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Griechenland
BDI fordert weitere Reformen

Der Bundesverband der Deutschen Industrie rechnet nicht mit einem Schuldenerlass für Griechenland. Das sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber im Deutschlandfunk. Er forderte Athen zu weiteren Reformen auf, etwa zu einer Verbesserung der Investitionssicherheit.

Markus Kerber im Gespräch mit Mario Dobovisek | 28.01.2015
    Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie.
    Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie. (imago / Jakob Hoff)
    Am Ende der Verhandlungen zwischen Griechenland und der EU werde kein Schuldenschnitt stehen, vermutet Markus Kerber. Er glaube aber, dass es an anderer Stelle Luft gebe, sagte der BDI-Hauptgeschäftsführer im Deutschlandfunk. Als Beispiele nannte er Zinslast und Rückzahlungsfristen für die griechischen Schulden bei den internationalen Geldgebern.
    Die neue Regierung müsse zudem weitere Reformen vornehmen, betonte Kerber. Ein zentrales Projekt müsse dabei die Investitionssicherheit sein. Die notwendigen Genehmigungen dafür müssten schneller und rechtssicherer erfolgen. Außerdem sei ein gerechteres Steuersystem notwendig. Durch höhere Einnahmen könnte die Regierung Tsipras möglicherweise ihre angekündigte Abkehr von der Sparpolitik ausgleichen.
    Kerber äußerte sich auch zur Diskussion über den Mindestlohn. Die Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten belaste vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen, betonte er. Hier müsse die Regierung nachbessern.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Sie steht, die neue Regierung Griechenlands, eine Koalition aus Links- und Rechtspopulisten. Viel Zeit bleibt der neuen Regierung nicht, um mit den internationalen Geldgebern zu verhandeln. Schon in einem Monat ist die neue Hilfstranche fällig. Reiche besteuern, Verwaltung reformieren, ein Sofortprogramm zur Linderung der Not auf den Weg bringen, das sind die Pläne von Syriza in Griechenland, wie uns der Ökonom und Syriza-Berater Theodoros Paraskevopoulos gestern an dieser Stelle berichtet hat:
    O-Ton Theodoros Paraskevopoulos: "Wir haben ein Sofortprogramm zur Linderung der Not. Das heißt Gesundheitsvorsorge, das heißt Frühstück in den Schulen, das heißt das Obdachlosenproblem und so weiter. Plus Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft. Und wir haben ausgerechnet, dass dies etwa elfeinhalb Milliarden Euro kosten wird, was durch Umschichtungen im Haushalt und durch Bekämpfung des illegalen Brennstoffhandels finanziert werden kann. Die beiden letzten Maßnahmen summieren sich auf zwölf Milliarden Euro."
    Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Markus Kerber, er ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Guten Morgen, Herr Kerber.
    Markus Kerber: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Umschichtungen im Haushalt, aus Sicht Syrizas ist das kein Aufkündigen der Vereinbarungen mit den Geldgebern. Gleichzeitig halbiert Tsipras sein Kabinett. Wie klingt das für Sie?
    Kerber: Das klingt so, als habe Herr Tsipras die feste Absicht, sein Land auf einen neuen Weg zu stellen, und dafür wurde er ja auch gewählt. Und ich finde, wir müssen zunächst einmal das Wahlergebnis der Griechen akzeptieren. Er kriegt wie jede andere Regierung auch nun ein paar Wochen Zeit, um seine inhaltlichen Dinge zu sortieren und dann ein Programm vorzustellen. Griechenland leidet unter einer Finanzkrise, seit Jahren, vielleicht schon seit Jahrzehnten, und dieses Land leidet unter dieser Finanzkrise, weil Griechenland ein Problem mit seiner Staatlichkeit hat. Hier gibt es einige Punkte, die Tsipras angreifen will. Sie hatten sie in der Anmoderation schon erwähnt. Wenn er die umsetzt, wenn er die umsetzen kann mit seinen griechischen Landsleuten, besteht für ihn durchaus die Chance, höhere Staatseinnahmen bei moderat erhöhten Staatsausgaben zu haben, und dann ist er auf einem Weg, der die Abtragung der Schuldenlast für ihn vielleicht leichter macht als für Vorgängerregierungen.
    Investitionssicherheit und gerechteres Steuersystem
    Dobovisek: Welche Reformen sind aus Ihrer Sicht am wichtigsten, damit die deutsche Industrie auch weiterhin die Daumen hebt?
    Kerber: Die deutsche Industrie, wir beim Bundesverband der Deutschen Industrie sehen Investitionssicherheit in Griechenland immer noch als ein zentrales Reformprojekt an. Das heißt, Investitionen, die notwendigen Genehmigungen dafür müssen schneller und rechtssicherer erfolgen. Und ich würde auch mich darüber freuen, wenn Griechenland ein gerechteres Steuersystem bekommen würde, dass mehr Leute Steuern zahlen und dass über einen so verbesserten Haushalt dann auch öffentliche Investitionen in Griechenland erfolgen. Denn es gilt ja in jedem Land der Europäischen Union, dass die Kombination aus öffentlichen, also aus staatlichen Investitionen und den privaten Investitionen, für die beispielsweise deutsche Industrieunternehmen dann verantwortlich wären, wenn sie Griechenland für einen attraktiven Markt halten würden, dass diese Kombination dann zu Wachstum und zu Arbeitsplätzen führt, und das genau braucht Griechenland.
    Dobovisek: Alexis Tsipras wünscht sich mehr Nachsicht in Europa, spricht über niedrige Zinsen, längere Tilgungsdauern, also Laufzeiten, gar einen neuen Schuldenschnitt. Wie weit sollten die internationalen Geldgeber Griechenland entgegenkommen?
    Kerber: Ich darf mal festhalten, dass Griechenland im Moment nur knapp um die zwei Prozent zahlt auf seine Schuldenlast, dass die Tilgung erst in ein paar Jahren beginnt und dass sie eine sehr lange Tilgungszeit bekommen haben. Das sind Bedingungen, wie sie kein anderes Euro-Mitgliedsland hat. Allerdings hat auch kein anderes Euro-Mitgliedsland solch hohe Lasten, wie Griechenland sie sich selbst auferlegt hat. Ich denke, wir werden in den nächsten Wochen - Ende Februar läuft das laufende Hilfspaket ja aus - mit Griechenland auf der Euro-Staatenebene bei den ECOFIN-Ministern in intensive und harte Verhandlungen treten, an deren Ende meines Erachtens aber kein Schuldenschnitt stehen wird.
    Dobovisek: Zwei Prozent Zinsen, lange Laufzeiten, kein Schuldenschnitt, lässt das überhaupt noch Verhandlungsspielraum übrig?
    Kerber: Ich habe ja gesagt, ich sehe am Ende der Verhandlungen keinen Schuldenschnitt. Die zwei anderen Elemente, das werden die ECOFIN-Minister miteinander aushandeln müssen, ob es Spielraum gibt, um Griechenlands Zinslast noch ein wenig zu senken und eventuell eine längere Rückzahlungsfrist zu vereinbaren. Ich glaube, da gibt es - da sind sich ja alle Kommentatoren und Analytiker einig - noch etwas Luft, und wenn es das ist, was er braucht, in Kombination der Reformen, die ich vorher nannte, zur besseren Staatlichkeit in Griechenland, dann lässt sich vielleicht am Horizont ein Kompromisspaket erkennen.
    Staatseinnahmen erhöhen
    Dobovisek: Reformen und vor allem Sparmaßnahmen sind für die Betroffenen immer schmerzhaft. Vielleicht waren sie zu schmerzhaft, wenn uns etwa Dora Bakoyannis von der Nea Dimokratia sagt, Alexis Tsipras sei der größte Erfolg der Troika. Hat sie Recht?
    Kerber: Sie hat nicht Recht. Alle Reformmaßnahmen - erinnern wir uns an die von Gerhard Schröder konzipierte Agenda 2010 - treffen in der Bevölkerung immer auf Ablehnung, weil sie Einschnitte in bestehende Ansprüche bedeuten. In Griechenland sind die Sparmaßnahmen, die die griechischen Regierungen auf den Tisch gelegt haben als Antwort auf die Troika, ja auch ein Resultat der von mir vorher bemängelten fehlenden Steuergerechtigkeit. Und deswegen hat die Regierung Tsipras jetzt die Chance, der eigenen Bevölkerung zu sagen, es gibt eine Alternative zur Sparpolitik, wie sie die griechische Regierung ja verantworten muss, wir können die Forderungen Europas, die Solidarität, die die Europäer Griechenland gewährt haben, anders abgelten, indem wir die Staatseinnahmen erhöhen. Und wenn Herr Tsipras hier eine Lösung findet, sollte uns das doch allen recht sein. Aber die Alternative zur griechischen Sparpolitik muss die griechische Politik in Griechenland finden.
    Dobovisek: Griechenland und die neue Regierung dort treiben Sorgenfalten auf die Gesichter der Euro-Retter, während die Europäische Zentralbank mit ihrer Niedrigzinspolitik und den Anleihekäufen den Euro zu verteidigen sucht. Der Kurs gegenüber dem Dollar fällt und fällt, das ist gut für den Export. Freut sich die deutsche Industrie über die europäische Geldschwemme?
    Kerber: Wir haben zur europäischen Geldpolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie wahrscheinlich eine ähnlich neutrale Einstellung wie die deutsche Bundesregierung, was damit zu tun hat, dass Zentralbanken immer nur dann ihre geldpolitischen Maßnahmen zur Geltung kommen lassen, wenn die Zentralbank der Meinung ist, sie müsse dies tun. Und Mario Draghi hat schon im August ...
    Dobovisek: Sind Sie denn auch der Meinung, dass das zur rechten Zeit kommt?
    Kerber: Ob es zur rechten Zeit kommt, weiß ich nicht, aber ich bin derselben Meinung wie Mario Draghi, dass wenn die nationalen Regierungen in der Europäischen Union und in der Eurozone einen Mangel an nationalstaatlicher Reformpolitik, einen Mangel an Strukturpolitik zeigen - und das ist eindeutig der Fall bei Ländern wie Frankreich und Italien und manch anderen -, dann muss die Europäische Zentralbank, wie jetzt in dieser Woche und in der vergangenen Woche der Fall, als Ultima Ratio geldpolitische Maßnahmen zum Einsatz bringen. So gesehen macht Draghi alles, um nicht der unterlassenen Hilfeleistung sich schuldig zu machen. Aber er hat immer darauf verwiesen - und das ist auch die Position des Bundesverbands der Deutschen Industrie -, Geldpolitik durch die EZB ersetzt niemals und nimmer Strukturpolitik zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit in den Not leidenden und wenig wettbewerbsfähigen Staaten. Auch diese Maßnahme der EZB ist nur ein weiteres Erkaufen von Zeit, verbunden mit der Hoffnung, dass über einen moderaten Anstieg der Inflation sich die Inflations- und Wachstumschancen Europas erhöhen.
    Anschwellen des Bürokratieaufwands durch den Mindestlohn
    Dobovisek: Kommen wir zu einem anderen Thema. Seit 28 Tagen erst gilt der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland. Doch Union und SPD streiten schon jetzt über Nachbesserungen. Es geht da unter anderem um die Dokumentationspflicht. Wie schwer belastet die die Unternehmen?
    Kerber: Die Unternehmen sind durch eine ganze Reihe von Maßnahmen der neuen Bundesregierung in den vergangenen 14 Monaten extrem stark belastet worden, und zwar auf just einem Gebiet, das sich die Regierung selber verordnet hat: zur Reform nämlich der Bürokratie. Der Mindestlohn ist eine der Maßnahmen, die zu einem Anschwellen des Bürokratieaufwands geführt hat, und es gibt ganz erhebliche Verärgerung gerade in kleinen und mittleren Unternehmen über die neuen Dokumentationspflichten beim Mindestlohn. Ich glaube, wir haben in Deutschland mittlerweile eine politische Einsicht, dass der Mindestlohn eine Maßnahme ist, die diese Regierung sich nicht nehmen lässt. Darum haben wir das ja auch mittlerweile im Gesetzesblatt. Die Umsetzung aber des Mindestlohns, wenn die bei Unternehmen zu einer unverhältnismäßigen Auseinandersetzung mit Papierkrieg, mit Dokumentationspflichten, mit Aufzeichnungspflichten, mit Überwachungstätigkeiten führt, dann verstehe ich, warum wir als Unternehmer nicht nur im Bundesverband der Deutschen Industrie, sondern auch bei der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeber, bei der BDA, jetzt gemeinsam eine Überarbeitung oder eine Evaluation in absehbarer Zeit für die mit dem Mindestlohn verbundenen bürokratischen Hindernisse fordern.
    Dobovisek: Sollte diese Dokumentationspflicht, also die jetzige Schwelle für den Nachweis der Arbeitszeit der Mitarbeiter, ganz abgeschafft werden aus Ihrer Sicht?
    Kerber: Schauen Sie, jeder Arbeitgeber in Deutschland zeichnet heute schon - das ist ein völlig normaler Tätigkeitsbereich, um Löhne nachher am Ende des Monats überhaupt berechnen zu können - Arbeitszeiten auf. Warum können wir denn nicht nach einer Lösung suchen, die keinen bürokratischen Mehraufwand verursacht? Nur darum geht es uns doch. Niemand wehrt sich aufseiten der deutschen Industrie oder der deutschen Wirtschaft gegen die Erfordernisse, Arbeitszeiten aufzuzeichnen. Das tun wir schon immer. Aber wenn jetzt zusätzliche Maßnahmen kommen, dann sollte evaluiert werden, ob nicht Bürokratie in dem Maße abgebaut werden kann, dass wir wenigstens keine Netto-Mehraufwände haben bei der Erfassung von Arbeitszeiten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.