Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Grenzkontrollen innerhalb der EU
Die Sorgen der deutschen Dänen

Die deutsch-dänische Grenzregion nördlich von Flensburg galt lange als vorbildliches Beispiel für europäische Zusammenarbeit. Doch seit der Flüchtlingskrise gibt es Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Dänemark. Werden sich die Bewohner diesseits und jenseits der Grenze wieder fremder?

Von Gunnar Köhne | 17.01.2019
    Man sieht dänische Polizisten am Grenzübergang Harrislee in Schleswig-Holstein.
    Dänemark kontrolliert wieder die Einreisenden aus Deutschland (picture-alliance / dpa / Benjamin Nolte)
    Im Schritttempo auf den dänischen Grenzposten Krusau zu, gleich hinter Flensburg. Über die Fahrbahn ist ein Planendach gespannt. Darunter stehen zwei jungenhaft wirkende Angehörige des dänischen Grenzschutzes in Flecktarn. Sie schauen kurz ins Wageninnere und winken dann durch.
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Heimat, Hygge, Hochmut - Dänemark hadert mit der EU" in der Sendung "Gesichter Europas".
    Gleich hinter dem Posten führt eine Abzweigung zu den Parkplätzen eines lang gestreckten Kleider-Discounters. Bezahlt werden kann hier auch in Euro. Zwei deutsche Familien schlendern zwischen den Kleiderständern umher. Die dänische Verkäuferin fährt selbst drei Mal in der Woche hinüber nach Flensburg. Dass hier an der Grenze wieder kontrolliert wird, findet sie gut:
    "Wir sind mehr … ja, beschützt! Wir sind es ja von früher gewohnt. Da war es auch da. Ich finde, es kann ruhig so bleiben."
    Deutsche Bücher aus dem "Haus Nordschleswig"
    30 Kilometer landeinwärts, in der Kleinstadt Aabenraa. An einer Ausfallstraße liegt das "Haus Nordschleswig", ein moderner Flachbau aus Stahl und Glas. Hier heißt es nicht "Aabenraa", sondern "Apenrade", denn von hier aus wird die deutsche Minderheit Dänemarks vertreten. Unter anderem hat die winzige deutsche "Partei der Schleswiger" ein Büro, ein deutschsprachiger Sozialdienst und die deutschsprachige Zentralbibliothek.
    Stolz führt Bibliothekar Mathias Zwirner, ein eingewanderter Berliner, an den weißen Regalen mit Neuerscheinungen aus Tyskland und an den Leseecken mit den gemütlichen Sitzkissen vorbei. Er zeigt aus dem Fenster in Richtung Parkplatz, wo zwei Kleinbusse stehen.
    "Für die ländlichen Bereiche haben wir diese beiden Bücherbusse. Mit denen fahren wir zu den Lesern direkt hin. Wir haben also nicht Halteplätze, an denen wir ein paar Minuten halten, sondern wir fahren direkt zu den Leuten hin. Damit sind wir auch mit einem starken sozialen Aspekt unterwegs zu den Menschen da draußen."
    Rund 20.000 Deutsche im südlichen Dänemark
    Auf der anderen Gebäudeseite lädt Hinrich Jürgensen zum Gespräch. Jürgensen, nicht Jørgensen. Der Landwirt mit dem kräftigen Oberkörper legt Wert darauf, dass sein Familienname nie danisiert worden ist. Jürgensen ist Vorsitzender des Bundes Deutscher Nord-Schleswiger, der Dachorganisation der rund 20.000 Deutschen im südlichen Dänemark. Und gleich nach dem ersten Schluck Kaffee kommt er zu dem Thema, das ihn seit Monaten umtreibt: die wieder eingeführten Grenzkontrollen.
    "Es ist diese Grenze in den Köpfen, die wieder entsteht. Und die ist viel schlimmer als diese Barriere. Jetzt redet die dänische Volkspartei schon davon, dass man alle Grenzen kontrollieren solle und auch die Ausreise. Ich hab früher immer gesagt: Wir haben hier zwei Halbmonde, wenn die Grenze wegfällt, dann können wir hier einen Vollmond draus machen, mit ganz vielen grenzüberschreitenden Projekten. Und das ist sehr gut gelaufen, als die Grenze wegfiel. Und nun ist sie wieder da und damit auch die Grenze in den Köpfen. Und mit der Grenze kommt ja auch dieses Symbol des 'Wir sind uns selbst genug, wir schotten uns ab'."
    Keine zweisprachigen Ortsschilder in Dänemark
    Und das wäre für die Minderheiten – der dänischen in Schleswig-Holstein wie der deutschen im südlichen Dänemark – ein Rückschritt. Der kräftig gebaute 59-Jährige trägt seine Meinung in höflichem Ton vor. Falscher Zungenschlag könnte in der deutsch-dänischen Grenzregion wieder Misstrauen schüren. Dabei gilt der Minderheitenschutz auf beiden Seiten als vorbildlich in ganz Europa. Aber neuerdings tauchen Irritationen auf, etwa als Jürgensen vorschlug, auch auf der dänischen Seite zweisprachige Ortsschilder aufzustellen:
    "Da waren dann plötzlich mehr und mehr, die sagten: Warum eigentlich nicht? Wir sind ja hier eine Grenzregion im südlichen Dänemark, und mittlerweile hatte man das ja auch südlich der Grenze gekriegt: Flensburg, Flensborg. Man möchte das gern in Flensburg, aber nicht, dass unter Aabenraa klein Apenrade drunter steht. Diese Region, der südliche Teil Dänemarks, ist der einzige Teil Europas, wo es Minderheiten gibt und keine zweisprachigen Ortsschilder."
    Das erste Ortsschild in deutscher und dänischer Sprache wurde 2008 in Flensburg montiert
    Das erste Ortsschild in deutscher und dänischer Sprache wurde 2008 in Flensburg montiert (picture alliance/ dpa/ Timo Lindemann)
    Rückschritte in der deutsch-dänischen Zusammenarbeit
    Vor Jürgensens Büro liegen Flugblätter aus, auf denen Unterschriften für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen gesammelt werden. Zwar rücken deutsche Rettungswagen längst auch zu Einsätzen auf dänischer Seite aus. Doch in anderen Bereichen gab es Rückschritte in der Zusammenarbeit, beklagt Jürgensen:
    "Bestes Beispiel ist die Strahlentherapie, wo Kranke aus unserer Region früher in Flensburg behandelt werden konnten. Die müssen jetzt nach Vejle, das sind 1,5 Stunden Autofahrt hin und 1,5 Stunden zurück. Weil man sagt, jetzt haben wir auch hier die Kapazität und so weiter. Aber für unsere Leute hier in der Region ist das ein ganz großer Rückschritt."
    Im kommenden Jahr feiert Dänemark das 100-jährige Jubiläum der Wiederangliederung Nordschleswigs an Dänemark. Bei einer Volksabstimmung in Nord-Schleswig im Februar 1920 stimmte eine Mehrheit für die Zugehörigkeit zu Dänemark. Hinrich Jürgensen wünscht sich Feierlichkeiten, auf denen das gemeinsam Erreichte gewürdigt wird. Und das dazu spätestens dann auch wieder eine offene Grenze gehört.