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"Griechenland ist kein hoffnungsloser Fall"

Als Oppositionspolitiker ist er gegen das rigorose griechische Sparpaket, das heute vorgestellt wird. Es sei nicht zu realisieren, sagt Evangelos Antonaros und führt eine deutsch-liberale Lösung an: Die Steuern müssten gesenkt werden.

Evangelos Antonaros im Gespräch mit Freidbert Meurer | 22.12.2010
    Friedbert Meurer: In Griechenland steht Weihnachten noch nicht unmittelbar vor der Tür wie bei uns. Das orthodoxe Weihnachtsfest beginnt erst am 6. Januar. Im Parlament in Athen herrscht auch alles andere als vorweihnachtliche Stimmung, wenn die Regierung ihren Landsleuten heute den Sparhaushalt 2011 als Geschenk präsentiert. Aber Europäische Union und Internationaler Währungsfonds haben Griechenland an die Leine genommen, die Bevölkerung muss den Gürtel enger schnallen und mancher verzichtet da auf teuere Weihnachtsgeschenke.
    Vor einer Woche wurde schon einmal debattiert im Parlament, und da verließ der frühere Transportminister Costis Hatzidakis das Parlament und wurde von brutalen Gegnern zusammengeschlagen. So hörte sich das damals an. Blutüberströmt musste Costis Hatzidakis das Weite suchen und sich in Sicherheit flüchten. – Am Telefon begrüße ich nun Evangelos Antonaros. Er ist Parteifreund von Hatzidakis für die Oppositionspartei Nea Dimokratia, war früher stellvertretender Außenminister Griechenlands. Guten Morgen, Herr Antonaros.

    Evangelos Antonaros: Guten Morgen! – Ich war Regierungssprecher in der letzten Regierung und in der Tat, es ist sehr bedenklich, was mit meinem Kollegen und guten Freund Costis Hatzidakis passiert ist. Das hätte, sage ich, jedem von uns passieren können. Hatzidakis ist brutal beim Verlassen des Parlaments überfallen worden und von einigen Hitzköpfen zusammengeprügelt worden. Es hätte lebensgefährlich sein können.

    Meurer: Wer waren diese Hitzköpfe?

    Antonaros: Das kann ich nicht beurteilen. Das muss die Polizei herausfinden. Im Moment sind Untersuchungen im Gange. Ich höre von Polizeikreisen, man hört von Polizeikreisen, würde ich sagen, dass einer von den drei, die zugeschlagen haben, bereits identifiziert worden ist. Also wie gesagt, die Suche nach den Tatverdächtigen ist im Gange.

    Meurer: Wenn ich das richtig sehe, will Ihre Partei ja gegen den Sparhaushalt stimmen. Machen da die Randalierer keinen Unterschied zwischen Sozialisten und Nea Dimokratia, egal wer kommt, er droht zusammengeschlagen zu werden?

    Antonaros: Ich würde sagen, diese radikalen Elemente gehen möglicherweise gegen jeden Politiker vor. Aber diese kleine, ganz kleine Anzahl von wie gesagt radikalen Elementen, von denen ich auch nicht weiß, wer sie genau sind, die sind mit großer Mehrheit der griechischen Bevölkerung nicht gleichzusetzen.

    Meurer: Das heißt, wenn Sie heute ins Parlament gehen, haben Sie keine Angst, Herr Antonaros?

    Antonaros: Ich habe keine Angst, nein. Ich gehe fast jeden Tag, ich laufe jeden Tag durch die Stadt, durch die Innenstadt. Es kann sein, natürlich, das gebe ich Ihnen offen zu, dass ich angesprochen werde, dass ich mit Fragen konfrontiert werde, wieso das und das andere passiert ist, wieso die Situation außer Kontrolle geraten ist. Da wird oft offen auf offener Straße debattiert, diskutiert. Die Leute wollen Antworten haben.

    Meurer: Und was wird am meisten kritisiert, wenn Sie angesprochen werden?

    Antonaros: Ich werde kritisiert. Ich werde auch kritisiert.

    Meurer: Sie selbst?

    Antonaros: Bitte?

    Meurer: Also Sie selbst für das, was Sie in der alten Regierung getan haben?

    Antonaros: Ja, genau! Aber da werden auch jetzt Vertreter der neuen griechischen Regierung – und ich habe natürlich sehr viele Bekannte, sehr viele Freunde in der Fraktion der regierenden sozialistischen Partei – mit ähnlichen Fragen konfrontiert, wieso sie das nicht anders entschieden haben, wieso sie unpopuläre Maßnahmen ergreifen, wieso sie die Gehälter kürzen. Das sind Fragen, die natürlich die Leute beschäftigen, weil sie ihren Alltag betreffen. Das sind harte Einschnitte.

    Meurer: Wieso werden Sie denn gegen diese harten Einschnitte stimmen, Herr Antonaros?

    Antonaros: Wir werden, ich werde nicht gegen diese harten - - Wir haben für sehr viele Maßnahmen, die die Regierung ergriffen hat, dafür gestimmt. Aber ich bin der Meinung, persönlich der Meinung, dass dieser Sparhaushalt, wie er dem Parlament vorgelegt worden ist, unrealistisch ist. Das habe ich auch gestern Abend im Plenum gesagt. Und weil er unrealistisch ist, wird er nicht realisierbar sein. Was ich damit meine ist Folgendes, ganz einfach: Es sind Zusatzeinnahmen vorgesehen, um das Defizit zu kürzen, die nicht durchzuführen sind, weil die Wirtschaftsleistung gewaltig schrumpft. Wo sollen diese Steuereinnahmen überhaupt her? Die Leute haben kein Geld, die geben kein Geld aus. Wenn man in diesen Tagen durch die Athener Innenstadt geht, dann merkt man einfach, es wird nichts eingekauft, also es entsteht kein Umsatz. Daher kann die Regierung trotz der erhöhten Mehrwertsteuersätze nichts kassieren.

    Meurer: Es klingt trotzdem ein bisschen nach typisch griechischem Oppositionsverhalten. Wer immer gerade in der Opposition ist, lehnt das ab, was die Regierung beschließt. So kommt Griechenland nie aus der Misere heraus.

    Antonaros: Nein, das ist leider nicht wahr. In der letzten Regierung hatten wir vor der letzten Wahl ein sehr unangenehmes Sparpaket dem griechischen Volk, der griechischen Bevölkerung vorgelegt, und wir hatten auch gesagt, dass unangenehme Maßnahmen unausweichlich seien.

    Meurer: Aber das Defizit war trotzdem weit über 10 Prozent.

    Antonaros: Das Defizit war nach unserer Schätzung bei 10 Prozent, das hatten wir auch offen gesagt. Aber wie gesagt, mit diesen Maßnahmen, ohne Konjunkturprogramme, ohne Anreize für neue Investitionen, ist die Krise nicht zu bewältigen.

    Meurer: Aber Konjunkturprogramme kosten Geld. Wo soll das herkommen, wenn die EU auf Defizitbegrenzung besteht?

    Antonaros: Wie bitte?

    Meurer: Wenn die EU darauf besteht, dass sie ihre Defizite abbauen, wo soll das Geld herkommen?

    Antonaros: Das Defizit muss unbedingt auch abgebaut werden, aber Konjunkturanreize bedeutet nicht unbedingt Geld. Konjunkturanreize bedeutet unter anderem niedrigere Steuersätze, sodass die Leute, das griechische Kleingewerbe, das das Rückgrat der griechischen Wirtschaft ist, die Möglichkeit hat, das eigene Geld einzusetzen, und das tut diese griechische Regierung leider nicht.

    Meurer: Wir hatten im Frühjahr gehört, als die Griechenland-Krise losging, Herr Antonaros, dass reiche Leute sich arm rechnen, dass Leute eine Jacht besitzen und keinen Cent Steuern bezahlen. Wird das anders werden?

    Antonaros: Ich hoffe doch! Ich hoffe doch, dass es anders wird. Es ist sehr zu begrüßen, dass diesen Leuten, solchen Fällen an die Gurgel gegangen wird.

    Meurer: Auch in Deutschland meinen viele, Griechenland sei ein hoffnungsloser Fall. Was meinen Sie?

    Antonaros: Ich glaube, Griechenland ist kein hoffnungsloser Fall. Griechenland hat ein enormes Potenzial in sehr vielen Bereichen, kann sich entwickeln auf anderen Bereichen, als sich zum Beispiel ein Land, sagen wir so, wie Österreich oder Dänemark entwickeln könnte. Griechenland – das darf man nicht vergessen – hat enormes Potenzial auf dem Gebiet des Tourismus. Griechenland hat eine der am besten ausgebildeten Bevölkerung in Europa. Es gibt nirgendwo in Europa so viele Akademiker wie in Griechenland, gemessen an der Bevölkerung. Dieses Potenzial muss zur Geltung kommen. Man muss diesem Potenzial die Möglichkeit geben, sich zu entfalten und dem Land auf die Sprünge zu helfen.

    Meurer: Also es besteht Hoffnung, sagt Evangelos Antonaros, früher Regierungssprecher in Griechenland. Und eines will ich noch korrigieren: Weihnachten in Griechenland ist doch jetzt schon am Wochenende und nicht wie in Russland am 6. Januar. Auch wieder was dazugelernt. Schönes Weihnachtsfest, Herr Antonaros. Auf Wiederhören!

    Antonaros: Ihnen wünsche ich das auch.