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Griechen gehen "einen hoch riskanten Weg"

Er habe ein "gewisses Maß an Verständnis" für die Referendumspläne des griechischen Premiers Giorgios Papandreou, sagt der CSU-Politiker Bartholomäus Kalb. Wichtiger sei aber Papandreous Vertrauensfrage: Verlöre er sie, wäre die griechische Regierung über Monate hinweg handlungsunfähig.

Bartholomäus Kalb im Gespräch mit Gerd Breker | 02.11.2011
    Peter Kapern: Einen ganzen Kontinent zu schockieren, das haben bislang nur wenige Politiker geschafft. Der griechische Premier Papandreou hat es fertiggebracht vorgestern Abend, als er ankündigte, seine Landsleute über die Beschlüsse des EU-Gipfels zur Euro-Rettung abstimmen zu lassen. In ganz Europa herrschte Entsetzen, mindestens aber Ratlosigkeit. Die Börsenkurse rauschten in den Keller. Zudem hatte Papandreou ja angekündigt, im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Heute beginnt die Debatte der Abgeordneten darüber. Und in der vergangenen Nacht verschaffte sich Papandreou schon mal die Rückendeckung seines Kabinetts.
    Die Entscheidung des griechischen Regierungschefs Papandreou, ein Referendum über die Euro-Rettung anzusetzen, hat Europa nicht nur schockiert, sondern auch die Gipfel-Choreografie dieser Tage durcheinandergebracht. Bundeskanzlerin Merkel wird heute schon, einen Tag vor dem G-20-Gipfel, nach Cannes reisen. Dort steht dann ein Krisentreffen mit Frankreichs Staatspräsident Sarkozy, Giorgios Papandreou und anderen Euro-Rettern auf dem Programm.
    In der vergangenen Woche erst hatte also die EU ihr Hilfspaket für Griechenland geschnürt, weil ja Regierungschef Papandreou versprochen hatte, die damit verbundenen Sparauflagen zu erfüllen. Dann kam sein überraschender Schachzug. Ob er sich nun von der griechischen Regierung getäuscht fühlt, das hat mein Kollege Gerd Breker gestern Abend Bartholomäus Kalb gefragt, den haushaltspolitischen Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag.

    Bartholomäus Kalb: Ja die Verunsicherung ist natürlich groß. Ich will nicht sagen getäuscht, aber jedenfalls war das ein Schritt, der nicht erwartet worden war, und man sieht es ja auch an der Reaktion der Märkte, dass eine totale Verunsicherung eingesetzt hat. Ich sage aber hinzu: Nach den Massenprotesten in Griechenland habe ich auch ein gewisses Maß an Verständnis für den Ministerpräsidenten.

    Gerd Breker: Das Ergebnis eines Referendums ist mindestens offen, Herr Kalb, denn die Griechen müssten für einen Sparkurs stimmen, der soziale Einschnitte, Gehaltseinbußen und auch Entlassungen bedeutet. Müssen sich die anderen 16 Staaten nun auf beide Optionen, auf ein Ja und ein Nein einstellen?

    Kalb: Ich glaube es ist vernünftig, sich auf beide Optionen einzustellen, wenngleich ich persönlich davon ausgehe, dass die Griechen bei einer Volksabstimmung zu entscheiden wissen, worum es geht, nämlich dann nicht mehr nur mit dem Finger nach außen zeigen können, dass angeblich von außen nur die harten Auflagen kommen, sondern dass es um die eigene Zukunft geht, sodass ich persönlich eher einschätzen würde, die Griechen werden letztlich sich positiv äußern. Aber das hat man nicht in der Hand, man muss sich auf beide Möglichkeiten einstellen.

    Breker: Wäre bei einem Nein der Staatsbankrott Griechenlands überhaupt noch vermeidbar?

    Kalb: Soweit ich das abschätzen kann, nein. Die nächste Frage, die sich ja daran anschließt – jetzt lassen wir mal die rechtlichen Fragen, über die sich bereits die Gelehrten streiten, außen vor – ist ja dann, könnte Griechenland in der Euro-Zone bleiben oder nicht, wobei sich da wieder die nächste Frage anschließt, wäre es denn wirklich eine Tragödie, wenn Griechenland nicht in der Euro-Zone verbleiben wollte.

    Breker: Herr Kalb, haben nicht diejenigen nachträglich recht, die von Beginn an gesagt haben, nein, eine Griechenland-Hilfe sollten wir uns nicht leisten?

    Kalb: Das glaube ich nicht, denn ich glaube schon, dass es einfach die Pflicht von uns allen war, alles zu tun, um eine Euro-Krise zu vermeiden, und da gehört natürlich auch dazu, möglichst den Euro-Raum insgesamt stabil zu halten, den Euro stabil zu halten und Europa stabil zu halten. Das wäre nämlich im Nachgang zur vorherigen Antwort von mir noch die Aussage, dass man dann allerdings überlegen müsste, ist das dann nur ein singulärer Vorgang, oder beginnt damit ein Erosionsprozess in Europa. Wenn es Letzteres wäre, dann wäre es natürlich eine ziemlich schlimme Entwicklung in und für Europa.

    Breker: Sie haben es gesagt: Die Märkte, sie haben umgehend reagiert. Die Aktienmärkte brachen ein und im Visier der Finanzmärkte ist nun allem Anschein nach Italien. Ist denn nun alles, was letzte Woche auf dem Brüsseler Gipfel verabredet wurde, jetzt wieder infrage gestellt?

    Kalb: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube gerade, dass letzte Woche eben die notwendigen Schritte vereinbart worden sind, die, wie man sagt, eine gewisse Brandmauer errichtet haben, um jedenfalls, soweit das menschlich möglich ist, eine Ansteckungsgefahr auf andere Euro-Mitgliedsstaaten zu verhindern.

    Breker: Nun kommt es ja zu einem neuen Krisengipfel zum Thema Griechenland. Papandreou wird Angela Merkel und Nicolas Sarkozy treffen. Welche Erwartungen haben Sie an diesen Sondergipfel?

    Kalb: Also ich kann das selber noch nicht genau vorhersehen. Ich denke, es wird jedenfalls mehr Licht in das Dunkel des griechischen Vorgehens kommen. Und was mir besonders wichtig erscheint, wichtiger als die mögliche Volksabstimmung, ist vor allen Dingen die Frage, ob der Ministerpräsident am nächsten Freitag die Vertrauensfrage gewinnt, denn sonst hätten wir ja über Wochen und Monate hinweg eine nicht handlungsfähige Regierung und ein völliges Gewabere an dieser Ecke.

    Breker: Sie sprechen den Faktor Zeit an. Auch ein Referendum würde natürlich Zeit kosten. Haben wir die Zeit überhaupt?

    Kalb: Ja da würde ich eher sagen, haben die Griechen dafür die Zeit?

    Breker: Und was wäre Ihre Antwort?

    Kalb: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass die Griechen nicht so viel Zeit haben. Wenn sie diesen Weg gehen wollen, gehen sie einen hoch riskanten Weg.

    Kapern: Bartholomäus Kalb, der haushaltspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, gestern Abend im Deutschlandfunk im Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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    Sammelportal dradio.de: Euro in der Krise