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Grenzübergreifende Sorge über belgischen Atommeiler

Aus dem belgischen Kernkraftwerk Tihange 2 bei Lüttich entweichen seit längerem täglich rund zwei Liter radioaktives Wasser. Für Aufregung sorgt das nicht nur in Belgien selbst, sondern auch in der gar nicht so weit entfernt liegenden Eifel.

Von Ludger Fittkau | 10.08.2012
    Die frühere rheinland-pfälzische SPD-Landtagsabgeordnete Barbara Hiltawski lebt in einem Haus mit Blick auf die einst mächtige Abtei Prüm in der Eifel – wenige Kilometer östlich der belgischen Grenze.

    "Tihange ist vielleicht im Bewusstsein der Menschen oder auch hier in der Bevölkerung gar nicht so präsent, weil dieses Atomkraftwerk an der Mosel, Cattenom in Frankreich genauso so weit entfernt liegt. Man sieht hier von der höchsten Erhebung, dem Schwarzen Mann, die Wolken der Reaktorblöcke von Cattenom. Tihange sieht man nicht, aber nichtsdestotrotz ist auch Tihange ein Atomkraftwerk, was sehr nahe liegt."

    Nämlich etwa 90 Kilometer westlich von Prüm an der Maas bei Lüttich. Barbara Hiltawski, heute SPD-Fraktionsvorsitzende im Verbandsgemeinderat der Eifelgemeinde Prüm, fragte jetzt die Behörden: Was passiert, wenn es zu einem größeren Störfall in Tihange kommt? Müsste die Region Prüm notfalls evakuiert werden? Die Antworten beruhigen Barbara Hiltawski nicht:

    "Es gibt einen Katastrophenschutzplan, aber der ist noch vorläufig. Und die Verbandsgemeinde hätte eigentlich nichts zu tun, sondern nur Jod-Tabletten an Schwangere oder an Kinder und Jugendliche zu verteilen, wenn es im Falle eines Falles zum Unglück kommen sollte."

    Prüm ist traditionell im Sommer ein beliebter Ort für Jugendferienlager. Die rheinland-pfälzische Landesregierung warnt in einer Stellungnahme vor dem Weiterbetrieb des alten, störanfälligen Meilers hinter der Grenze. Doch Barbara Hiltawski reicht das nicht. Sie will ein grenzübergreifendes Bündnis gegen das belgische AKW Tihange anstoßen:

    "Wir sind zu wenig Menschen, die Region ist ja hier sehr dünn besiedelt, sowohl in Deutschland als auch in Ostbelgien. Und auch ostbelgische Bekannte oder Freunde, die sind auch nicht informiert darüber. Also es ist irgendwie eine tote Ecke. Auch was Nordrhein-Westfalen angeht: Also man müsste Kontakt suchen zu Leuten in Aachen, in Bad Münstereifel, in Ostbelgien, so das man eine gemeinsame Aktion starten könnte."

    Die Hauptstraße in St. Vith, Ostbelgien, rund 25 Kilometer westlich von Prüm. St. Vith ist einer der Hauptorte der 70.000 Köpfe zählenden deutschsprachigen Minderheit in Belgien. Das belgische Radio habe heute morgen über die aktuellen Probleme mit Rissen und Lecken in den hiesigen AKWs berichtet, erzählen die Passanten. Doch groß geredet werde in der Region bisher nicht über die Probleme in den Meilern, sagt Margret Zeiner aus dem ostbelgischen Ort Grüflingen:

    "Ich bin natürlich nicht voll informiert, ob es da ein Leck gibt oder nicht, das muss ich glauben, wie die Medien es berichten. Grundsätzlich bin ich kein Befürworter von Atomkraft und glaube, dass auf jeden Fall Alternativen interessant wären. Man müsste halt mehr forschen in der Richtung."

    Markus Schröder, Schüler aus dem belgischen Iveldingen, sieht das anders. Auch er hat zwar aktuell im Radio von den Rissen im AKW Doel bei Antwerpen gehört – doch sehr beunruhigt ist er nicht:

    "Früher gab es zwar Unfälle und alles, aber wenn das alles regelkonform eingehalten wird, dann ist das auch sichere Energiegewinnung, das ist meine Meinung dazu."

    Jos Becker ist mit seiner Familie aus dem niederländischen Tilburg nach St. Vith in die Ferien gefahren. Von dem Leck in einem Kühlbecken des AKW Tihange, aus dem seit Jahren rund zwei Liter Wasser laufen, hat er schon gehört:

    "Seit Jahren - das gibt ein Schwimmbad voll! Ich denke, für uns alle, nicht nur in Deutschland, auch in Belgien und in Holland muss man etwas tun. Man kann das nicht nur laufen lassen, das Wasser, das ist meine Meinung."#

    Die belgische Regierung hat jedoch angekündigt, das AKW Tihange nicht schon 2015 abzuschalten, wie ursprünglich geplant. Es soll nun nach einer Sicherheitsüberprüfung noch bis 2025 weiterlaufen. Für die Prümer SPD-Politikerin Barbara Hiltawski ist das nicht akzeptabel – auch weil es in der Region bisweilen Erdbeben gibt:

    "In Aachen gab es schon Erdbeben, es ist ja nicht so, das die Region frei ist von unterirdischen Störfällen. Also es ist jetzt schon unheimlich, sich vorzustellen, dass da was passieren könnte."