Donnerstag, 18. April 2024

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Griechenland
"Wir rechnen mit einem weiteren Schuldenschnitt"

Trotz des Exportüberschusses und der erfolgreichen Rückkehr an den Kapitalmarkt - die griechische Wirtschaft könne nicht schnell genug wachsen, um das Land aus der Krise zu bringen, sagt der Publizist Tasos Telloglou im DLF. Dennoch zeige der Athenbesuch der Kanzlerin, dass sie die Bemühungen anerkenne.

Tasos Telloglou im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.04.2014
    Ein griechischer Journalist hält eine Tageszeitung in der Hand, auf der Bundeskanzlerin Merkel auf einem Thron sitzt.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei vielen Menschen in Griechenland weiter keinen guten Stand. (picture alliance / dpa / Orestis Panagiotou)
    Tobias Armbrüster: Griechenland hat wieder Vertrauen bei internationalen Anlegern. So lauteten viele Schlagzeilen gestern, als es der griechischen Regierung nach jahrelanger Pause wieder mal gelungen ist, Staatsanleihen an den Märkten zu platzieren. Der Termin gestern war gut gewählt, denn heute am Vormittag ist Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Athen geflogen. Die hatte in Griechenland bislang den Ruf einer scharfen Aufpasserin.
    Mitgehört hat der griechische Fernsehjournalist und Publizist Tasos Telloglou. Schönen guten Tag, Herr Telloglou.
    Tasos Telloglou: Schönen guten Tag nach Köln.
    Armbrüster: Herr Telloglou, welchen Ruf genießt die Kanzlerin in Athen zurzeit?
    Telloglou: Die Kanzlerin genießt einen eher schlechten Ruf, weil sie als die Schuldige für den rigiden Sparkurs gilt, für die Auflagen, die Griechenland mit dem ersten und zweiten Sparprogramm aufgelegt worden sind. Ich war noch vor Kurzem in einer griechisch-deutschen Juristentagung, wo viele namhafte deutsche Juristen gesagt haben, einige der Auflagen liegen sozusagen am Rande des europäisch Zumutbaren, und so sehen es viele Griechen, und noch mehr sehen sie es als jenseits dieser Grenze des europäischen Zumutbaren.
    Armbrüster: Das heißt, an diesem schlechten Ruf der Kanzlerin in Griechenland hat sich auch nichts geändert durch die Tatsache, dass gestern dieser Verkauf von Staatsanleihen so hervorragend geklappt hat?
    Telloglou: Das ist sehr schwer, dem normalen, dem Durchschnittsbürger zu vermitteln. Die Arbeitslosigkeit, obwohl sie ein bisschen zurückgegangen ist, bleibt sehr hoch, bei 27 Prozent. Bei den jungen Leuten ist sie 60 Prozent. Und das Ausbluten des Landes dauert an, jeden Tag. Jeder von uns hat Bekannte, besonders im Alter von 25 bis 40 Jahren, die das Land verlassen, Richtung Norden, Richtung Australien, Richtung Nordamerika. Es ist so, wie ich das in Jugoslawien zum ersten Mal in meinem journalistischen Leben in den 90er-Jahren kennengelernt habe.
    Armbrüster: Herr Telloglou, wir erreichen Sie jetzt gerade mitten in Athen auf dem Handy, und zwar auf dem Handy, weil Sie unterwegs sind zu einer Pressekonferenz mit Angela Merkel, die in etwa einer Stunde beginnen wird. Was sind denn die Fragen, die die griechischen Kollegen der Kanzlerin stellen werden?
    Telloglou: Nun, die deutsche Kanzlerin – ich hatte die Möglichkeit, letzten Juni mit ihr mit noch fünf Kollegen zu sprechen – hat sich in den griechischen Problemen eingearbeitet. Sie kennt diese Probleme in einer Tiefe wie kein anderer politischer Führer in Europa. Ich glaube, von Besuch zu Besuch und von Kontakt zu Kontakt geht sie ein bisschen tiefer ein. Diesmal wird sie sich im Anschluss an das Landen auf dem Athener Flughafen mit jungen Unternehmen, mit Startuppers treffen, und sie wird versuchen, von ihren Sorgen zu hören, zum Beispiel Finanzierung. Finanzierung ist ein ganz schwieriges Problem in diesem Land, weil die Banken praktisch nicht genug Eigenkapital hatten vor der Rekapitalisierung. Jetzt haben sie genug Eigenkapital, aber sie sind sehr wählerisch bei dem, was sie finanzieren, konservativ, würde ich sagen, und sie finanzieren immer noch die alten Dinosaurier, weil sie diese Kredite nicht streichen können. Das heißt, dass die jungen Leute zu kurz an dieser Leine kommen.
    Und dann wird sie sich mit Exporteuren treffen. Dafür hat sie circa drei Stunden Zeit und sie wird hören, warum die griechischen Exporte, obwohl alles besser geht in den letzten sechs Monaten, was die Zahlen betrifft, zurückgegangen sind. Die griechischen Exporte sind um sieben Prozent zurückgegangen. Das war eine schlechte Überraschung auch für uns hier, obwohl zum Beispiel in anderen krisengeplagten Ländern wie Portugal, und Spanien und Irland die Exporte eigentlich die Lokomotive waren zur Rückkehr zum Markt.
    Armbrüster: Gibt es denn Bereiche, Herr Telloglou, in denen es wirtschaftlich gerade besonders gut läuft in Griechenland?
    Telloglou: Es läuft besonders gut, was die öffentlichen Finanzen betrifft. Das heißt, Griechenland hat letztes Jahr und das erste Quartal von 2014 einen deutlichen Überschuss. Das passiert zum ersten Mal seit sehr vielen Jahren und dieser Überschuss ist gepaart mit einem sogenannten Bilanzüberschuss, was den Handel betrifft. Nur man darf sich nicht täuschen. Dieser zum Beispiel Handelsbilanzüberschuss hat zu tun mit der Situation, dass die Leute gar nicht hier konsumieren. Das heißt, es wird so wenig importiert, dass der Rückgang der Exporte sich gar nicht bemerkbar macht.
    Armbrüster: Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, die allgemeine Stimmung in Griechenland ist, dass eine der Hauptschuldigen für diesen Umstand die deutsche Bundeskanzlerin ist?
    Telloglou: Die deutsche Auflagenpolitik, die deutsche Sparpolitik, die circa ein Viertel des griechischen Produktionsvolumens zerstört hat. Das heißt, das Bruttoinlandsprodukt ist um circa 25 Prozent zurückgegangen. Es lag im letzten Jahr bei 182 Milliarden Euro und unsere Schulden nach dem Schuldenschnitt liegen bei 330 Milliarden Euro. Das heißt, die Frage eines neuen Schuldenschnitts nach diesen zahlen ist noch immanent. Die Wirtschaft kann nicht so schnell wachsen, dass wir unsere Schulden abtragen. Wir müssten dann, wenn es ohne Schuldenschnitt gehen sollte, 25 Milliarden Überschuss im Jahr erwirtschaften. Für dieses Jahr ist das unmöglich.
    Armbrüster: Das heißt, Sie rechnen mit einem weiteren Schuldenschnitt?
    Telloglou: Wir rechnen mit einem weiteren Schuldenschnitt. Herr Samaras, der griechische Ministerpräsident, und die griechische öffentliche Meinung versteht, dass Frau Merkel das vor den Europawahlen in Deutschland in keiner Weise anfassen kann. Es wird womöglich auch nicht Schuldenschnitt genannt, aber eine Streckung der Kredite und eine Bezuschussung der Zinsen. Die Zinsen sind schon sehr, sehr niedrig. Die Zinsen im ersten Paket waren circa fünf Prozent, jetzt liegen sie bei zwei Prozent, und ich muss erinnern, dass gestern Griechenland eine ungeheuer erfolgreiche Emission hatte mit 4,95 Prozent Zins. Das heißt, der gestrige Zins, der sehr gut für Griechenland war, lag immer noch beim mehr als Zweifachen zu dem, was Griechenland jetzt von den Staaten der Europäischen Union kriegt.
    Armbrüster: Herr Telloglou, ich würde zum Schluss ganz gerne weg von den Zahlen kommen und auf die eher menschliche Ebene. Wie eng sind denn eigentlich die Beziehungen zwischen Andonis Samaras, dem griechischen Regierungschef, und der deutschen Kanzlerin?
    Telloglou: Diese Beziehung hat nicht ungetrübt angefangen. Sie war eine getrübte Beziehung. Samaras war am Anfang gegen den Anpassungskurs, den der damalige Sozialistenchef Papandreou mit der Unterstützung von Frau Merkel erfüllt hat, bis kurz vor den Wahlen von 2012. Dann ist Samaras und seine konservative ND bei der Technokratenregierung Papadimos eingestiegen und hat angefangen, sich auch anzupassen. Und dann, vor der Gefahr, dass Griechenland den Euro verlassen musste, hat Samaras völlig auf Anpassungskurs gewechselt. Ich glaube, die Beziehung ist viel besser geworden seit dem letzten Treffen der beiden in Athen. Das war im Herbst 2012. Merkel versteht, dass Samaras ein Mann ist, der gar nicht schläft, der an sehr vielen Baustellen tätig ist, und ich glaube, sie hat sich sehr in den griechischen Problemen eingearbeitet, um zu sehen, dass die Bilanz nach diesen zwei Jahren eher positiv aussieht.
    Armbrüster: Ist es dann korrekt, zu sagen, dass dieser Besuch der Kanzlerin heute in Athen vor allem ein Wahlkampfgeschenk ist?
    Telloglou: Es ist auch ein Wahlkampfgeschenk. Aber es ist auch eine Anerkennung für eine Leistung, die vollbracht worden ist, und es ist ein Ersatz zu dem, was Samaras wollte. Er wollte ein deutliches Zeichen vor den Europawahlen; dass irgendein Zeichen über den griechischen Schuldenstand vor dem 25. Mai deutlich wird. Die Kanzlerin kann das nicht aussprechen. Sie hat ihm aber vor vielen, vielen Monaten in Berlin versprochen, dass dieses Zeichen kommt, und ich glaube, der heutige Besuch ist genau dieses Zeichen.
    Armbrüster: ..., sagt hier bei uns live im Deutschlandfunk der griechische Fernsehjournalist und Publizist Tasos Telloglou. Besten Dank für das Gespräch nach Athen.
    Telloglou: Schöne Grüße nach Köln.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.