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Griechenland und kein Ende

Was für die einen seit den Brüsseler Beschlüssen von letzter Woche wie ein Befreiungsschlag zur Rettung des Euro aussieht, ist für die Skeptiker nur eine Verschnaufpause bis zum nächsten Krisengipfel.

Von Norbert Seitz: | 25.07.2011
    Während der potenzielle SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im "Cicero", für die Umschuldung Griechenlands plädiert, die nun auf dem jüngsten Krisengipfel beschlossen wurde, wendet sich Sozialphilosoph Jürgen Habermas gegen eine ökonomistische Blickverengung auf Europa. In seinem Essay in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" schreibt er:

    Die Europäische Union kann sich erst zu einem demokratisch verrechtlichten supranationalen Gemeinwesen entwickeln, wenn sie die politischen Steuerungskompetenzen erhält, die nötig sind, um wenigstens innerhalb des Euro-Raums für eine Konvergenz der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen ( ... ) zu sorgen. Die Union muss gewährleisten, was das Grundgesetz der Bundesrepublik ( ... ) "die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" nennt. Diese "Einheitlichkeit" bezieht sich allerdings nur auf die zulässige Variationsbreite sozialer Lebenslagen ( ... ), nicht auf kulturelle Unterschiede.

    Im sozialdemokratischen Umfeld wird nicht nur nach konstruktiven Auswegen, sondern auch nach Sündenböcken gesucht. Die Politologin Ulrike Liebert geht zum Beispiel in der "Neuen Gesellschaft" davon aus, dass die deutsche Europa-Politik sich seit 2009 in eine "EU-Verflechtungsfalle" begeben habe, was sie an drei Charakteristika beschreibt. Zum einen an der öffentlichen Leugnung irreversibler struktureller Verflechtungen der Euro-Länder untereinander

    Infolgedessen können Kritiker ( ... ) tunlichst verschweigen, in welchem Ausmaß die deutschen ( ... ) Banken, Sparkassen und das Finanzministerium durch die überhöhten Zinssätze der Hilfskredite an die Schuldnerstaaten profitieren.

    Als zweites Merkmal macht Liebert die marktradikalen deutschen Liberalen aus, die mit währungspopulistischen Parolen gegen den Euro ankämpften ...

    ... ohne die verheerenden sozialen Verwerfungen, antagonistischen Konflikte und Massenmigrationen ( ... ) auch nur ansatzweise in den Blick zu nehmen.

    Schließlich sei die deutsche EU-Verflechtungsfalle durch das Bundesverfassungsgericht charakterisiert:

    Dieses spannte die künftige Entwicklung der Europäischen Integration in das Prokrustesbett des deutschen Staatsrechts ein und, mehr noch, legte deren demokratische Legitimation an die Fußangel nationaler Parlamente.

    Auch in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" hegt man die Befürchtung, die europäische Idee könne im Kampf der Nationalismen und rechten wie linken Populismen untergehen. Dagegen empfiehlt Michael Krätke, Professor für Politische Ökonomie an der Lancaster University:

    Ohne gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, ohne wenigstens Ansätze eines transnationalen Sozialstaats kann die Gemeinschaftswährung auf Dauer nicht bestehen ( ... ) Die Bürger Europas, die Bürger der Bundesrepublik ahnen, was gespielt wird, der Unmut über die eigenen Eliten, die die Zukunft der Union verspielen, ist allgegenwärtig. Es kommt jedoch darauf an, dieser Wut einen Sinn, ein Ziel und eine Richtung zu geben.

    Derweil wird in der Netzwerker-Zeitschrift "Berliner Republik" eine "Politik der Verleugnung" aus Angst vor den Stammtischen unter die Lupe genommen. Anke Hassel, von der Hertie School of Governance kommentiert:

    Die Strategie der Verleugnung stellt ein ernstes Dilemma dar. Sie lähmt den offenen Diskurs über Alternativen und stiftet Verwirrung über die gesellschaftliche Wirklichkeit. Wer in einer tabuisierten Debatte Tatsachen offen anspricht, wird schnell zum Überbringer schlechter Nachrichten.

    Gleichzeitig bereiten die bestehenden Tabus einen Nährboden für Populismus( ... ) Wer möchte sich nicht wenigstens über den griechischen Schlendrian ( ... ) aufregen dürfen, wenn man an der Politik schon nichts ändern kann ( ... )


    Gleichwohl will auch die Autorin nicht zurückstehen, wenn es darum geht, beim Schnüren von Rettungspaketen das meuternde Volk außen vor zu lassen, denn:

    Die Europäische Union wäre niemals so weit gediehen, hätte die Bevölkerung jeden einzelnen Integrationsschritt bewerten sollen. ( ... ) Politische Führung muss daher auch in Zukunft zum Mittel der politischen Verleugnung greifen.

    Dass der Süden des Kontinents der EU wegbrechen könnte, lässt manchen Autor noch eine Lanze für die als unzuverlässig beleumundete Region brechen. Franco Cassano weist in "Lettre International" eine Rettungsperspektive für den Süden zurück ... ,

    ... sich so schnell wie möglich ( ... ) von einer Kultur loszusagen, die ihn wie Ballast daran hindere, seine Rückständigkeit zu verringern und sich auf den Weg des Fortschritts zu machen. ( ... ) Der Süden muss sich von der Gestalt verabschieden, in der er überliefert ist, und zu einer anderen Perspektive gelangen als jener, die ihn als eine zurückgeliebene Kopie des Nordens darstellt, ( ... ) als etwas, das zwischen Touristenparadies und mafiöser Hölle oszilliert. Sicher kann der Süden eine Menge vom Norden lernen. Er sollte aber nicht danach streben, "Norden zu werden.