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"Griechenland hält sich an die Vereinbarungen"

Der griechische Parlamentspräsident Filippos Petsalnikos fordert Anerkennung für die Bemühungen seines Landes. Man habe das Staatsdefizit innerhalb von zwei Jahren um sechs Prozent gesenkt. Daher sei er optimistisch, dass die Troika weiteren Finanzhilfen für Griechenland zustimmt.

Filippos Petsalnikos im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.01.2012
    Sandra Schulz: Die nächsten Milliarden werden Ende März fällig. Bis dahin braucht Griechenland Geld, sonst droht die Pleite. Aber noch sind die Notkredite nicht in Reichweite, über weitere Zahlungen in zwei- oder dreistelliger Milliardenhöhe entscheidet die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, und die ist seit dieser Woche wieder in Athen und will sich ein Bild machen, wie weit das Land ist beim Umsetzen der versprochenen Reformen. Besonders ermutigend waren die letzten Meldungen nicht, die Defizitziele für 2011 gelten jetzt schon als obsolet, denn die Rezession war noch stärker ausgefallen als befürchtet. Parallel verhandelt Athen mit dem privaten Sektor über eine Beteiligung am Schuldenschnitt. Auch das sind heikle Gespräche, die zuletzt abgebrochen wurden, was ebenfalls für Alarmstimmung sorgt, denn ohne Schuldenschnitt keine Notkredite. Wie will das Land also den Kopf aus der Schlinge ziehen? – Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen.
    Jetzt haben wir Kontakt nach Athen, wo seit dieser Woche wieder die Troika berät und sich informiert. Am Telefon begrüße ich den Präsidenten des griechischen Parlaments, den Abgeordneten der sozialistischen Partei Pasok, Filippos Petsalnikos. Guten Morgen!

    Filippos Petsalnikos: Guten Morgen.

    Schulz: Die Kritik war schon vor der Anreise der Troika aus Berlin zu vernehmen. Danach gibt es eine große Lücke zwischen dem beschlossenen Sparprogramm und der Umsetzung. Die EU-Kommission hat auch schon gemahnt, an den Reformen solle festgehalten werden. Warum klappt es nicht mit den griechischen Versprechen?

    Petsalnikos: Ich bin nicht dieser Meinung. Die Regierung hält sich an die Ziele sozusagen und an das, was besprochen worden ist, auch mit der Kommission, und dieser Tage gerade besprechen wir im Parlament das Gesetz, was die Veränderungen weiter voranbringt. Außerdem: Ich muss daran erinnern, dass Griechenland innerhalb von zwei Jahren das Defizit um sechs Prozent verringert hat, und das ist eine enorme Leistung. Wenn man in Deutschland solche Kriterien machen sollte, müsste man Kürzungen um rund 60 Milliarden Euro vergleichsweise machen. Griechenland hat da einen sehr großen Versuch unternommen, seine Finanzen in Ordnung zu bringen. Das darf man nicht vergessen. Also Griechenland hält sich an die Vereinbarungen sozusagen.

    Schulz: Sie sagen, das sei jetzt alles in Gang gekommen mit den Reformen. Herr Petsalnikos, wie passt es denn dazu, dass die OECD der griechischen Administration bescheinigt, sie sei praktisch reformunfähig?

    Petsalnikos: Die Reformen gehen weiter in unserem Land und wir müssen das alles in einer sehr kurzen Zeit machen. Das darf man auch nicht vergessen. Ich kann mich daran erinnern, als Deutschland gezwungen war, nach der Wiedervereinigung Reformen herbeizubringen, da hat man auch erheblich mehr Zeit gehabt. Wir müssen das alles jetzt machen, wir müssen unsere Vereinbarungen halten, aber wir halten uns auch fest an diese Vereinbarungen.

    Schulz: Gehen Sie davon aus, dass die Troika gute Nachrichten haben wird für Griechenland?

    Petsalnikos: Wir hoffen, dass die Troika vor allem Verständnis für die enormen Versuche des griechischen Volkes zeigt.

    Schulz: Aber wie kommen Sie darauf, dass es viel Verständnis gibt?

    Petsalnikos: Ich bin optimistisch sozusagen. Ich bin optimistisch, dass das eigentlich klappen muss.

    Schulz: Aber wenn man auf die Wortmeldungen schaut? Der IWF zum Beispiel kritisiert, dass die Finanzbehörde in Griechenland das Eintreiben von Steuern eher verhindere, als es zu befördern. Sind die Reformen wirklich auf einem guten Weg?

    Petsalnikos: Die Reformen sind auf dem guten Weg und die ganze Reorganisation der Steuerbehörden, das war ein Problem für uns, die Steuerhinterziehung. Aber das ist nicht wie in der Vergangenheit.

    Schulz: Also das ist aktuell in Griechenland kein Problem mehr?

    Petsalnikos: Wir sind dabei, die Steuerhinterziehung hinter uns zu lassen, und wir warten auch ab, wie das Ergebnis am Schluss ist für das Jahr 2011, denn der Haushalt hat sich noch nicht abgeschlossen für dieses Jahr. Und die Ziele werden erreicht, also nach den Angaben, die wir bis jetzt zur Verfügung haben.

    Schulz: Aber nach allen Prognosen, die bis jetzt auf dem Tisch liegen, sieht alles danach aus, als wenn das aktuelle Ziel, das Defizit um neun Prozent zu senken, verfehlt wird. Wie wollen Sie das Ruder herumreißen?

    Petsalnikos: Dieses Ziel wird anscheinend gehalten. Das war 16 Prozent vor zwei Jahren. Im Jahr 2009 war das Defizit bei 16 Prozent. Das darf man auch nicht vergessen, innerhalb von zwei Jahren um sechs Prozent das herunterzudrücken.

    Schulz: Ich würde mit Ihnen gerne auf Ihre Rolle als Parlamentspräsident schauen. Ihr Land ist jetzt seit fast zwei Jahren im Ausnahmezustand, wegen der Schuldenkrise. Welchen Gestaltungsspielraum hat da das griechische Parlament eigentlich noch?

    Petsalnikos: Ich glaube, wir haben das Schlimmste hinter uns. Das war eine sehr schwierige Zeit auch für uns, die Parlamentarier, und für das griechische Parlament. Aber die schwierigsten Zeiten, nehme ich an, sind hinter uns.

    Schulz: Was macht Sie da so zuversichtlich? Die Proteste gehen ja weiter.

    Petsalnikos: Gott sei Dank haben wir keine solch großen Proteste. Wenn Sie den Protest meinen, der gestern stattgefunden hat, im Vergleich mit der Vergangenheit war das für uns harmlos.

    Schulz: Und das spielt dann auch keine weitere Rolle mehr, wenn Zehntausende protestieren?

    Petsalnikos: Es waren nicht Zehntausende Leute auf den Straßen, Gott sei Dank nicht mehr.

    Schulz: Das haben die Agenturen gestern gemeldet.

    Petsalnikos: Im Sommer und im Frühjahr letztes Jahr hatten wir tatsächlich die Leute auf der Straße, und das ist verständlich, denn das Einkommen der Leute ist abgeschnitten, wurde gekürzt, und die haben auch mit Recht protestiert.

    Schulz: Sie haben vor zwei Jahren in einem offenen Brief im "Stern" geschrieben, es müsse vordringlich der griechische Souverän sein, der die neue Richtung in Ihrem Land bestimmt. Ist Ihr Eindruck, dass das so gekommen ist?

    Petsalnikos: Ich bin immer noch dieser Meinung, nicht nur für Griechenland. Wir müssen in Europa etwas umdenken und wir müssen auch verstehen, dass vor allem die Völker souverän sein sollten. Natürlich: In einer solchen Situation ist die Souveränität nicht voll, wie wir das wollen. Aber eigentlich, das griechische Volk muss souverän sein, wie das deutsche Volk auch und jedes Volk in Europa, und wir müssen in Europa auch denken, wie die Entwicklung weitergeht, und nicht nur die Kürzungen und so weiter und so fort. Die Sanierung des Haushaltes ist notwendig, aber das reicht nicht, um nicht nur Griechenland, auch die anderen Länder und Europa insgesamt aus der Krise herauszubringen.

    Schulz: Der Präsident des griechischen Parlaments, Filippos Petsalnikos, war heute hier bei uns in den "Informationen am Morgen" als Gesprächspartner zu Gast am Telefon. Haben Sie herzlichen Dank dafür.

    Petsalnikos: Auf Wiedersehen. – Danke schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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