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Grenzüberschreitungen im Theaterlabor

Äußerlichen Glanz strahlt die Spielstätte Le Carreau im französischen Forbach nicht aus. Im Gegenteil. Das Theater verdankt seinen Namen seiner Form. Le Carreau ist ein viereckiger Betonklotz. 20 Jahre fristete das Theater mitten im französischen Kohlebecken ein unbedeutendes Dasein, bis 1996 Laurant Brunner die Leitung des Hauses übernahm. Seitdem dringen schon mal ungewöhnliche Klänge aus den Mauern des Carreau.

Autorin: Tonia Koch | 01.01.2004
    Brunner, seit einem Jahr als Berater des französischen Kulturministers nach Paris abgeordnet, versuchte es mit einem bikulturellen Konzept, das deutsche und französische Kulturinteressierte gleichermaßen ansprach. Das Gastspielhaus nur wenige Kilometer von Saarbrücken entfernt, zeigt seitdem nicht nur französische, sondern auch deutsche und internationale Produktionen. Auch große Orchester sind im Le Carreau zu Gast. Dieses Konzept so Theaterleiter Philippe Chamaux sei in Frankreich einmalig.

    Wir sind die einzigen in Frankreich, die ein Programm auf Deutsch und Französisch anbieten. Alle unsere Publikationen sind zweisprachig. Und was das Projekt anlangt, so ist es tatsächlich ein grenzüberschreitendes. Wir sind zwar nach wie vor ein National-Theater, aber es wäre ideal, würden wir uns zu einem grenzüberschreitenden besser noch einem europäischen Theater entwickeln.

    Dieser Ansatz einer zweisprachigen Kommunikation fällt auf fruchtbaren Boden. Selbst unwichtig erscheinende Details, wie der Beginn der Abendvorstellung um 20 Uhr - was für französische Verhältnisse noch immer sehr früh ist - sind Voraussetzungen dafür, dass Deutsche und Franzosen das Angebot gleichermaßen nutzen. Besucherstimmen:

    Ich habe mich sehr gefreut, als Französin in Saarbrücken wohnend hier in Forbach dieses Gemischte zu haben. Und ich habe mich sehr gefreut, das spectacle von Ostermeier hier sehen zu können. Dass sie diese Mischung der Kulturen machen, das finde ich sehr schön. Dadurch gucken wir uns vielleicht auch ein paar französische Stücke an, die wir sonst gar nicht sehen würden. Wir gehen ab und zu in Metz ins Theater. Das findet man bei uns nicht, dass das Programm auf Deutsch ist, das gibt es nur hier.

    Die Deutschen stellen etwa 40 Prozent der Besucher des Le Carreau. Philippe Chamaux kennt die Vorlieben seiner deutschen Klientel.

    Es stimmt, dass zeitgenössischer Tanz das deutsche Publikum anzieht, es gibt eine Tradition und so etwas wie eine natürlich Neugierde. Was Theater anlagt, so ist es ganz klar, dass wenn Thomas Ostermeier und Frank Castorff kommen auch das deutsche Publikum kommt. Aber auch viele Franzosen, die dann auf die Qualität der schauspielerischen Leistung vertrauen.

    Um dem Publikum, dass bei weitem nicht immer die notwendigen sprachlichen Voraussetzungen erfüllt, behilflich zu sein, werden seit dieser Saison Untertitel angeboten. Texte der französischen Produktionen werden übersetzt, zusammengefasst und an den oberen Rand der Bühne projiziert. Als die Comédie-Francaise mit einem Stück von Marguerite Duras im November zu Gast war, wurde dieses Verfahren erfolgreich getestet.
    Dennoch hat Philippe Chamaux die Vorstellung, dass Le Carreau noch unabhängiger wird von der Sprache. Abgesehen von zeitgenössischem Tanz und klassischer Musik will er dem Publikum mehr experimentelles, mehr visuelles Theater bieten. Chamaux:

    Das ist zum Beispiel bei Nico and the navigators der Fall, eine Berliner Truppe, die im Januar kommt. Da kriegt man viel mit, ohne die Sprache zu können. Das bisschen Text das es gibt, wird durch Mimik und Gesten verständlich. Das war auch der Fall bei Gérome Deschamps, da waren viele deutsche Zuschauer hier, weil die Sprache zwar wichtig war aber keine Voraussetzung dafür, das Stück zu verstehen.

    Die Finanzierung des Carreau ist bislang eine rein französische Angelegenheit. Als scène national wird das Theater direkt aus dem nationalen Kulturetat unterstützt, was der Leitung des Hauses Spielräume eröffnet. Das deutsche und französische Publikum wissen das zu schätzen.