Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Grenzgänger und Einmischer

Der deutsche Schriftsteller Stefan Heym hat neben Romanen auch Gedichte verfasst, seine frühen hat die Witwe Inga Heym nun herausgegeben. Darunter ist heißspornige Klassenkampf-Lyrik sowie bitterer Spott über den Rassenwahn in Nazi-Deutschland.

Von Matthias Eckoldt | 04.04.2013
    Anlässlich seines 100. Geburtstags ist zudem ein Buch mit Erinnerungen an diesen streitbaren Menschen erschienen.

    "Exportgeschäft

    Wir exportieren!
    Wir exportieren!
    Wir machen Export in Offizieren!
    Wir machen Export!
    Wir machen Export!
    Das Kriegsspiel ist ein gesunder Sport!

    Wir lehren Mord! Wir speien Mord!
    Wir haben in Mördern großen Export!

    Was tun wir denn Böses?
    Wir vertreten doch nur
    die deutsche Kultur."


    Hätte er dieses Gedicht im Alter von 18 Jahren nicht geschrieben und wäre es nicht von der sozialdemokratischen Chemnitzer "Volksstimme" abgedruckt worden, sinnierte Stefan Heym einmal, wäre er höchstwahrscheinlich als Wölkchen über Auschwitz geendet. So aber wird der junge Helmut Flieg vom Gymnasium geworfen, und seine unfreiwillige Weltenbummelei beginnt. Nachzulesen ist "Exportgeschäft" nun in dem Band "Ich aber ging über die Grenze - Frühe Gedichte", den Inge Heym, die Witwe des großen Romanciers und Publizisten, herausgegeben hat. Die vier Abschnitte des Buches sind nach den Städten unterteilt, in die es Heym zwischen 1930 und 36 verschlug. In Berlin kann Heym sein Abitur ablegen und mit dem Studium beginnen. Er dichtet weiter - unter anderem auch für Ossietzkys Weltbühne. Zum Schutz seiner Familie unter Pseudonymen wie Elias Kemp und Gregor Holm. Heißspornige Klassenkampf-Lyrik entsteht. Funktional und schmucklos, politisch engagiert - zugleich didaktisch. Heym will seine Mitbürger aufklären über die Entwicklungen in Deutschland.

    Nach dem Reichstagsbrand flieht der zum linken Intellektuellen avancierende Jude nach Prag. Das für den Band titelgebende Gedicht entsteht:

    "Ich aber ging über die Grenze.
    Nichts nahm ich mit mir
    Als meinen Hass.
    Den Pflege ich nun.
    Täglich begieße ich ihn
    Mit kleinen Zeitungsnotizen
    Von kleinen Morden,
    Nebensächlichen Misshandlungen
    Und harmlosen Quälereien."


    Nach Grenzübertritt erfindet er über Nacht noch ein weiteres Pseudonym: Stefan Heym.

    "Ich musste, nachdem ich in Prag angekommen war, nach meiner Flucht über die Grenze, meinen Eltern irgendwie Bescheid geben und einen Absender auf die Postkarte schreiben. Ich stand also nachts im Postamt in Prag und war gezwungen, mir irgendeinen Namen auszudenken. Und da fiel mir dieser Name ein. Ich weiß nicht woher und warum. Und später musste ich dann natürlich sehr viel unter Pseudonym arbeiten. Und noch viel später, als ich amerikanischer Staatsbürger wurde, habe ich mir diesen neuen Namen verpassen lassen."

    Im Prager Exil kommt Heym rasch in Kontakt zu Publizisten und Herausgebern, die der kommunistische Bewegung nahestehen wie Egon Erwin Kisch, F.C. Weisskopf und Wieland Herzfelde. Seine Artikel und Gedichte erscheinen nun in Emigranten-Zeitungen. Heym schießt sich auf die Nazis ein, die seinen Vater in den Selbstmord getrieben haben. Die meisten anderen seiner Familienmitglieder werden in den deutschen Vernichtungslagern den Tod finden. Heym dichtet ein neues SA-Lied, in dem er den Trupp als bierseliges, prügelndes Gesindel darstellt und verbreitet bitteren Spott über den in Nazi-Deutschland um sich greifenden Rassenwahn. In seinem Gedicht "Deutsche Szene" aus dem Jahr 1934 trennt sich ein Staatsbeamter von seiner jüdischen Geliebten:

    "Dass ich ein Schwein bin, weiß ich auch allein.
    Doch bin ich es aus idealen Gründen:
    Ein deutscher Mann hält seine Rasse rein.
    Es war sehr schön, doch muss es nun ein Ende finden."


    1935 kann Heym dank eines Stipendiums einer jüdischen Organisation Europa verlassen. Bis Abschluss seines Studiums an der Universität von Chicago publiziert er weiter Gedichte und journalistische Gelegenheitsarbeiten. Im amerikanischen Exil wird seine Lyrik stiller und selbstbezogener. Zwar bleiben seine Gedichte politisch, doch mischt sich mehr und mehr Verzweiflung hinein:

    "Wenn nur die Nacht nicht wäre mit den schweren,
    Den jagenden Gedanken. Oh die Nacht,
    Sie mordet mich. Ich wollte mich ja wehren -
    Doch könnt ich es mit meinen leeren,
    So armen Händen gegen diese Übermacht?"


    Aus dem Jahr 1936 datieren die letzten Gedichte Heyms. Mit Beginn des Krieges wechselt der deutsche Emigrant dann endgültig das Genre und legt mit "Hostages" seinen ersten Roman vor. Ein Bestseller, dem weitere folgen werden. Insgesamt 19 Romane schreibt Heym, zur Gedichtform wird er nicht noch einmal zurückkehren. Insofern ist der Band "Ich aber ging über die Grenze" durchaus eine Entdeckung. Sicher keine literarische - dazu sind Heyms Gedichte zu plakativ und eindimensional, zu sehr von der Sache und zu wenig von der Poesie bestimmt. Aber literaturhistorisch dürfte es eine kaum geläufige Tatsache sein, dass der Autor so wichtiger Romane wie des "König David Berichts", "Collin" oder "Ahasver" als Poet gestartet war. Sicher müssen aufgrund der nun vorliegenden frühen Gedichte Heyms Romane nicht noch einmal neu gelesen werden, aber vielleicht machen manche der in ihren besten Momenten an seinen Säulenheiligen Heinrich Heine erinnernden Zeilen Neueisteigern Lust auf den Autor Heym.

    "Ich habe mich immer eingemischt - Erinnerungen an Stefan Heym" heißt ein zweites Buch, das anlässlich seines 100. Geburtstags erschienen ist. Es versammelt Wortmeldungen aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Professionen. Die kurzen Erinnerungsstücke von einer bis fünf Seiten werden von Schriftstellerkollegen, Schauspielern, Journalisten und Politikern beigesteuert. Viele Namen sagen dem Rezensenten auf den ersten Blick nichts. Einige wenige prominente Stimmen ziehen jedoch sogleich die Aufmerksamkeit auf sich. Beispielsweise die von Christoph Hein, Gregor Gysi, Egon Bahr und Altkanzler Schröder, der schreibt:

    "Schon zu DDR-Zeiten ging dieser Schriftsteller seinen Weg, ließ sich nicht von der Macht beeindrucken und sich ebenso wenig von ihr vereinnahmen. Er setzte sich stets an die Spitze der Dissidentenbewegung. Stefan Heym machte anderen Menschen Mut. Dennoch war eine Flucht aus der DDR für ihn nie infrage gekommen. Er brauchte die Reibefläche DDR. Außerdem gab er die Hoffnung auf einen neuen, einen besseren Sozialismus nie auf."

    Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Heym selbst immer Probleme mit dem Wort Regimekritiker hatte:

    "Ich hab das Wort nicht sehr gemocht. Es gibt ja keinen Beruf Regimekritiker. Aber ich bin wenigstens ein Regimekritiker geblieben. Noch immer finde ich, dass man Stellung nehmen muss, zu dem was oben die Herrschenden tun und sagen."

    Im Geiste fortgesetzter Dissidenz wurde Heym im wiedervereinigten Deutschland selbst Bundestagsabgeordneter. Kurioserweise für die PDS, deren Vorgängerin ihm über so viele Jahre das Leben in der DDR schwer gemacht hatte. Als ältestem Mitglied stand es ihm 1994 zu, den 13. Deutschen Bundestag mit einer Rede zu eröffnen. Die Schriftstellerin Daniela Dahn erinnert sich im Buch an dieses politische Skandalon:

    "Diese Szenen warfen Schlaglichter auf die 1994 herrschende Kultur des Landes. Abgeordnete, die sich beim Auftritt des Alterspräsidenten und jüdischen Schriftstellers von Weltrufs nicht erheben, die während seiner Rede über Toleranz gelangweilt in den Akten blättern oder mit finster-arrogant abweisenden Mienen dasitzen und jeglichen Beifall verweigern."

    "Es war sehr lustig, als ich dann merkte, was da gespielt wurde. Wie sie da sitzen blieben. Die ganze rechte Hälfte des Hauses. Und das Komische war, dass ich ja gar nicht gewusst habe, dass es der Brauch war, dass das Haus aufsteht, um den Alterspräsidenten zu grüßen. Ich war froh, dass die sitzenblieben und den Mund hielten. Ich hatte Gebrüll erwartet und Niederrufe und so weiter und sofort."

    Man merkt rasch, dass Herausgeberin Therese Hörnigk den Autoren gegenüber auf jegliche thematische Vorgabe verzichtet hat. Das kommt dem Buch nicht zugute, da sich offensichtlich jeder Autor bemüßigt fühlt, eine Art Nachruf zu verfassen. So werden viele biografische Details aus Heyms bewegtem Leben von Beitrag zu Beitrag schier endlos wiederholt, was schlicht konzeptlos wirkt. Geradezu ein intellektueller Offenbarungseid der Herausgeberin ist die Anordnung der insgesamt 52 Erinnerungen. Die Beiträge im Buch sind einfach alphabetisch nach Autorennamen gesetzt, wo man sie doch nach Berufsgruppen, oder – noch spannender – nach geistigen Spannungspolen hätte organisieren können. Es wird deutlich, dass dem Buch die Grundidee und mithin eine Struktur fehlt. So liegt ein wahllos zusammengesammelter Blumenstrauß vor, wo Stefan Heym zu seinem 100. Geburtstag doch ein fein komponiertes Bouquet verdient hätte. Eine besondere Blüte allerdings sticht hervor. Bezeichnenderweise ist das allerdings kein Text. Armin Müller-Stahl hat für den Band ein Aquarell beigesteuert, das Stefan Heym im Profil zeigt. Der Schriftsteller wirkt freundlich, offen, voll Zuversicht, auch wenn sich der Haarkranz bereits bedenklich abgesenkt hat. Über diesen Mann, altersweise, eigenbrötlerisch und rebellisch zugleich, erzählt das Aquarell mehr als die Tausenden Worte drum herum.



    "Ich aber ging über die Grenze - Frühe Gedichte von Stefan Heym", Herausgegeben von Inge Heym, C. Bertelsmann, 128 Seiten, 14,99 Euro

    und

    "Ich habe mich immer eingemischt - Erinnerungen an Stefan Heym", Herausgegeben von Therese Hörnigk, Verlag für Berlin-Brandenburg, 180 Seiten, 18,95 Euro