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Griechenland
"Da kann die Eurozone auseinanderfliegen"

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnt vor den Risiken eines Ausscheidens Griechenlands aus dem Euro. "Da steht es in Brüssel Spitz auf Knopf, und da kann die Eurozone auseinanderfliegen", sagte der SPD-Politiker im DLF. Und noch eins ist ihm wichtig: Er wünscht sich von der Bundesregierung mehr Kompromissbereitschaft.

Martin Schulz im Gespräch mit Bettina Klein | 13.07.2015
    EU-Parlamentspräsident Martin Schulz am 12.07.2015 in Brüssel
    Schulz: "Die Staats- und Regierungschefs sind sich ihrer Verantwortung alle bewusst" (picture-alliance / dpa / Nicolas Maeterlinck)
    Schulz sagte weiter, die Verhandlungen in Brüssel seien hart, kompliziert und konfrontativ. Er könne nachvollziehen, dass Athen den geforderten Treuhandfonds ablehne, in den griechische Vermögenswerte zur Privatisierung übertragen werden sollen. "Das ist natürlich eine Frage von Souveränitätsverzicht." Griechenland werde aber vieles akzeptieren müssen und habe das in der Nacht auch schon. Er hoffe, dass es auch beim Thema Fonds zu einer Einigung komme.
    Nach der Einschätzung des SPD-Politikers sind sich die Staats- und Regierungschefs ihrer Verantwortung in den Verhandlungen bewusst. "Das europäische Projekt steht Spitz auf Knopf, wenn wir heute nicht zu einer Einigung kommen", betonte Schulz. Er wünsche sich von der Bundesregierung, dass sie dem "Kompromissweg entgegen" komme. Das habe sie teilweise getan, teilweise stocke es noch. Sie sei aber nicht die einzige Regierung der Eurozone, die sich so verhalte. Er betonte, die SPD wolle, dass Griechenland in der Eurozone bleibe.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Seit gestern Nachmittag verhandeln und beraten die Staats- und Regierungschefs der Eurozone in Brüssel und überlegen, wie es weitergehen kann mit Griechenland. Diverse Reformvorschläge kursieren erneut. Mehrfach wurden die Verhandlungen unterbrochen.
    Martin Schulz ist am Telefon (SPD), Präsident des Europaparlamentes. Ich grüße Sie, guten Morgen.
    Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Herr Schulz, Sie waren gestern in Brüssel, und wir müssen jetzt sagen, um 7:21 Uhr kein Ergebnis. Was sollen wir daraus schließen?
    Schulz: ... , dass die Verhandlungen kompliziert sind, hart sind, konfrontativ. Viele Punkte sind sicher abgearbeitet worden, aber die in der Anmoderation genannten Punkte, der Fonds, die Eigentümerschaft des Fonds, die Summe, die da rein soll, auch die Privatisierung, das ist hoch umstritten.
    Klein: Hoch umstritten auch innerhalb der Eurozone, innerhalb der anderen Mitglieder der Eurozone, abgesehen von Griechenland jetzt?
    Schulz: Ja natürlich! Ganz klar! Es geht um die Frage, ob Griechenland überhaupt in der Lage ist, 50 Milliarden aus Privatisierungserlösen aufzubringen. Das wird von vielen angezweifelt, von anderen aber kategorisch gefordert. Und die Frage, ob man ein Staatsvermögen privatisiert und es anschließend in die Hände anderer, also nicht derjenigen, denen es gehört, nämlich in die Hände des Volkes und seiner Regierung legt, das ist natürlich eine Frage von Souveränitätsverzicht, die jede andere Regierung, nicht nur die Regierung von Tsipras zunächst einmal von sich weist.
    "Griechenland wird vieles akzeptieren müssen"
    Klein: Aber was ist Ihre Haltung, Herr Schulz? Sagen Sie, Griechenland muss dem zustimmen, muss auch diesem Souveränitätsverzicht zustimmen, sonst ist es vorbei?
    Schulz: Ich glaube, dass wir rationale Wege gehen müssen, und die gehen immer nur über den Kompromiss.
    Ich stecke nicht in den Details drin. Griechenland wird sicher vieles akzeptieren müssen. Sie haben ja im Verlauf der Nacht auch schon eine Menge akzeptiert, zum Beispiel auch die Frage, dass sie schnell ins Parlament müssen, schnell Beschlüsse fassen müssen, die übrigens auch die Grundvoraussetzung dafür sind. Dass diese Beschlüsse in Athen gefasst werden, sind die Grundvoraussetzung dafür, dass andere Parlamente, in Finnland, in Deutschland, in den Niederlanden, überhaupt zusammentreten, um ihrerseits Beschlüsse zu fassen, also Zug um Zug zu handeln. Das sind Dinge, die sind vereinbart worden. Das war eigentlich heute Nacht auf einem guten Weg. Und ich hoffe, dass es auch bei dem Fonds am Ende zu einer Einigung kommt.
    Klein: Herr Schulz, finden Sie es gerechtfertigt, diese massive schwere Kritik, die an der Bundesregierung, gerade an der Bundesregierung, auch an der deutschen Kanzlerin im Augenblick geübt wird von der Opposition in Berlin, aber auch vielen, die sich auf Twitter äußern - ich hatte den Hashtag "This is a Coup" schon mal angesprochen -, die von einem Staatsstreich sprechen mit Blick auf die Bundesregierung und die Eurozone? Ist das angemessen?
    Schulz: In den sozialen Netzwerken toben sich ja die unterschiedlichsten Leute aus. Deshalb will ich das da nicht kommentieren.
    Fakt ist, dass sich jeder über seine Verantwortung im Klaren sein muss. Das gilt für die griechische Regierung sowie für die Bundesregierung. Die Staats- und Regierungschefs, die da um den Tisch herumsaßen, waren sich gestern Abend, als ich dabei war, ihrer Verantwortung, glaube ich, alle gemeinsam bewusst, und es ist ja immer interessant, dass diejenigen, die in den sozialen Netzwerken die Kommentare abgeben, schon alles wissen.
    Ich weiß noch nicht alles und deshalb kann ich dazu auch nichts sagen.
    "Europäisches Projekt steht heute Spitz auf Knopf"
    Klein: Eine bestimmte Gruppe von Ökonomen äußert sich ja dort auch, Paul Krugman, Joseph Stiglitz - wir haben das vorhin auch kurz angesprochen -, die die Befürchtung äußern, dass die Bundesregierung jetzt nicht nur finanzpolitische Fehler begeht, sondern das europäische Projekt untergräbt, und das ist ja etwas, wo auch Ihre Meinung gefragt ist an der Stelle.
    Schulz: Ja klar! Im Deutschlandfunk gebe ich da gerne auch eine Antwort auf Ihre Frage. Das europäische Projekt steht heute Spitz auf Knopf. Wenn wir heute nicht zu einer Einigung kommen, wenn es wirklich nicht gelingen sollte, dass die 19 Mitgliedsstaaten der Währungsunion sich einigen, dann haben wir ein großes europäisches Problem, nämlich dass zum ersten Mal ein Integrationsschritt in Europa rückgängig gemacht wird, und das wird nicht ohne Folgen bleiben.
    Insofern haben alle ihre Verantwortung. Nur die Bundesregierung hat ihre Verantwortung. Ich würde mir auch wünschen, sie käme dem Kompromissweg entgegen. Das hat sie teilweise getan, teilweise stockt es da noch, aber sie ist ja nicht die einzige Regierung. Ich kann natürlich auch den Ministerpräsidenten der Slowakei verstehen, der sagt, ich soll jetzt weiter zahlen, obwohl bei mir die Renten halb so hoch sind wie in Griechenland. Und in Finnland hat der Regierungschef das Problem, dass seine Koalition auseinanderzufliegen droht.
    Das heißt, da sitzen ja nicht nur die Deutschen; da sitzen alle 19 und ich gehe mal davon aus, dass die auch wissen, was auf dem Spiel steht.
    Klein: Wir haben gestern auch von verschiedenen Politikern der Europäischen Union, der Eurozone ziemlich deutliche Kritik auch an Deutschland gehört, vom österreichischen Bundeskanzler etwa, der sagt, er hält ein befristetes Ausschließen aus einer Währung für entwürdigend. Wir haben Matteo Renzi aus Italien hören können, der in Richtung Deutschland sagt, jetzt reicht es. Ist das richtig?
    Schulz: Ich glaube, dass die Vorschläge, die Wolfgang Schäuble da auf den Tisch gelegt hat, mit dem fünfjährigen Ausscheiden aus der Eurozone, die Leute sehr irritiert hat.
    Das war ja auch keine offizielle Regierungsposition, sondern das war ein Papier, das mal angestellt worden ist. Die Überlegungen in dem Papier sind einmal angestellt worden zu einem Zeitpunkt, wo darüber nachgedacht wurde, was passiert eigentlich, wenn die Griechen von sich aus aus der Eurozone ausscheiden wollen. Das kann man dann nicht anschließend wieder als verbindliches Regierungspapier, was es nicht wahr, auf den Tisch legen und glauben, die Leute würden sich darüber nicht aufregen.
    Ich glaube, das hat die Atmosphäre aufgeheizt. Aber insgesamt, glaube ich, war die Atmosphäre heute Nacht, soweit ich das beobachten konnte, eigentlich sehr sachlich, auch von Matteo Renzi, auch von anderen, auch von Angela Merkel.
    Von daher gehe ich immer noch davon aus, dass da Vernunft herrscht. Aber diese fünfjährige Grexit-Idee, die ist ja auch vom Tisch. Da muss man jetzt nicht weiter drüber diskutieren.
    "Wir wollen, dass Griechenland in der Eurozone bleibt"
    Klein: Lassen Sie uns dabei noch mal ganz kurz bleiben. Sie haben ja gestern mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und anderen Sozialdemokraten zusammengesessen in Brüssel. Es gab etwas Verwirrung, weil es erst von ihm hieß, es sei ihm bekannt gewesen. Dann haben Sie gemeinsam mit ihm einen Brief an die Sozialdemokraten geschickt und sich davon distanziert. Müssen wir das auch werten als eine klare politische Absetzbewegung der SPD?
    Schulz: Die SPD wird sich für einen Weg entscheiden, der den Grexit vermeidet. Das ist die Hauptbotschaft. Wir wollen, dass Griechenland in der Eurozone bleibt. Ich bin auch ein bisschen erstaunt. Dieses Papier ist von Herrn Schäuble auf den Tisch gelegt worden. Warum soll die SPD nun weiter über dieses Papier diskutieren, das vom Tisch ist. Wir konzentrieren uns auf das, was jetzt an Lösungsnotwendigkeiten da ist. Da geht es um diesen Privatisierungsfonds, da geht es um die Frage, wem gehört er. Und ich glaube, dass auch diese Hürde noch überwindbar ist bei gutem Willen. Wie die Kanzlerin ja immer sagt: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
    Klein: Ich glaube, die Verwirrung ist ja auch entstanden, weil Schäuble gesagt hat, das ist mit der SPD abgesprochen. Sigmar Gabriel hat gesagt, ja, es war bekannt. Gleichzeitig entfaltete sich ja ein Proteststurm vieler sozialdemokratischer Politiker. Da ist ja ein Widerspruch!
    Schulz: Wenn der Finanzminister in einer Runde, in der er sitzt, ein Papier vorlegt, das er vor Wochen mal anderen Leuten zur Kenntnis gegeben hat, und dann sagt, das sei abgestimmt, dann ist das die Formulierung des Finanzministers.
    Klein: Und Gabriel sagte, das war bekannt, es war ihm inhaltlich bekannt, aber er hat dazu nicht genickt, nachdem das von Schäuble vorgelegt wurde.
    Schulz: Wissen Sie, Frau Klein, da steht es in Brüssel Spitz auf Knopf und da kann die Eurozone auseinanderfliegen, und wir tun als Sozialdemokraten alles, dass das nicht gelingt. Ich weiß nicht, ob dieses Papier jetzt noch ein wichtiger Gegenstand der Diskussion ist. Glaube ich eher nicht!
    Klein: Weil es gestern, wie Sie angedeutet haben, die Stimmung sehr verschärft hat. Deswegen wollte ich da gern noch mal nachfragen, Herr Schulz.
    Noch mal abschließend: Wir haben die verschiedenen Staaten angesprochen. Wenn wir davon sprechen, wie gefährdet das Projekt ist, geht es auch um eine drohende Spaltung, sage ich mal, zwischen Nord und Süd in Europa, oder wie würden Sie das beschreiben?
    "Grexit könnte Risiken für den Zerfall der Eurozone erhöhen"
    Klein: Darum geht es ja nicht. Die ist ja schon da. Es geht ja darum, dass wir genau diese Spaltung überwinden, indem wir einen Weg gehen, der sowohl für Griechenland ökonomisch als auch politisch tragbar ist. Politisch hat, glaube ich, der Ministerpräsident Tsipras eine Menge Verwirrung selbst ausgelöst und ein großes Problem, das er hat, ist, dass er jetzt wieder auf einen Weg gehen muss, den er eigentlich abgelehnt hatte.
    Gleichzeitig glaube ich, dass den anderen klar gemacht werden muss, dass, wenn Griechenland aus der Eurozone ausscheidet, das nicht das Ende einer Bewegung ist, sondern möglicherweise erst der Anfang einer Bewegung. Da teile ich die Auffassung von Günter Verheugen. Die Krise ist so tief, dass mit einem Grexit der Glaube, jetzt sind wir das Problem los, ein Irrglaube ist.
    Ich glaube, dass es dann erst ganz schwierig wird. Aus zwei Gründen. Erstens: Wir wissen nicht, was in Griechenland geschieht. Und zweitens: Wir wissen nicht, ob es bei Griechenland bleibt, oder ob Spekulationen gegen andere Länder entstehen in der Eurozone. Ich glaube, dass die Risiken größer sind, wenn Griechenland aus dem Euro ausscheidet, als wenn wir Griechenland im Euro halten.
    Klein: Die Einschätzung von Martin Schulz heute Morgen im Deutschlandfunk, Präsident des Europaparlamentes. Ich danke Ihnen für dieses Interview, Herr Schulz!
    Schulz: Bitte sehr, Frau Klein!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.