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Griechenland und die Krise (3/5)
Von Syriza enttäuscht

Der Syntagma-Platz in Athen war 2011 Symbol des Protestes gegen die Sparpolitik der griechischen Regierung. Viele der jungen Menschen, die dort demonstrierten, verhalfen später Alexis Tsipras und seiner Syriza-Partei zur Macht. Heute sind sie von der Politik enttäuscht.

Von Rodothea Seralidou | 15.08.2018
    Demonstranten auf dem Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament in Athen während eines Generalstreiks im November 2012
    Demonstranten auf dem Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament in Athen während eines Generalstreiks im November 2012 (AFP/ Aris Messinis)
    Der Syntagma-Platz in der Athener Innenstadt. Hier erinnert nichts mehr an die turbulenten Tage von 2011: Keine Zelte, keine Plakate, keine Proteste gegen die Sparpolitik. Gestresste Arbeitnehmer laufen die Treppe zur Metro runter, weniger gestresst wirkende Leute sitzen auf Holzbänken im Schatten der Bäume, zahlreiche Touristen fotografieren sich vor dem Springbrunnen oder vor dem Athener Parlament.
    Zwei Kilometer weiter, im Athener Linkenviertel Exarcheia. In einer engen Fußgängerzone haben die Cafés ihre bunten Stühle aufgestellt. Drum herum mit Graffiti besprühte Mehrfamilienhäuser. Viele von den Menschen, die heute in den Straßencafés von Exarcheia sitzen, waren 2011 bei den Protesten gegen die Sparpakete dabei. Auch Angelos und Kostas. Zwei junge Männer, beide um die dreißig.
    Graffiti in Athens linkem Viertel Exarcheia mit dem Schriftzug "Capitalism Ruins Everything Around Me"
    Graffiti in Athens linkem Viertel Exarcheia (Deutschlandradio/ Rodothea Seralidou)
    "Wir hatten alle das Gefühl: Das ist der Moment"
    "Es lag eine Begeisterung in der Luft, die wir so noch nie erlebt hatten und ich weiß nicht, ob wir das jemals wieder erleben werden. Es gab Wut und Hoffnung. Die Hoffnung war noch undefiniert, es gab auch noch kein konkretes politisches Programm, wir hatten aber alle das Gefühl: Das ist der Moment, in dem was passiert. Auch Leute, die älter waren als ich, teilweise über 40, die nie zuvor an Demos teilgenommen hatten, waren dabei. Alle hatten wir das Gefühl: Wir sind zusammen hier und aus diesem Protest entsteht etwas Großes."
    Angelos schlürft an seinem Cappuccino Freddo, der eiskalten Variante des Cappuccinos, die unter jungen Griechen sehr beliebt ist. Damals war er 22 und Student, erzählt er weiter. Jeden Tag hat er auf dem Syntagma-Platz verbracht, hat an allen Demos teilgenommen. Wie die meisten seiner Mitstreiter setzte er alle seine Hoffnungen in die linke Syriza-Partei, die 2011 an vorderster Front gegen die Sparmaßnahmen kämpfte und ein Ende der Sparprogramme versprach.
    "Syriza regiert so wie alle anderen"
    Sein Freund und Arbeitskollege Kostas nickt. Bei den Parlamentswahlen im Januar 2015 wählte auch er Syriza und verhalf der einstigen Klein-Partei zur Macht. Heute bereut er das:
    "Syriza sagte damals quasi: Gebt uns das Mandat, damit wir die Sparpakete loswerden. Doch heute regieren sie so wie alle anderen Regierungen vor ihnen. Und sie haben es auch geschafft, den Widerstand der Leute zu brechen. Sie wissen genau, wie sie den Menschen das Gefühl vermitteln, dass Widerstand nichts nützt."
    Kostas hat Philosophie studiert, Angelos Soziologie. Beide arbeiten heute für eine Nichtregierungsorganisation, die Flüchtlingen hilft. Die jungen Männer sind sich einig: Der Punkt, an dem Syriza eine Kehrtwende gemacht hat und den Griechen jegliche Hoffnung genommen hat, war das Referendum vom Juli 2015. Syriza war damals gerade mal ein halbes Jahr an der Macht, stand durch den massiven Druck der Geldgeber, neue Sparauflagen zu unterzeichnen, mit dem Rücken zur Wand und stellte die griechische Bevölkerung vor die Entscheidung: "Neues Sparpaket: Ja oder nein?"
    "Zum Zeitpunkt des Referendums stand für uns außer Frage, dass wir Nein zum Sparpaket sagen. Ich war damals Soldat in Evros an der Grenze zur Türkei, im ganzen Land war die Stimmung deutlich für ein Nein. Wir waren überzeugt: Alles ist besser als unsere jetzige Situation."
    Über Nacht warf die Regierung das "Ochi"-Votum um
    Trotz der Gefahr, dass eine Ablehnung der Reformen einem Austritt aus dem Euro gleichkommen könnte, entschieden sich 62 Prozent der Wähler für ein Ochi, ein Nein zu den Sparmaßnahmen. Auch Kostas und Angelos. Jeder Versuch von der Opposition, ehemaligen Regierungschefs und EU-Politikern, die Griechen in ihrer Entscheidung zu beeinflussen, habe die Leute nur bekräftigt, dagegen zu stimmen, sagt Angelos weiter:
    "Diese Stimmungsmache hat dazu geführt, dass die Leute mit Nein gestimmt haben. Eine Art umgekehrte Psychologie war das. Unterbewusst und unter dem Motto: Nein, wir werden nicht das machen, was ihr wollt."
    Doch dann machte die Regierung das, was die Geldgeber wollten. Über Nacht warf sie das Votum um und unterzeichnete die Sparvorgaben. Für ihn war das wie ein Schlag ins Gesicht, sagt Angelos und schaut in die Ferne. Er holt eine Zigarette aus seiner Schachtel, zündet sie an.
    "Jeder kümmert sich nur noch um sich selbst"
    Und heute verweist genau diese Regierung auf die guten Wirtschaftszahlen und feiert die Rettungspakete. Die Maßnahmen also, die sie bis dahin verteufelte, sagt Kostas und schüttelt den Kopf.
    "Dieser Erfolg, die positiven Bilanzen, das ist weder bei unserem Gehalt noch bei unseren Arbeitsrechten spürbar. Der Mindestlohn ist nicht gestiegen, obwohl Syriza das versprochen hatte. Tarifverträge haben wir auch nicht. Und jeder kümmert sich inzwischen nur noch um sich selbst, schottet sich in seinem Mikrokosmos ab. Ich arbeite ja für eine NGO, die sich für Flüchtlinge einsetzt. Und auch die nutzt alle Werkzeuge, die ihr durch die Sparpakete zur Verfügung gestellt wurden, um die eigenen Mitarbeiter auszunutzen: Wir haben nur kurze, befristete Verträge und müssen in unseren Arbeitszeiten absolut flexibel sein."
    Kostas ist verbittert. Es wäre viel besser gewesen, sagt er, wenn er schon vor fünf Jahren, nach seinem Studium, das Weite gesucht hätte.
    "Ich bereue, dass ich geblieben bin, ja. Ich habe damals an das Märchen geglaubt, dass wir etwas verändern können, dass wir ein anderes Leben haben können. Klar, könnte ich auch jetzt noch gehen, aber je älter man wird, desto schwieriger fällt einem die Entscheidung."
    Spätestens 2019 wird es in Griechenland wieder Parlamentswahlen geben. Wen sie dann wählen werden? Die zwei Freunde schauen sich an und zucken mit den Schultern. Einen neuen Hoffnungsträger sehen sie nicht am Horizont, sagen sie. Vielleicht werden sie am Wahltag auch einfach zu Hause bleiben.