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Griechenland-Krise
"Das Referendum war ein Fehler"

Mit seiner Entscheidung, den Verhandlungstisch zu verlassen und ein Referendum über die Sparauflagen einzuberufen, habe Griechenlands Ministerpräsident Tsipras einen schweren Fehler begangen, sagte der SPD-Europapolitiker Udo Bullmann im DLF. Ein Grexit sei nun aber die schlechteste Lösung für Griechenland und für Europa.

Udo Bullmann im Gespräch mit Christine Heuer | 06.07.2015
    Alexis Tsipras bei einer Ansprache
    Griechenlands Premierminister AlexisTsipras (picture alliance/dpa/ANA-MPA/PRIME MINISTER OF GREECE)
    Christine Heuer: Das Nein hat gewonnen. Die Griechen haben im Referendum klar gegen die Hilfspläne der Eurogruppe gestimmt und damit möglicherweise für ihren Austritt aus dem Euro. Wohin Hellas Reise geht, das ist im Moment noch unklar. Klar ist aber inzwischen, dass Athen einen neuen Finanzminister ins Rennen schickt, denn der umstrittene Janis Varoufakis ist zurückgetreten, offenbar, um eine Einigung mit den Gläubigern zu überwiegend griechischen Bedingungen zu erleichtern.
    Im Rest Europas fragen sich alle, was die Griechen jetzt vorschlagen und wohin das alles eigentlich führen soll. In Paris beraten sich heute Abend Francois Hollande und Angela Merkel. Der deutsch-französische Motor wird also wieder einmal angeschmissen. Frankreich möchte weiter mit Griechenland verhandeln, so sieht es aus, die deutsche Kanzlerin möglicherweise auch. Aber im Deutschen Bundestag wächst der Widerstand gegen ein neues Hilfspaket. Eine schwierige Ausgangslage für das Treffen von Hollande und Merkel.
    Erste Reaktionen in Berlin fallen recht unterschiedlich aus. Über die Reaktionen in Paris haben wir gerade gehört. Und wie ist es in Brüssel?
    Am Telefon ist der SPD-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Udo Bullmann. Guten Tag, Herr Bullmann.
    Udo Bullmann: Schönen guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: Ihr Parteivorsitzender, Sigmar Gabriel, der hat gesagt, Athen hat die Brücken einseitig abgebrochen. War's das jetzt mit den Verhandlungen?
    Bullmann: Ich glaube, dass es ein Fehler war von Tsipras, das Referendum einzuberufen. Es war ein Fehler, vom Verhandlungstisch wegzugehen. Ich muss allerdings auch sagen, auch auf der Seite der Finanzminister der Geberländer sind Fehler gemacht worden. Es gab zwei konkrete Einigungschancen, einmal in der Woche vom 22. Juni und selbst danach noch kurz vor Auslaufen des Programms am 29./30. Juni. Ich bedauere sehr und ich glaube, es war ein harter Fehler, dass man nicht auf einer Einigung bestanden hat. Das rächt sich jetzt, wir sind in einer verfahrenen Situation.
    Heuer: Also das war's jetzt mit den Verhandlungen?
    Bullmann: Das sollte nicht so sein. Ich finde, es darf keinen Automatismus geben zum Grexit. Das wäre die schlechteste Lösung für Griechenland, das wäre die schlechteste Lösung für Europa, auch wenn man an die Menschen in Griechenland denkt. Ich denke, dass Jean-Claude Juncker, aber auch Martin Schulz in den letzten Wochen sehr, sehr viel investiert haben, um Einigungen herbeizuführen. Meines Erachtens sollte man den vertändelten Ball noch mal aufnehmen in der Situation, wo eine Vereinbarung zum Greifen nah war. Ich hoffe sehr, dass das zustande kommt.
    "Ein Grexit wird der teuerste von allen Wegen"
    Heuer: Offenbar bietet Athen jetzt an, mehr Geld zu nehmen, aber ohne weitere Bedingungen. Ist das eine Kompromisslinie, über die sich reden lässt?
    Bullmann: Ich glaube, dass das keine Kompromisslinie ist. Es geht ja nicht darum, Geld zu geben ohne Auflagen. Es ging immer darum in den vergangenen Jahren, Unterstützung zu geben für die richtigen Auflagen. Ich glaube, das Register der Verfehlungen ist älter als die Wahl von Syriza im Januar 2015.
    Heuer: Aber wenn wir in die Zukunft gucken? Entschuldigung, Herr Bullmann! Wenn wir in die Zukunft gucken? Das, was wir heute aus Athen hören, das klingt ja nun überhaupt nicht anders als das, was wir vor dem Referendum gehört haben. Worüber soll denn da um Gottes Willen noch gesprochen werden?
    Bullmann: Wenn ich den Gedanken ausführen darf?
    Heuer: Ja.
    Bullmann: Ich glaube, dass der Fehler der Geberländer seit Jahren darin besteht, die falschen Auflagen zu machen und auf den richtigen Auflagen nicht zu bestehen. Es war eine Katastrophe, dass wir die ganzen letzten Jahre keine notwendigen Reformen bei der Staatsmodernisierung gesehen haben, keine Reformen bei den Kommunalverwaltungen, keine Reformen bei der Technik, wie man Steuern einnimmt, bei der Gestaltung anständiger Finanzämter, und ich halte das für eine solide Basis, jetzt auch der Regierung zu sagen, wenn ihr euch nicht dort bewegt, wenn ihr euch nicht zu den zwingend notwendigen Strukturreformen bekennt, dann haben wir eine Situation, in der es kein Grünes Licht mehr geben kann. Wenn ihr aber ernsthaft den Nachweis antretet, endlich, endlich, endlich in Reformen zu kommen, dann muss es auch einen finanziellen Weg geben, denn Grexit wie gesagt wird der teuerste von allen Wegen für alle Beteiligten sein.
    Heuer: Herr Bullmann, jetzt gucke ich selber mal in die Vergangenheit. Ich hatte das immer so verstanden, dass genau das, was Sie gerade als Szenario entworfen haben, auf dem Tisch lag am 25. Juni, als die Griechen die Verhandlungen abgebrochen haben.
    Bullmann: Ich glaube, dass es dilettantische Fehler, wie gesagt; von beiden Seiten gab. Sonst hätte man sich nicht zerstritten über die Frage, wie hoch der Mehrwertsteuersatz auf den ägäischen Inseln ist, und man hätte sich nicht zerstritten über die Frage, ob man nicht vielleicht doch Unternehmenssteuer-Reformen akzeptiert und nicht auf Rentenkürzungen besteht. Alles das ist sehr kleines Karo gewesen und man hätte die Einigung auf der Grundlage besserer Vorschläge erzwingen müssen. Dann wären wir jetzt nicht in diesem Chaos.
    Bullmann: Investitions- und Wachstumsprogramme nötig
    Heuer: Jetzt nehmen wir mal an, es wird neu verhandelt. Nehmen wir an, die Europäer, die gläubiger insgesamt einigen sich darauf, es gibt ein Mandat zu weiteren Verhandlungen mit Athen. Dann muss das in den Parlamenten abgestimmt werden, in manchen Parlamenten in Europa, und auch im Deutschen Bundestag. Es sieht nicht so aus, als gäbe es dort ein Ja. Und es würde wahnsinnig viel Zeit in Anspruch nehmen. Ist die Zeit nicht abgelaufen? Muss man sich das nicht eingestehen?
    Bullmann: Dass man das nicht übers Knie brechen kann, wird so sein. Ich sagte ja, es wäre alles viel leichter gewesen, wenn man bei dem zweiten Programm vor dem 30. Juni zu einer Einigung gekommen wäre, die sieben Milliarden ausgezahlt worden wären, wir damit die Liquiditätsprobleme jedenfalls für dieses Jahr beseitigt hätten. Dennoch muss man auf die Dauer zu einer Umgehensweise mit der langfristigen Schuldentragfähigkeit kommen und hier sind ehrliche Antworten gefragt. Das ist ein Problem, bei welcher Lösung auch immer.
    Heuer: Ehrliche Antworten - Entschuldigung! -, heißt das Schuldenschnitt?
    Bullmann: Ehrliche Antwort heißt, dass man sich damit auseinandersetzen muss, dass der Internationale Währungsfonds sagt, in den nächsten drei Jahren fehlen über 50 Milliarden, und diese Frage ist eine seriöse Frage. Wie will man damit umgehen? Egal ob man sagt, man bleibt im Euro, das wäre auf jeden Fall die Lösung meiner Wahl, oder ob man sagt, das ist nicht mehr darstellbar, es wird sehr teuer werden, wenn man nicht sehr bald mit Investitions- und Wachstumsprogrammen im Interesse der griechischen Bevölkerung beginnt.
    Heuer: Der SPD-Abgeordnete im Europaparlament Udo Bullmann war das. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bullmann.
    Bullmann: Auf Wiederhören!
    Heuer: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.