Dienstag, 16. April 2024

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Griechenland-Schuldenkrise
"Das wird schwer genug"

Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis wurden offenbar von Premierminister Alexis Tsipras Kompetenzen entzogen. Klar sei, dass Griechenland in der Eurozone bleiben möchte, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Jens Bastian im DLF. Tsipras müsse deshalb einen Kompromiss finden, der sowohl die europäischen Partner als auch die griechische Bevölkerung überzeuge.

Wirtschaftswissenschaftler Jens Bastian im Gespräch mit Peter Kapern | 29.04.2015
    Der griechische Finanzminister Yannis Varoufakis steht hinter einigen Mikrofonen und verzerrt das Gesicht.
    Der griechische Finanzminister Yannis Varoufakis irritiert mit seinem unkonventionellen Auftreten Politiker und Journalisten - auch einige aus seiner Heimat. (picture alliance / dpa / Stephanie Lecocq)
    Bettina Klein: "Varoufakis entmachtet" - das war eine Schlagzeile gestern. Tatsächlich werden dem griechischen Finanzminister offenbar Kompetenzen entzogen. Doch deutet das jetzt auf eine Art Strategiewechsel der griechischen Regierung hin im Streit mit den Institutionen und der Europäischen Union? Eine Spekulation! - Darüber hat mein Kollege Peter Kapern gestern Abend mit dem Wirtschaftswissenschaftler Jens Bastian gesprochen. Der arbeitete unter anderem für die Task Force der Europäischen Union für Griechenland, wo er selbst auch lebt.
    Peter Kapern: Zieht Tsipras in Sachen Yanis Varoufakis tatsächlich die Reißleine?
    Jens Bastian: Ich sehe darin keinen Nachruf auf Herrn Varoufakis, auch keine Entmachtung, wie es manche bereits kommentieren, sondern zunächst einmal hat hier der Premierminister deutlich gemacht, dass er die Richtlinienkompetenz in den kommenden Wochen selber zu bestimmen hat und dass er diese im Premierminister-Büro auch konzentrieren möchte. Ich glaube, es ist außerdem bei dieser Personalrochade zu erkennen, er möchte zu einer Vereinbarung kommen. Aber das muss ein Kompromiss sein, der sehr stark auch berücksichtigt nicht nur mit den europäischen Partnern einen Kompromiss, sondern auch einer, der gegenüber der griechischen Bevölkerung erklärbar und vermittelbar ist.
    Kapern: Gibt es da rote Linien, die er dann in diesem Sinne nicht überschreiten darf, Alexis Tsipras, wenn er dies den Griechen verkaufen will?
    Bastian: Auf jeden Fall gibt es rote Linien. Aber zunächst einmal eine, die darin besteht: Klar, dass Griechenland in der Eurozone bleiben möchte, dass es aber auch nicht in diesen Verhandlungen und in einem möglichen Kompromiss als das bezeichnet wird, wie in Griechenland das sehr wichtig ist, dass nämlich das Land, seine Gesellschaft erniedrigt wird. Es geht also um einen Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können. Das wird schwer genug. Da geht es um Rentenreform, vor allen Dingen, ob Frühverrentungen gestoppt werden können. Da geht es um Mehrwertsteuererhöhung, zum Beispiel, was bestimmte populäre Urlaubsinseln angeht, die zurzeit legale Steuerimmunität haben. Da geht es dann auch um Fragen des Arbeitsmarktes, zum Beispiel Mindestlohn, oder auch die Wiedereinführung kollektiver Tarifverträge.
    Zerstrittene Koalition
    Kapern: Nun haben Sie die Situation gerade so geschildert, als stünde Alexis Tsipras da sozusagen nur vor der schwierigen Aufgabe, die griechische Bevölkerung von einer solchen Reformliste überzeugen zu müssen. De facto ist es doch so, dass er es auch mit einer innerlich zerstrittenen und immer zerstritteneren Koalition zu tun hat. Welche Bewegungsfreiheit hat er denn da überhaupt noch?
    Bastian: Das ist korrekt, dass die erste Aufgabe nach einem möglichen Kompromiss darin besteht, das seiner eigenen Parlamentsfraktion zu vermitteln. Das ist die Aufgabe eines Premierministers, da muss er Führungsqualität zeigen. Diese Parlamentsfraktion ist neu, sie ist in vielerlei Hinsicht, was die parlamentarische Alltagsarbeit angeht, auch immer noch unerfahren, verhält sich manchmal aufmüpfig oder auch dilettantisch. Diese Überzeugungsarbeit wird Zeit brauchen, denn er muss Gesetze durchs Parlament bringen und seine Mehrheit ist nicht so groß, als dass er da viele Abweichler sich leisten kann.
    Den Reformbegriff positiv zu besetzen
    Kapern: Was macht denn seine Koalition nicht mit? Was machen seine Abgeordneten nicht mit von dem, was möglicherweise in Brüssel gewünscht wird?
    Bastian: Das, was zunächst mal mit Blick auf das Wort Würde oder Erniedrigung eine große Rolle hier in der öffentlichen Auseinandersetzung spielt. Das heißt: Sind die Verhandlungen am Ende der Gestalt, dass Griechenland tatsächlich damit leben kann, dass das seiner Öffentlichkeit vermittelbar ist, warum diese Reformen notwendig sind, und dass es dabei nicht darum geht, wer hat den anderen über den Tisch gezogen. Das andere ist, dass in der Sache wichtig sein wird, den Reformbegriff positiv zu besetzen, einer griechischen Öffentlichkeit, auch einer Parlamentsfraktion zu vermitteln, warum brauchen wir solche Reformen im Bereich der Rentenreformen oder Arbeitsmarkt- oder auch der Mehrwertsteuererhöhung. Hier den Rentenbegriff, den Reformbegriff positiv zu besetzen, das ist schwer genug. Dieser Begriff ist durch die Arbeit der vergangenen Jahre sehr stark belastet, vor allen Dingen mit Blick auf die Arbeit mit der Troika.
    Kapern: Andererseits hätte jede griechische Regierung doch schon etliche Jahre Zeit gehabt, diese Vermittlungsarbeit zu leisten, oder?
    Bastian: In der Tat, die ist notwendig. Sie ist manchmal unternommen worden und dann wieder gescheitert, weil die Reformen immer wieder auf einem zentralen Problem gehakt haben, nämlich dass sie in Verbindung gebracht wurden mit Auflagen, und zwar es gibt nur Geld, wenn bestimmte Strukturreformen durchs Parlament gebracht worden sind, das was in Deutschland manchmal unter dem Stichwort "Griechenland muss liefern", "Griechenland muss seine Hausaufgaben machen". Das wird oft in Griechenland in einer Weise definiert, hier werden Reformen von außen uns aufgedrängt, abverlangt, die eigentlich nicht in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind. Hier muss umgesteuert werden. Hier liegt eigentlich auch die große Chance dieser neuen Regierung, die sie allerdings auch in den vergangenen Wochen mit viel zu viel Zeit verspielt hat, diesen Reformbegriff zu besetzen, positiv zu definieren und der Öffentlichkeit zu vermitteln, warum wir das gemeinsam machen müssen.
    Klein: Der Wirtschaftswissenschaftler Jens Bastian im Deutschlandfunk. Die Fragen stellte mein Kollege Peter Kapern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.