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Griechenland droht "eine schreckliche Dauerkrise"

"Es wird letztlich darauf hinauslaufen, dass Griechenland aus der Eurozone austritt", sagt Wirtschaftswissenschaftler und Eurokritiker Wilhelm Hankel. Nur durch eine Rückkehr zur Drachme könne sich Griechenland aus eigener Kraft retten.

Wilhelm Hankel im Gespräch mit Jürgen Liminski | 29.03.2010
    Jürgen Liminski: Nach dem EU-Gipfel ist vor dem EU-Gipfel oder vor der nächsten Prüfung der griechischen Verhältnisse, denn das Griechen-Problem ist noch lange nicht gelöst. Eine Frage lautet: Wie lange hält der Euro Stand? Eine andere: kann der Internationale Währungsfonds das Problem lösen? Kann man ein Land aus der Eurozone ausschließen, und sei es nur zeitweise? – Zu diesen Fragen begrüße ich den Professor für Finanzwirtschaft, Wilhelm Hankel. Er lehrt an der Uni Frankfurt und war lange in der Politik tätig, als Mitarbeiter von Kanzler Schmidt und Superminister Schiller. Guten Morgen, Herr Hankel.

    Wilhelm Hankel: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Hankel, der Internationale Währungsfonds soll es nun richten. Kann er das und wird er das tun, wenn er gefragt wird?

    Hankel: Ich würde allen Beteiligten raten, sich mal die Statuten anzuschauen. Die gibt es seit 50 Jahren, sind auch noch nie verändert worden, und die sehen vor, dass der Internationale Währungsfonds nicht Staaten hilft, sondern Zentralbanken, und zwar Zentralbanken, die Probleme mit ihren Reserven haben. Der Fall Griechenland, also Auslösung eines Staates, Finanzierung von Budgets, kommt in den Statuten nicht vor.

    Liminski: Und wenn man nun einen Weg findet, den IWF trotzdem anzugehen?

    Hankel: Dann müsste man zumindest die Vereinigten Staaten fragen, denn die haben im IWF das Sagen. Sie haben nämlich eine Sperrminorität, und gegen die USA läuft im IWF nichts. Auch darüber haben wir 50 Jahre praktische Erfahrung.

    Liminski: Auch die Amerikaner haben derzeit ein Interesse an einem starken Euro. Das bringt Touristen und verteuert die europäischen Exporte, schafft also bessere Wettbewerbsbedingungen für US-Waren. Man könnte sich vorstellen, dass Amerika an einer Beteiligung des IWF zur Rettung der Griechen interessiert ist.

    Hankel: Ich könnte mir auch etwas anderes vorstellen, dass sie nicht daran interessiert sind, den Euro, ihren Rivalen, zu stützen, und dass sie auch nicht daran interessiert sind, europäische Banken aus dem Feuer zu holen, solange sie eigene haben. Eine Stabilisierung des Dollars bedeutet für die Vereinigten Staaten niedrige Zinsen und ich glaube, das ist durchaus im jetzigen Stadium lebenswichtig. Also ich wäre da nicht so sicher. Zumindest hängt es von ihrem Ja ab, ob das Ganze Arrangement Brüssel überhaupt das Papier wert ist, auf dem es geschrieben wurde, wenn es überhaupt geschrieben wurde.

    Liminski: Irgendwie müssen die Griechen ja gerettet werden. Man fürchtet den Dominoeffekt und schon deshalb müsse Griechenland gerettet werden, heißt es immer. Ist diese Rettung eine Systemfrage?

    Hankel: In gewissem Sinne ja, denn das europäische Währungssystem ist ja ein System und das sieht solche Rettungen auch nicht vor, sondern jeder Staat muss sich selber retten. Es ist eiserner Bestandteil des europäischen Währungssystems: erstens, dass es keine Haftung von Staaten für Staaten gibt – das ist die sogenannte No-bail-out-Klausel -, und zweitens, dass jeder Staat, der den Stabilitätspakt verletzt, mit Bordmitteln versucht, sich wieder in die richtige Vertragserfüllung hineinzubringen. Deswegen hat die EU ja geradezu mörderische Auflagen an ihre Hilfe geknüpft. Wenn Griechenland diese erfüllt, bin ich nicht sicher, ob es dann die Ziele des Stabilitätspakts erfüllt, aber ich bin ziemlich sicher, dass es dann in eine schreckliche Dauerkrise rutscht.

    Liminski: Wenn Griechenland sich selber nicht retten kann, muss dann die EU nicht eingreifen?

    Hankel: Nun, man hat ja bisher immer auf Marktkräfte gesetzt und es gibt einen marktwirtschaftlichen Weg, wie man ohne Vertragsverletzung und ohne Verletzung des Stabilitätspakts Griechenland aus der Gefahrenzone bringt. Das ist nämlich der Weg der Selbsthilfe, wenn Griechenland gewissermaßen die Position wechselt. Das Währungssystem besteht ja aus zwei Kammern, der Euro-Kammer und der Vorkammer zum Euro, und in der Vorkammer zum Euro, dem sogenannten Wechselkursmechanismus, da sitzen ehrenwerte Länder, elf an der Zahl, die alle den Stabilitätspakt erfüllen, die aber eines gemeinsam haben: Sie haben eine eigene Währung und sie betreiben eigene Wechselkurspolitik. Wenn Griechenland von der einen Kammer zur anderen wechselt, zurückkehrt zur Drachme, diese ins richtige Verhältnis zum Euro setzt, auf Deutsch abwertet, dann hat es die Voraussetzung für seine Rettung aus eigener Kraft geschaffen, denn dann wird es wieder wettbewerbsfähig, und Sie, nehme ich an, Herr Liminski, wie auch ich als glühende Helenen können dann gerne wieder nach Griechenland reisen, weil wir dann einen Rabatt bekommen von 40 oder 50 Prozent auf die neue Drachme. Das wäre der Weg der ökonomischen Vernunft.

    Liminski: Und Sie glauben, dass die Griechen gerade das verhindern wollen?

    Hankel: Das ist schwer zu erkennen, aber ich glaube, dass Griechen keine Selbstmörder sind und dass vor allen Dingen auch die gegenwärtige Regierung Wert darauf legt, mal wiedergewählt zu werden, und deswegen werden sie die mit der EU-Hilfe verbundene giftige Medizin, ich glaube, nur mit größtem Vorbehalt zu sich nehmen, wenn sie sie überhaupt zu sich nehmen.

    Liminski: Es ist viel Geld auf dem Markt und Inflation ist noch nicht ausgebrochen, weil die Banken auf dem Geld sitzen. Ist die Inflation nur eine Frage der Zeit?

    Hankel: Angesichts des bisher eingeschlagenen Weges, nicht nur im Falle Griechenlands, sondern überhaupt im Falle der Bankenrettung, sicherlich. Es sind ja unglaubliche Summen neu geschaffen worden, werden auch laufend neu geschaffen, und auch die Bedienung der Staatsschulden wird langsam zu einem Problem, und damit kommen wir eigentlich auf den wahren Kern der Griechenland-Hilfe. Es geht ja gar nicht um Griechenland, sondern es geht um die in Griechenland engagierten Banken, und das sind auch weitgehend deutsche, französische und andere auch, und eigentlich sollte man die Wahrheit sagen, dass der Plan, Griechenland über den IWF zu retten, ja gar nicht von irgendeiner Regierung stammt, auch nicht der deutschen, sondern in den Denkwerkstätten einer deutschen Bank und der Europäischen Kommission in Brüssel ausgeheckt worden ist.

    Liminski: Die Bundesregierung hat das vielleicht doch erkannt, man will die Banken an der Rettung, an ihrer eigenen Rettung beteiligen. Das könnte doch systemstabilisierend sein?

    Hankel: Um welchen Preis? Zerrüttung der Währung, der Euro-Währung? Zerrüttung der Staatsfinanzen nicht nur der Schuldnerländer, sondern auch der Gläubigerländer, die diese Schulden übernehmen? – Ich denke, das ist ein wohl nicht angebrachter Preis. Ich glaube, es wird letztlich darauf hinauslaufen, dass Griechenland aus der Eurozone austritt.

    Liminski: Wenn es nun entgegen Ihrer Erwartung zum "Bail out", zum Herauskaufen Griechenlands mit Hilfe europäischer Staaten kommt, werden Sie dann vor das Bundesverfassungsgericht ziehen?

    Hankel: Mit Sicherheit! Wir arbeiten daran und wir haben diesmal, wie ich glaube, bessere Karten, denn diesmal kann sich das Verfassungsgericht nicht auf politische übergeordnete Interessen berufen. Es hat ja selbst schon mal ein Urteil in Sachen "Bail out" und Euro gefällt, nämlich das berühmte Maastricht-Urteil aus dem Jahre 1993, und dort haben die Vorgänger der heutigen Richter klipp und klar festgestellt, die Bundesregierung müsste aus jeder Währungsunion austreten, die nicht die Stabilität der Währung garantiert, eine Stabilität, die am Maß der D-Mark orientiert ist, und angesichts der jetzt getroffenen Maßnahmen ist daran höflichst zu zweifeln. Hinzu kommt: Jeder "Bail out", egal wie er finanziert wird, ob direkt, ob über die EZB oder, wie jetzt vorgeschlagen, über den IWF, jeder "Bail out" ist ein Rechtsbruch, und daran kann kein Verfassungsgericht vorbeigehen.

    Liminski: Die Stabilität ist noch lange nicht gesichert, sagt hier im Deutschlandfunk Professor Wilhelm Hankel, Finanzwirtschaftler aus Frankfurt. Besten Dank für das Gespräch, Herr Hankel.

    Hankel: Gerne.