Freitag, 19. April 2024

Archiv


Grenzziehung in der Arktis

In der vergangenen Woche stieg der Ölpreis auf die Rekordmarke von 130 US-Dollar pro Barrel. Diese Entwicklung führt dazu, dass die internationalen Ölkonzerne an immer entlegeneren Orten nach Öl suchen. Immer mehr gerät auch die Arktis in den Blickpunkt. Um einen Wettlauf zu verhindern, hat der dänische Außenminister Per Stig Möller seine Kollegen aus Kanada, Norwegen, Russland und den USA zu einer Konferenz ins grönländische Ilulissat geladen. Marc-Christoph Wagner ist vorab dorthin gereist.

27.05.2008
    Der Hafen von Ilulissat. Fischer in orangenem und dunkelblauem Ölzeug präparieren ihre Boote. Andere kehren heim, machen Halt an der Fischfabrik, lassen den Fang des Tages wiegen. Alltag in einem der größten Orte Grönlands mit seinen etwa 4000 Einwohnern.
    Ilulissat bedeutet Eisberg – und ein Blick auf die Bucht zeigt warum. Eismassen so weit das Auge reicht. Südlich des Ortes kalbt einer der größten Gletscher Grönlands. Just hier, in der Diskobucht vor Ilulissat, werden enorme Ölressourcen vermutet. Jörn Skov Nielsen, der Leiter der Rohstoffbehörde in der grönländischen Hauptstadt Nuuk:
    "In der Diskobucht zwischen dem 67. und 71. Breitengrad haben wir eine Menge Bohrlizenzen vergeben. Weltweit führende Ölkonzerne wie Exxon, Chevron und Husky haben diese ersteigert. Alle geologischen Daten deuten hier auf sehr große Vorkommen hin. Und eben deshalb lassen sich die Konzerne auf dieses Abenteuer ein."
    Ölsuche inmitten von Eisbergen? Der Klimawandel macht es möglich. Im vergangenen Sommer war das Eis in der Nordwestpassage erstmals geschmolzen. Schon in wenigen Jahrzehnten rechnen Geologen mit eisfreien Sommern in der gesamten Arktis. Auf einmal wäre die heute entlegen scheinende Region, in der ein Viertel aller unentdeckten Ressourcen der Welt vermutet werden, in greifbarer Nähe zu den Industriezentren der Welt. Flemming Getreuer Christiansen, Vize-Chef des dänischen Nationalen Geologischen Instituts in Kopenhagen und zuständig für die Ölerforschung:
    "Schnappen Sie sich einen Globus und betrachten Sie die Abstände. Die Distanz zwischen Nordostgrönland und zum Beispiel Japan und China ist sehr kurz, sehr viel kürzer als etwa vom Iran, Irak oder Saudi-Arabien – vorausgesetzt man kann den arktischen Ozean befahren. Auch zu den europäischen Ölzentren wie Aberdeen oder Stavanger ist es nicht weit, ebenso wenig wie nach Kanada oder in die USA."
    Und so herrscht Aufbruchstimmung nicht nur bei den Unternehmen. Alle arktischen Staaten versuchen derzeit ihre Wirtschaftszonen zu erweitern, um die Ressourcen unter dem Meeresboden exklusiv beanspruchen zu können. Bisher liegt die Grenze dafür in der Regel bei 200 Seemeilen vor der eigenen Küste. Im vergangenen Jahr reklamierte Russland gar den Nordpol für sich und sorgte für internationale Schlagzeilen. Doch so nicht, sagt der dänische Außenminister Per Stig Møller. Auf der von ihm initiierten Konferenz in Ilulissat möchte er – zusammen mit Delegationen aus Kanada, Norwegen, Russland und den USA – Spielregeln für den Wettlauf um die Arktis festlegen:
    "Ich möchte sicherstellen, dass alle die geltende Seerechtskonvention der UNO respektieren und evtl. Streitigkeiten innerhalb des bestehenden internationalen Regelwerkes gelöst werden. Im 21. Jahrhundert kann es nicht zugehen wie im Wilden Westen, es geht nicht darum, wer als Erstes ein Gebiet für sich beansprucht. Diese Fragen werden von den entsprechenden Gremien der UNO gelöst und darum müssen wir einen Wettlauf um den Pol verhindern."
    Interessantes Detail: Neben Dänemark sind auch Norwegen, Russland sowie Kanada auf Ministerebene vertreten, nur die USA schicken einen Staatssekretär. Terminschwierigkeiten, so die offizielle Erklärung. Doch ist Washington der einzige der Teilnehmer, der sich weigert die UNO-Seerechtskonvention zu unterschreiben. Per Stig Møller:
    "Ich hoffe, auch die Amerikaner werden die Konvention anerkennen, sonst sind wir zurück im Wilden Westen. Wir leben im 21. Jahrhundert. Das gibt es internationale Regeln."