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Griechenland und die Horrorvision des Grexit

Der politische Druck, der auf der griechischen Regierung lastet, wird immer größer – von innen und von außen. Die Euroländer halten an dem Ziel fest, Griechenland in der Eurozone zu halten. Eine Währung ist mehr als nur ein Zahlungsmittel. Sie hat auch einen politischen und gesellschaftlichen Wert.

Von Thomas Bormann | 13.10.2012
    Athen, Syntagma-Platz – Wirtschaftszentrum, sozialer Brennpunkt, Verkehrsknotenpunkt: Hier treffen die wichtigsten Metro- und Buslinien zusammen. Hier thront das griechische Parlament über den zentralen Platz der Stadt. Hier protestieren fast täglich empörte Griechen gegen die Sparpolitik. Und hier hat Yannis Monogios sein Büro.

    Dr. Yannis Monogios ist Wissenschaftler im unabhängigen Forschungsinstitut KEPE, das nicht zufällig in unmittelbarer Nachbarschaft zum griechischen Finanzministerium steht: Monogios berät die griechische Regierung – und so wie sie unter Druck so steht auch Monogios unter Druck: Gleich muss er wieder rüber ins Ministerium. Gerade ruft ein Kollege an und klagt nun am Telefon, dass da schon wieder dieses böse Wort "Grexit" in einer deutschen Zeitung stehe. Grexit, der Austritt Griechenlands aus der Eurozone.

    Ein schreckliches Wort, sagt Yannis Monogios, nachdem er den Hörer aufgelegt hat. Griechenland ohne Euro - er schüttelt den Kopf:

    "Meine ganz persönliche, bescheidene Meinung ist, dass das eine Katastrophe wäre. Es wäre die Wiederkehr, oder wenn Sie so wollen, die moderne Version von Dantes Inferno."

    Dantes Inferno. Die Hölle auf Erden. Gar nicht auszudenken, was bei einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone passieren würde. Griechenland stünde dann auch politisch am Abgrund. Die Griechen wären ein enttäuschtes, ein zurückgewiesenes, ein düpiertes, ein gebrochenes Volk .

    Yannis Monogios trägt einen dunklen Anzug, darunter ein weißes Hemd, aber keine Krawatte. Er beugt sich vor und nickt langsam mit sorgenvoller Miene. Er ist Wissenschaftler. Er kann seine Sorgen mit Zahlen belegen:

    "Stellen Sie sich vor: Bis jetzt sind die Löhne schon um 27 Prozent gesunken - innerhalb von zweieinhalb Jahren! Wenn wir zurückkehren würden zu einer nationalen Währung, dann hätten wir noch einmal eine große Abwertung um etwa 40 bis 45 Prozent. Das ist zu wenig zum Überleben."

    Im Vergleich zum Euro also wäre die Drachme 40 bis 45 Prozent weniger wert, schätzt Monogios. Die Preise im Supermarkt würden aber nicht in gleicher Weise sinken, weil die Hälfte der Waren, die da im Regal stehen, aus dem Ausland importiert werden muss. All das würde teurer werden, unbezahlbar werden für Millionen Rentner und Geringverdiener. Vor Hunger würden die Armen auf die Barrikaden gehen.

    Nein, Yannis Monogios schüttelt wieder den Kopf. Aus dem Euro raus! Slowenen, Slowaken, Zyprer, Malteser und Esten, sind alle kommen rein in den Euro und die Griechen sollen raus? Was für eine Demütigung!

    Nein, Griechenland muss den Euro behalten.

    Yannis Monogios hebt die Augenbrauen. Wir strengen uns für dieses Ziel an, sagt er, und kann es wieder mit einer Zahl belegen:
    "Es hat doch Fortschritte gegeben. Wir hatten 36 Milliarden Euro Primärdefizit und das ist jetzt runter auf zweieinhalb Milliarden in 2012. Das ist eine riesige Leistung. Das gab es noch nie in einem anderen Land."

    Primärdefizit. So nennt man das Staatsdefizit OHNE die Zinsen, die der Staat für seine Schulden zahlen muss. Im Falle Griechenlands sind das noch einmal so um die zehn Milliarden Euro. Pro Jahr. Doch theoretisch hätte der griechische Staat auch diese Milliarden, wenn es da nicht das große griechische Problem gäbe:

    "Das gesamte griechische Problem lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Besteuerung. Wenn du siehst, dass die Einnahmen im Staatshaushalt regelmäßig Jahr für Jahr niedriger sind als die Ausgaben - wenn Du diese Lücke im Haushalt nicht nur jetzt hast, sondern die letzten 30 Jahre, dann ist das doch das offene Eingeständnis, dass du nichts dagegen getan hast all die Jahre."

    Yannis Monogios dreht sich auf seinem Stuhl kurz nach rechts und zeigt auf die Wand hinter sich. Dort hängt sein Lieblingsspruch, in schwarz auf weiß gedruckt auf ein DIN-A-5 Blatt im Querformat. Ein Zitat des großen Philosophen Platon aus der Antike, der schon vor 2400 Jahren warnte: "Wenn wir eine Steuer auf das Einkommen erheben, dann wird der ehrliche Mann viel zahlen und der unehrliche wenig."

    "Die Wahrheit ist: All diese philosophischen Grundsätze, die unsere eigenen Urururgoßväter entwickelt haben, befolgen wir in unserer Zeit nicht. Und Steuerhinterziehung ist ein riesiges Problem in diesem Land."

    Das ist die wirkliche griechische Tragödie, meint Yiannis Monogios:

    "Wissen Sie, wir Griechen sind berüchtigt dafür, schneller Geschichte zu schreiben, als aus der Geschichte zu lernen."
    Das Problem der mangelnden Steuerehrlichkeit in Griechenland hat also schon Platon erkannt. Und jetzt, 2400 Jahre später, soll die Regierung Antonis Samaras das Problem lösen und der 47-jährige promovierte Wissenschaftler Yannis Monogios will ihm dabei helfen:

    "Steuerhinterziehung hat eine gewaltige, ungeheuerliche, enorme Dimension in diesem Land erreicht. Und wissen Sie warum? - Weil das Steuersystem nicht funktioniert. Die Steuerverwaltung ist wirkungslos. Die griechischen Bürger haben viel mehr Anreize, Steuern zu umgehen, als sie zu befolgen. Die Steuerehrlichkeit ist in Griechenland sehr niedrig."

    Yannis Monogios weiß: Es wird Jahre dauern, alle Griechen zu ehrlichen Steuerzahlern zu erziehen; aber, so sagt er: Sein Volk ist auf dem Weg dorthin. Die Griechen hätten verstanden – im Grunde seien sie bereit, auch die nächste Sparrunde mitzutragen, wenn man sie nur nicht mit der Option Grexit bestrafte. Deshalb wird es sich rechnen, Griechenland jetzt zu helfen und in der Eurozone zu halten:

    "Die Volkswirtschaften sind miteinander verbunden. Die Finanzsysteme sind verbunden. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro hätte heftige Auswirkungen. Das wäre der Beginn einer neuen Serie Probleme, selbst gemacht, wegen der Verzahnung der Wirtschaft. Und die Deutschen wissen das sehr, sehr gut. Das würde sie 50, 60, 70 Milliarden kosten. Also: Die Rechnung für einen Grexit wäre sehr hoch und das wissen sie nur zu gut."

    Grexit - das wäre der größte Fehler, den die anderen Euroländer machen könnten. Nein, Europa muss solidarisch bleiben, sagt Yannis Monogios mit etwas lauterer Stimme. Wenn die Eurofamilie zusammenhält, werden letztlich alle davon profitieren, nicht nur die Griechen, auch die Deutschen. Das ist die Botschaft von Yannis Monogios:

    "Zusammenarbeit ist eine Win-win-Situation. Jeder würde profitieren. Ein Konflikt hier mit einem möglichen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone aber wäre eine Loose-loose-Situation für die Deutschen und für alle anderen in der Europäischen Union."