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Grenzlandschicksal

Als Vater der europäischen Einigung ist er in die Geschichte eingegangen. Als Vorkämpfer der deutsch-französischen Aussöhnung hat er ein nicht minder großes Verdienst. Der als Deutscher geborene und als Franzose gestorbene Robert Schuman verkörpert Grenzlandschicksal.

Von Peter Hölzle | 29.06.2011
    "Wir wollen zusammen ein geistiges Europa und einen europäischen Geist schaffen und konsolidieren. Das sind große Aufgaben, und ich fühle mich sehr befriedigt, dass dies verstanden wurde - hier in dieser Gegend, wo wir so manches in den Traditionen finden, was uns gemeinsam ist in geistiger Hinsicht. Sie wissen, dass ich selber Grenzländer bin und die Schwierigkeiten kenne, die uns in der Vergangenheit manchmal in Gegensatz gebracht haben. Wir werden das nicht vergessen, weil wir daraus Lehren ziehen müssen für eine friedliche Zusammenarbeit in der Zukunft."

    Der das knapp fünf Jahre nach Kriegsende, am 13. Januar 1950, in perfektem Deutsch vor Studenten der Universität Mainz sagt, ist eine Ausnahmeerscheinung unter französischen Politikern. Außenminister Robert Schuman, am 29. Juni 1886 in Luxemburg als Sohn eines Franzosen und einer Luxemburgerin geboren, war, wie er von sich selber sagt, buchstäblich "Grenzländer". Sein Vater war 1871 durch die Annexion Nordlothringens Deutscher geworden, seine luxemburgische Mutter durch Eheschließung ebenfalls. Franzose wurde Schuman 1918, als Nordlothringen wieder zu Frankreich kam.

    Gerade dieses "Grenzländer"-Schicksal befähigt den "Deutsch-Franzosen" zum Architekten der europäischen Einigung, die er in "friedlicher Zusammenarbeit" mit Deutschland schaffen will. Wie diese zunächst aussehen soll, erläutert er bereits knappe vier Monate nach seiner Mainzer Rede, am 9. Mai 1950, im berühmten Uhrensaal des französischen Außenministeriums am Quai d'Orsay:

    "Europa lässt sich nicht mit einem Schlag herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen. Die Vereinigung der europäischen Nationen erfordert, dass der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird. ... Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offensteht."

    Schumans Vorschlag, der auf den Leiter des Planungskommissariats, Jean Monnet, zurückgeht, war von genialer Einfachheit. Die Vergemeinschaftung der Kohle- und Stahlproduktion bedeutete für beide Länder Souveränitätsverzicht auf ein Herzstück ihrer Wirtschaft. Mehr noch: Sie beraubte sie der materiellen Grundlagen, gegeneinander Krieg zu führen.

    Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer stimmte dem "Schuman-Plan" sofort zu. Ein knappes Jahr später, am 18. April 1951, führte er zur Gründung der "Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl". Die "Montanunion" war geboren und mit ihr die
    Keimzelle für ein gemeinsames Europa gelegt, dem zunächst neben Frankreich und der Bundesrepublik, nur Italien und die Beneluxstaaten angehörten. Das war Schuman aber nicht genug. Schon bei der Unterzeichnung des Vertrages über die Montanunion hatte er mehr im Sinn.

    "In Verbindung mit den bestehenden europäischen Organisationen werden die Arbeiten weitergehen. Diese Initiativen müssen rasch auf den Plan einer politischen
    Gemeinschaft abzielen."

    Diese hat der französische Staatsmann zwar nicht mehr erlebt. Als er am 4. September 1963 siebenundsiebzigjährig stirbt, ist sein Wunschbild noch weit von der Realität entfernt. Aber immerhin gibt es seit 1958 ein Europäisches Parlament, dessen erster Präsident Schuman war. Damit nicht genug: Auch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte trägt seine Handschrift.