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Grenzfälle

Wer in Baden-Württemberg sein Kleinkind in eine Ganztagsbetreuung geben will, muss meist tiefer in die Tasche greifen als jemand, der gleiches in Bayern tun möchte. Und wenn derjenige auch noch gut verdient, wird es nochmal teurer.

Von Barbara Roth | 23.10.2009
    Klaus-Dieter Fröhlich pendelt täglich zwischen Baden-Württemberg und Bayern. Er arbeitet als Arzt an der Universitätsklinik im baden-württembergischen Ulm. Wohnt aber mit seiner Familie im bayerischen Neu-Ulm. Ein glücklicher Zufall, wie der junge Vater mittlerweile weiß. Er hatte für seine zehn Monate alte Tochter einen Betreuungsplatz gesucht.

    "Meine Frau und ich hatten an der Universität in Ulm, im Klinikum nachgesehen, was es uns dort kosten würde, unsere Tochter unterzubekommen. Dort hieß es circa 350 Euro. Wir hatten daraufhin auch nachgefragt beim Landratsamt in Neu-Ulm. Wir zahlen jetzt für eine Tagesmutter selbst circa 210 Euro monatlich."

    Von einer zuverlässigen Kinderbetreuung hängt ab, ob seine Frau ihre Facharztausbildung abschließen kann. Was eigentlich der Grund dafür war, warum die kleine Familie vor ein paar Wochen von Mecklenburg-Vorpommern nach Süddeutschland übergesiedelt ist. Als Arzt verdient Fröhlich gut, sehr gut. Doch genau das wird für ihn zum finanziellen Problem – will er seine Kleine in Baden-Württemberg in einer Kindertagesstätte unterbringen.

    "Es ist definitiv teurer. Es hängt in Baden-Württemberg alles davon ab, wieviel man verdient. In Bayern ist die Förderung da. In Baden-Württemberg gibt es diese Förderung in dieser Form für jemanden, der über dieser Beitragsbemessungsgrenze verdient, nicht. Das heißt, das kann durchaus sein, wenn jemand viel verdient, dass der dann bis zu 600 Euro im Monat für ein Kind bezahlen darf."

    Nur ein paar Kilometer liegen zwischen dem Arbeitsplatz des Arztes in Ulm und dem Wohnort seiner Familie in Neu-Ulm. Bei der Kinderbetreuung für seine kleine Tochter aber liegen zwischen Baden-Württemberg und Bayern Welten. Finanzielle Welten.

    "Am Anfang wunderte ich mich, als ich dann aber mit meinen jetzigen Kollegen ins Gespräch kam, ärgerte ich mich für die Kollegen und deren Kinder, die in Baden-Württemberg groß werden, dass die Förderung doch so unterschiedlich ist. Es ist von meinem Haus aus zwei Kilometer bis zur Landesgrenze nach Baden-Württemberg. Und ich sehe, dass ich deutlich besser gestellt bin als meine Kollegen, die über der Grenze wohnen. Dort ist es definitiv teurer."

    Peter Wahler kennt das. Vor Jahren waren er und seine Frau in einer ähnlichen Situation wie die Fröhlichs. Sie suchten für ihren kleinen Sohn händeringend einen Betreuungsplatz – und gründeten in Stuttgart 2006 schließlich selbst eine Kinderkrippe. Mittlerweile betreiben die Wahlers private Kindertagesstätten in Nürnberg, Frankfurt, München und Stuttgart. Geschäftsführer Wahler weiß um die Unterschiede zwischen den Bundesländern.

    "Das gute Gesetz in Bayern hat sich auf massivem Druck der Industrie ergeben. Die gesagt hat, wir brauchen eine Lösung, um den Standort attraktiver zu machen, um Fachkräfte anzulocken. Daraufhin wurde das bayerische Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz im Jahr 2005 erlassen. Und es ist aus meiner Warte heraus das beste Gesetz im bundesweiten Vergleich."

    Im Freistaat macht die Staatsregierung mit den sogenannten weichen Standortfaktoren bewusst Standortpolitik. Weshalb in Bayern seit vier Jahren für die Kinderbetreuung landesweit einheitliche Regeln gelten. Anders als in Baden-Württemberg.

    "In Baden-Württemberg ist es einfach so, hier gibt es nur sehr vage Richtlinien; hier wird die Kommunalisierung, das heißt die Entscheidungsgewalt der Gemeinden sehr hoch gehalten und jede Kommune kann ihr eigenes Süppchen kochen. Das ist eben in Bayern nicht so: In Bayern ist ganz klar festgelegt: Förderbeträge, Richtlinien, Qualitätsstandard."

    Was in Bayern zentralistisch von München aus geregelt ist, entscheiden in Baden-Württemberg die Kommunen vor Ort. Die Landesregierung in Stuttgart hat also die Verantwortung nach unten abgegeben. Unterschiedlich gehandhabt wird auch die finanzielle Förderung durch das jeweilige Bundesland.

    "In Baden-Württemberg hat der Betreiber, so er denn in der Bedarfsplanung aufgenommen ist, einen Anspruch auf einen prozentualen Ersatz der Kosten. Das sind im Unter-Dreijährigen-Bereich 68 Prozent, im Über-Dreijährigen-Bereich 63 Prozent – diese Kosten sind nicht gedeckelt. Das heißt, das ist die Lizenz zum Geldverschwenden."

    Peter Wahler, Betreiber einer privaten Kindergartenkette, würde das ändern. Er findet die platzbezogene Förderung in Bayern besser als die pauschale in Baden-Württemberg.

    "In Bayern gibt es einen Betrag pro Kind, der ist festgelegt. Und den gibt es auch nur, wenn ein Kind da ist. Das heißt, wenn eine Kindertagesstätte leer ist, erhält der Betreiber vom Staat null Euro. Das führt dazu, dass man sich Mühe gibt, gute Qualität zu bieten, damit die Kita auch voll ist. "

    Klaus-Dieter Fröhlich in Neu-Ulm hat Glück und für die zehnmonatige Tochter eine bezahlbare Betreuungslösung gefunden. Würde Familie Fröhlich allerdings in München leben, hätte sie wieder Grund zu klagen. Denn es existieren – trotz vieler Vorteile – auch innerhalb des Freistaates Unterschiede.

    "Man kann in Gemeinden wie Neu-Ulm oder Nürnberg sehr günstig Kinderbetreuung anbieten, weil man niedrige Mieten hat. Aber in Städten wie München, wo die Mieten hoch sind, sind die Förderbeträge gleich hoch. Das heißt, die Gebühren in München sind höher."

    Auch wenn es in Deutschland einen politischen Willen gibt – nämlich mehr für Kinderbetreuung zu tun – es fehlt doch die eine, die einheitliche Lösung. Jeder Landespolitiker, jeder Bürgermeister, jeder Kämmerer hat eine andere Vorstellung davon, wie es im Lebensalltag der Familien auszusehen hat.