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Grenzübertritt im Baskenland
Französische Polizei bringt Flüchtlinge zurück

Viele illegale Migranten aus Westafrika versuchen, im Baskenland über die spanisch-französische Grenze zu kommen. Vielen gelingt das - aber nur kurz. Denn die französische Grenzpolizei darf festgenommene Migranten gemäß einer Vereinbarung binnen vier Stunden abschieben.

Von Birgit Kaspar und Julia Macher | 27.02.2019
Frankreich kontrolliert verstärkt an der Grenze zu Spanien
Frankreich kontrolliert verstärkt an der Grenze zu Spanien (EFE / Gorka Estrada)
Die Pendler müssen warten. Es ist Montagabend, und auf der Santiago-Brücke, die das spanische Irún mit dem französischen Hendaye verbindet, haben ein-, zweihundert Menschen in beiden Richtungen die Fahrbahnen blockiert. "Egalité de droits", "gleiches Recht für alle" skandieren sie.
Als einer der Demonstranten auf die Betonstele in der Mitte der Brücke steigt und ein Selfie knipst, schwenken ein paar lachend die Arme. Genau an dieser Stelle verläuft die geografische Grenze zwischen den Ländern: ein symbolträchtiger Ort für eine Kundgebung für den freien Personenverkehr.
Der Zug zieht vom französischen Hendaye ins spanische Irún und wieder zurück, 200 Meter in die eine Richtung, 200 in die andere. Im Pulk marschiert auch ein junger schwarzer Mann mit Rollkoffer. Auf französischem Boden löst er sich aus der Gruppe und verschwindet in der Nacht ...
Fünf Stunden später zieht er seinen Koffer wieder über die Brücke Richtung Spanien, die Fäuste in den Hosentaschen, den Kopf im Kapuzenpulli verborgen. Es ist zwei Uhr in der Frühe, vom nahen Meer zieht eine frische Brise auf. Als Freiwillige der Bürgerinitiative Acoge Irún ihm anbieten, ihn in die Notunterkunft zu fahren, willigt er ein. Die französische Polizei habe ihn am Busbahnhof erwischt, bis zur Ortsgrenze begleitet und dann wieder rübergeschickt, erzählt er im Auto. Der Mann am Steuer schüttelt den Kopf. Das sei illegal.
In kürzerster Zeit wieder nach Spanien verfrachtet
Mikel Mazkiaran, Anwalt der Menschenrechtsorganisation SOS Racismo, kennt viele solche Fälle. "Heiße Rückführungen" werden solche Verfahren jenseits aller Protokolle in den spanischen Medien genannt. Theoretisch dürfen irreguläre Migranten nur auf Grundlage eines französisch-spanischen Abkommens von einem Land ins andere zurückgeschickt werden: innerhalb von vier Stunden nach Grenzübertritt, und nur von Polizeidienststelle zu Polizeidienststelle. Doch das geschehe höchstens in einem von vier Fällen, sagt Mazkiaran. Im letzten Jahr habe es über 7.000 solche "heiße Rückführungen" gegeben.
Mikel Mazkiaran, Anwalt der Menschenrechtsorganisation SOS Racismo
Mikel Mazkiaran, Anwalt der Menschenrechtsorganisation SOS Racismo (Deutschlandradio / Julia Macher)
"In der Praxis sieht das so aus: Der französische Polizist überrascht einen dieser Jugendlichen, drückt ihm dann ein Blatt in die Hand, auf dem schon angekreuzt ist, dass er keinen Anwalt und Übersetzer will, sagt ihm: "Das nächste Mal nehmen wir dich fest!" Und dann schickt er ihn rüber. Eine Grundlage dafür gibt es nicht, weder im französischen Ausländerrecht, noch in den spanisch-französischen Abkommen."
Wachsendes Gefühl der Überforderung
Mikel Mazkiaran spielt einen TV-Clip auf seinem Smartphone ab.
Im Herbst hatte das baskische Fernsehen gefilmt, wie die französische Gendarmerie mit einem weißen Lieferwagen mehrere Male Migranten nach Spanien zurückbrachte. Über eine parlamentarische Anfrage kam das Thema auf die politische Tagesordnung. Frankreich und Spanien schufen die Stelle eines gemeinsamen Koordinators.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Grenzerfahrung Pyrenäen - Neue und alte Fluchtrouten zwischen Spanien und Frankreich" in der Sendung "Gesichter Europas".
Ansonsten hat sich wenig geändert. Die vielleicht zwei, drei Dutzend Menschen, die zwischen Irún und Hendaye täglich ohne Papiere unterwegs sind, rechtfertigen kein polizeiliches Großaufgebot. Alles geht weiter wie bisher: Die spanische Polizei lässt sich an der Grenze kaum blicken. Die französische Grenzpolizei hat hingegen ihre Kontrollen intensiviert, auch nachts. Aber man könne nicht überall gleichzeitig sein, klagt ein französischer Grenzpolizist in Hendaye, der nicht namentlich zitiert werden will.
Der spanischen Polizei wirft der Gewerkschaftler vor, sie halte sich nicht an die Vereinbarungen. Innerhalb weniger Stunden begegne den Franzosen manchmal der gleiche Migrant mehrfach, weil die Spanier ihn nach der Übergabe gleich auf freien Fuß setzten oder gar nicht erst zur Übergabe an der Grenze erschienen. Die französischen Beamten machten weiter ihren Job, jedoch mit einem wachsenden Gefühl der Überforderung und der Sinnlosigkeit. Die Politik sei gefragt.
Migranten warten vor dem Aufnahmezentrum für Migranten in der spanischen baskischen Stadt Irun. 
Viele Migranten werden von der französischen Polizei wieder nach Spanien zurückgewiesen. (AFP / Ander Gillenea)
Mikel Mazkiaran wundert sich nicht über die lauwarme Reaktion der Politik. Für ihn verweist der Knatsch um die heißen Rückführungen auf ein tieferliegendes, strukturelles Problem.
"Wir vergessen das manchmal, aber wir leben seit Schengen in einem Europa ohne Innengrenzen. Auf welcher Grundlage soll es innerhalb Europas Kontrollen geben? Diese Kontrollen sind es, die das System verzerren und zu Problemen führen."
Überfüllte Aufnahmelager und überforderte Behörden
Mazkiaran fegt eine nicht vorhandene Fluse von seinem schwarzen Rollkragenpullover. Effektive Grenzkontrolle sei eben nur an den Außengrenzen oder direkt nach Einreise möglich. Aber in Andalusien sind die Aufnahmelager überfüllt und die Behörden überfordert.
"Es gibt eben einfach nicht die finanziellen und personellen Mittel, um Tausende Migranten sofort nach Einreise abzuschieben. Dann soll die Regierung sich das eingestehen – und die Leute weiter einfach weiterziehen lassen. Aber diese innereuropäischen Grenzkontrollen sind doch ein glasklares Beispiel für institutionellen Rassismus – das prangere ich an. Denn kontrolliert werden nur bestimmte Menschen. Wenn wir beide mit dem Auto rüberfahren, passiert gar nichts. Aber probieren Sie das mal mit einem Schwarzen!"
Parallel zur Santiago-Brücke verläuft die Bahnstrecke des baskischen Nahverkehrszuges. Die Fahrt von Irún nach Hendaye dauert gerade einmal acht Minuten. Jedes Mal, bevor ein Zug ankommt, positioniert sich ein Patrouillenfahrzeug der französischen Grenzpolizei am Ausgang. Auch auf den Brücken über den Grenzfluss sowie an der Autobahnmautstation Biriatou direkt hinter der spanischen Grenze sind die Beamten präsent. Doch die französischen Grenzpolizisten wissen, dass sie den neuen Migrationsfluss an der Pyrenäengrenze nicht stoppen können. Irgendwann, irgendwo findet wohl jeder Migrant seinen Weg.