheure Belastung ist und wieder ein Stück Normalität einkehrte, wenn es denn Biden wird.
"Trump hat die Reichen bei den Steuern ungeheuer entlastet"
Barenberg: Sie sagen, eine ungeheure Belastung. Bleiben wir bei den Menschen in den USA zunächst. Was steht für sie auf dem Spiel?
Gysi: Erstens ist er jemand, der überhaupt nicht ökologisch an die Fragen herangeht, auch die soziale Seite. Das betont er zwar immer, wenn er weiß ich was, Zölle gegen China erhebt, dass ja dadurch Arbeitsplätze gesichert werden. Aber er hat die Reichen bei den Steuern ungeheuer entlastet. Das führt dazu, dass natürlich auch finanzielle Mittel fehlen. Und eine andere Tonlage einfach. Dass sich die Gegenkandidaten ein bisschen beschimpfen, das gab es ja immer. Aber es ist so maßlos geworden und ich finde, das ist so eine Unkultur, die überwunden werden muss.
Barenberg: Die Wahlkämpfer selber, aber durchaus ja Beobachter sprechen von einer Schicksalswahl, von einer Entscheidung über die amerikanische Demokratie. Obama hat auf einer Veranstaltung gesagt, es sei eine Entscheidung für Generationen. Sind das nur Floskeln im Wahlkampf, oder ist da mehr dran?
Gysi: Da ist mehr dran. Trump ist natürlich der Typ, der eigentlich ein autokratisches Regime befürwortete. Er versteht gar nicht, wieso er überhaupt zur Wiederwahl muss. Er findet, dass er ein Präsident auf Lebenszeit sein sollte, etc. Und er nutzt ja alle Möglichkeiten aus, in diesem Schnellverfahren noch eine ganz konservative Richterin für das Oberste Gericht zu bestimmen, so dass es jetzt dort sechs von den Republikanern und drei von den Demokraten vorgeschlagene Richterinnen und Richter gibt.
Wissen Sie, ich habe so das Gefühl, diesmal entscheiden nicht die Wählerinnen und Wähler, wer die Wahl gewinnt, sondern das Oberste Gericht. Schon das wäre eine Katastrophe, wenn das alles bis dorthin geht. Die können zwar nicht sagen, wer der Wahlsieger ist. Das können sie nicht. Aber sie können Stimmen für ungültig erklären. Sie können noch mal auszählen lassen. Alle möglichen Sachen kann ich mir vorstellen, die sich dort abspielen.
"Außenpolitisch hat es natürlich noch viel mehr Gewicht"
Barenberg: Und Sie glauben, was die Situation am Obersten Gerichtshof angeht, die Demokraten hätten in ähnlicher Lage nicht dafür gesorgt, dass ihr Kandidat, ihre Kandidatin dort am Richtertisch platznehmen kann?
Gysi: Doch, sie versuchen das auch. Aber immer mit Grenzen. Ich weiß noch, dass Obama Care – das war ja derart umstritten – dadurch hielt, dass der von den Republikanern gesetzte Vorsitzende des Gerichts sich doch auf die Seite schlug. Das heißt, dass die Juristinnen und Juristen dann doch in der Lage sind zu sagen, an einer Fälschung beteiligen wir uns dann doch nicht. Also wir werden das sehen.
Ich weiß noch, als es um die Auszählung ging bei George W. Bush. Das war gespalten, das Oberste Gericht, halb zu halb. Die einen wollten, dass diese Stimmen in einem Bundesstaat doch zählen, gegen George W. Bush; die anderen wollten es nicht. Es ist nicht so, dass sie ohne Einfluss sind.
Aber die Frage ist immer, wo liegt die Grenze. Trump ist vom Typ her jemand, wissen Sie, der ja auch abends nicht mehr weiß, was er am Morgen gesagt hat. Wenn ich mal an die Coronakrise und Ähnliches denke, alles eine ziemliche Katastrophe, was er dort gemacht hat. Aber außenpolitisch hat es natürlich noch viel mehr Gewicht.
"Ich glaube, dass Joe Biden in das Paris-Abkommen zurückkehrt"
Barenberg: Darauf kommen wir gleich. Eine Frage noch zur Innenpolitik. Am Anfang hat es ja geheißen, die Institutionen der Demokratie in den USA, dieses System von Checks and Balances, das wird schon dafür sorgen, den Präsidenten einzuhegen, und davor schützen, dass er über die Grenze hinausgeht. Jetzt haben wir gerade über den Obersten Gerichtshof gesprochen. Wir könnten über den Kongress sprechen. Hat sich in den letzten vier Jahren erwiesen, dass die Institutionen doch nicht so fest sind im Umgang mit diesem Präsidenten?
Gysi: Na ja. Zum Beispiel die knappe Mehrheit, die es im Senat gibt für die Republikaner, dass sie jetzt noch diese Richterin gewählt haben und nicht mal die Wahl abwarten. Ich weiß noch: Obama hat das auch mal versucht. Er hatte natürlich gar keine Chance, zum Schluss noch einen Richter zu benennen. Da hat sich der Senat dagegen gestellt. Dann gab es im Senat Verfahrensregeln, so dass man Dinge verzögern konnte, und das haben die Demokraten nicht angerührt. Aber jetzt haben die Republikaner – das ist schon eine Weile her – diese Regeln abgeschafft, so dass sie das relativ schnell machen können. Sie vergessen natürlich, dass auch die Zeit kommen kann, wo die Demokraten die Mehrheit im Senat haben, und dann können sie auch nicht mehr mit diesen Verfahrensregeln herumspielen. Das sind alles so Momente, wo ich sage, ja, die Institutionen funktionieren zumindest nicht so, wie ich es mir vorstelle, aber noch sind sie da. Er kommt auch an ihnen noch nicht vorbei.
Barenberg: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie vorhin schon andeuten wollen, außenpolitisch, für alle Menschen jenseits der USA, ist die Entscheidung noch viel wichtiger. Was macht da den Unterschied, ob Trump eine zweite Amtszeit bekommt oder Joe Biden gewinnt?
Gysi: Beide haben, glaube ich, ein gleiches Verhältnis zu China, wahrscheinlich auch ein gleiches Verhältnis zu Russland, so dass sich diesbezüglich wenig ändern wird. Aber ich glaube, dass erstens Joe Biden in das Paris-Abkommen zurückkehrt. Dann muss er allerdings auch Schritte gehen, um es umzusetzen. Das Wichtigste wäre, dass er in den Vertrag mit dem Iran zurückkehrt und dass wir dann doch wieder sichern können, dass der Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangt, die Internationale Atomenergie-Behörde dort wieder eingreifen kann. Letztlich wird er auch ein etwas anderes Verhältnis zu Israel haben und nicht wie Trump Vorschläge machen, dass man weiß ich was, 30 Prozent des Palästinenser-Gebietes auch juristisch annektieren soll etc., sondern vielleicht sucht er mehr Ausgleich, damit endlich dieser Nahost-Konflikt gelöst werden kann. Das sind ein bisschen meine außenpolitischen Hoffnungen – allerdings nicht bei China und Russland.
"Kein Präsident kommt um die Außenpolitik herum"
Barenberg: Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass Joe Biden da viel unternehmen könnte, viel ändern könnte? Viele Beobachter erwarten ja für einen Wahlsieg, dass er alle Hände voll damit zu tun hat, innenpolitisch die Situation einigermaßen zu befrieden, und dass ihm dann gar nicht mehr viel Energie bliebe, da noch außenpolitisch aktiv zu sein.
Gysi: Das kann schon sein, dass er da viel zu tun hat, aber kein Präsident kommt um die Außenpolitik herum, ob er nun will oder nicht. Es müssen ja nicht die ganz großen Gesten sein, aber Paris wäre wichtig, Iran wäre wichtig, Israel und Palästina wäre wichtig, und da setze ich ein bisschen mehr auf ihn als auf Trump, denn Trump macht ja da genau die gegenteilige Politik, was dann auch zu Konsequenzen führt, auch international zu Konsequenzen führt.
Ich will mal ein Beispiel sagen. Nehmen wir mal die NATO. Die Türkei macht inzwischen militärisch was sie will, und da ist der Trump ja völlig machtlos oder es interessiert ihn gar nicht oder sogar ganz im Gegenteil.
Das Ganze funktioniert ja nicht mehr und da wird Joe Biden vielleicht doch eine andere Haltung auch gegenüber Erdogan einnehmen als Trump etc. Wir werden es sehen.
Ich bin auch so ein Zweckoptimist und ich weiß gar nicht, ob das so sinnvoll ist, denn alle Institute sagen ja, dass wahrscheinlich Biden gewinnt, und ein Institut sagt, nee, Trump gewinnt, und das ist das Institut, was als einziges vor vier Jahren gesagt hat, Clinton gewinnt nicht, sondern Trump, und zwar, weil die anonym befragen und die anderen nicht anonym.
Es gibt viele, die Trump wählen, es aber nicht zugeben gegenüber einem Umfrage-Institut, und deshalb bin ich gar nicht so sicher, wie die Wahlen ausgehen. Vielleicht gewinnt der Trump auch, oder wir haben wirklich einen wochenlangen Streit. Alles möglich, wir werden es sehen. Aber wenn wir so einen wochenlangen Streit haben, so ein Chaos haben, ist das gefährlich für die USA. Mir hat jemand, der dort war, gesagt, er hat eine solche Atmosphäre noch nicht erlebt. Es sei so, wie er es in den Büchern gelesen habe, wie kurz vor dem Bürgerkrieg, den es ja dort schon mal gab. Sie hassen sich! Die, die Trump wollen, hassen die anderen, und die, die ihn nicht wollen, hassen auch die Anhänger von Trump. Das ist schon eine zugespitzte schlimme Situation und das hat Trump herbeigeführt.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
"Lernen, zu den USA Nein zu sagen"
Barenberg: Jetzt haben wir darüber gesprochen, was außenpolitisch möglich wäre, wenn Joe Biden gewinnt. Lassen Sie uns dann kurz, weil Sie selber sagen, es kann ja auch sein, dass Trump gewinnt, über diesen Fall noch sprechen. Norbert Röttgen, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss, sagt, dann erleben wir eine weitere Enthemmung in der Außenpolitik. Ist das auch Ihre Kalkulation für diesen Fall?
Gysi: Ja, ganz bestimmt, weil ja die nächsten vier Jahre gesichert sind. Theoretisch darf er danach ja nicht mehr antreten. Ob er da sich nicht auf Roosevelt beruft und sagt, wir haben schon einmal so gewählt, ich bin ja auch so eine Ausnahmeerscheinung – er ist ja nach seiner eigenen Einschätzung fast Gott -, da weiß ich nicht, was wir noch erleben. Aber er wird dann meinen, er kann eigentlich machen was er will. Er ist ja bestätigt von der Mehrheit oder zumindest von der Mehrheit der Wahlmänner und Wahlfrauen und dann wird er zum Beispiel, was den Nahen Osten betrifft, noch weitergehen. Er wird sich das mit dem Iran überlegen, ob er nicht doch einmarschiert. Er wird auch verlangen, dass Deutschland noch viel mehr Geld ausgibt für Rüstung, und leider sind wir da so vasallenhaft und machen das dann auch, anstatt mal Nein zu sagen.
Barenberg: Das wäre unter Joe Biden wohl nicht anders.
Gysi: Das kann sein. Aber wissen Sie, ich glaube, dass man mit ihm anders umgehen kann und sagen kann, das sind unsere Grenzen, mehr können wir uns nicht leisten, das versteht unsere Bevölkerung nicht etc. Ich weiß nicht, ob er so fordernd und so anmaßend ist, wie es der Trump ist. Es gibt ja auch Forderungen, zu denen man Nein sagen kann, und das ist vielleicht leichter, zumindest für unsere Kanzlerin, bei Biden als bei Trump.
Aber überhaupt müssen wir lernen, zu den USA auch mal Nein sagen zu können. Aus geostrategischen Gründen haben wir ein eigenes Interesse an guten Beziehungen zu den USA, zu Russland und zu China, und zu allen drei Ländern haben wir kein gutes Verhältnis.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.