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Griechischer Unternehmer fordert Aufbauplan für sein Land

Nach Abschluss des Krisenmanagements hält Brauereibesitzer Athanasios Syrianos ein Investitionsprogramm für Griechenland für dringend notwendig, ähnlich dem Aufbau Ost oder dem Marshallplan. Veränderte Wettbewerbsbedingungen würden dann zu mehr Leistungsbereitschaft führen.

Athanasios Syrianos im Gespräch mit Anne Raith | 11.02.2012
    Anne Raith: Für Griechenland geht es im Moment um alles. Gerade schien sich die Regierungskoalition zumindest auf Teile eines Sparpakets geeinigt zu haben, da stellen sich die Gewerkschaften quer, kündigen einen 48-stündigen Generalstreik an. Doch nicht nur die Gewerkschaften stellen sich quer, auch Teile der eigenen Regierungskoalition. Die bröckelt seit gestern nach dem Rücktritt von mehreren Ministern und Vizeministern - das ist der vorläufige Höhepunkt der Krise. Für einen Moment wollen wir nun die ganz aktuellen Auseinandersetzungen und Querelen in Athen hinter uns lassen und nach Atalanti blicken, das ist eine Kleinstadt in Zentralgriechenland. Dort betreibt der Unternehmer Athanasios Syrianos eine Brauerei, und mit ihm wollen wir nun über das sprechen, was hinter Hilfspaketen, hinter Sparplänen und Milliardensummen steckt, nämlich seine aktuelle Lage als Unternehmer in Griechenland, und warum er trotz allem optimistisch in die Zukunft für sein Land blickt. Zuallererst habe ich ihn gefragt, wie es derzeit um seine Brauerei steht.

    Athanasios Syrianos: Im Verhältnis zu dem, was wir um uns herum hören und was passiert, geht es uns eigentlich relativ gut, weil wir keine kurzfristigen Finanzierungsprobleme haben. Allerdings haben wir erhebliche Probleme, unsere Inkassonahme in Betrieb zu halten, weil viele Kunden von uns ausfallen. Das heißt, die Liquidität ist sehr, sehr eingeschränkt, mit dem Ergebnis, dass wir natürlich einmal Geld verlieren für Lieferungen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, und zum anderen wir diese Kunden auch gar nicht mehr beliefern können.

    Raith: Und Sie haben etwa 100 Mitarbeiter. Wie ist die Stimmung da in der Belegschaft?

    Syrianos: Die erwarten eigentlich, dass es schwerer wird, das ist klar, sind aber durchaus bereit, jetzt mit dem Unternehmen einiges mitzumachen und im Grunde genommen Verbesserungen herbeizuführen. Ich sehe eher eine positive Stimmung, obwohl das Umfeld natürlich das nicht besonders begünstigt.

    Raith: Werden Lohnkürzungen auch ein Thema sein?

    Syrianos: Das haben wir noch nicht ganz besprochen, weil wir das nicht definiert haben, was um uns herum passiert. Wenn die das 13. und 14. Gehalt gekürzt hätten, dann hätten wir unbedingt mitgemacht. Bei einer Lohnkürzung jetzt im Allgemeinen wird das davon abhängen, was wir für Budgetprognosen machen, ob wir jetzt das Budget anpassen. Wir können es noch nicht sagen, es ist im Moment nicht vorgesehen. Aber ich kann es auch nicht ausschließen.

    Raith: Sie haben es eben schon gesagt, Ihnen geht es verhältnismäßig gut. Wenn Sie mit Geschäftspartnern sprechen, wenn Sie sich in und um Atalanti umschauen, geht es den meisten da schlechter als Ihnen?

    Syrianos: Den meisten geht es schlechter. Wir merken auch an wirklich großen internationalen Kunden, die hier Supermarktketten betreiben, dass die zahlungsunfähig sind. Wir haben Forderungen eigentlich schon seit zwölf Monaten, die nicht bedient worden sind, und wir haben auch die Lieferungen eingestellt.

    Raith: Das neue Sparpaket sieht ja jetzt vor, dass die Löhne eingefroren werden sollen, bis die Arbeitslosigkeit sinkt. Aber wenn ich Sie reden höre, woher sollen die Jobs kommen, wer will gerade jetzt in Griechenland investieren?

    Syrianos: Also das ist sehr bedrohlich, was im Moment da stattfindet, ich habe nämlich die neuesten Zahlen gestern im Fernsehen irgendwo gesehen und gehört. Im November sind allein 150.000 Arbeitslose dazugekommen, das heißt, die Arbeitslosigkeit ist mittlerweile bei nahezu 22 Prozent. Also die Krise im Moment findet einen Kulminationspunkt, und ich glaube, dass wir erhebliche Schwierigkeiten haben werden, auch bei den privaten Krediten. Das ist völlig übersehen worden, dass die Leute, die eine Baufinanzierung oder einen Konsumkredit genommen haben, durch die angepeilten Lohnkürzungen diese Schulden nicht mehr werden tragen können. Das heißt, nicht nur jetzt der Staat ist zu retten, sondern auch die Lohn- und Gehaltsabhängigen, die - sagen wir mal - von 1200 auf 850 Euro kommen müssen. Die werden ihr gekauftes Auto, das Haus, oder was auch immer sie finanziert haben, werden sie nicht mehr zahlen können. Das heißt, was wir hier auch vielleicht brauchen, ist ein Krisenmanagement für soziale Zwecke.

    Raith: Das heißt, in Ihren Augen verschärfen die Sparpläne die Situation?

    Syrianos: Ja, vorerst verschärfen die die Situation. Das war ja auch richtig, das Krisenmanagement wird irgendwann mal abgeschlossen. Aber es muss mit Sicherheit ein Aufbauprogramm kommen, denn ohne ein Aufbauprogramm fehlt ja jeder Hoffnungsschimmer, das heißt, die Menschen ...

    Raith: Eine Art Marshallplan ...

    Syrianos: Marshallplan, genau. Ein Aufbau mit einer besseren Verwaltung - wir merken - das ist wirklich kein Witz -, dass die Verwaltungsmitarbeiter, mit denen wir ständig in Kontakt kommen, freundlicher und wirklich hilfsbereiter werden und mittlerweile aufgerüttelt sind und das Gefühl haben, sie müssten was machen.

    Raith: Und doch entlädt sich ja im Moment die ganze Wut auf den Straßen: Wir haben jetzt wieder einen 48-stündigen Generalstreik. Wohin soll das führen, wenn auf der einen Seite der Druck auf der Straße ja konstant bleibt, auf der anderen Seite ja aber auch der Druck aus Brüssel von der EU aufrechterhalten wird?

    Syrianos: Ich sehe den Druck auf der Straße eigentlich als letztes Zucken des alten Systems. Man muss auf jeden Fall den totalen Kollaps verhindern - das sehe ich im Moment als ein Theater für die anstehenden Wahlen. Das heißt, die Parteien instrumentalisieren das auch, damit die das nächste Mal in irgendwelchen Wahlergebnissen besser da stehen. Man darf auch nicht das politische Risiko vergessen: Der gewaltige Vertrauensverlust der Bevölkerung für die zwei Parteien, die in der Vergangenheit hier regiert haben, kann dazu führen, dass wir hier einen gewaltigen Rechts- und Linksruck erfahren, und ich glaube, das hat auch etwas dann mit der Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Partnern in Europa zu tun.

    Raith: Diese Partner in Europa werfen Griechenland ja immer wieder vor, zu wenig Fortschritte zu machen, zu wenig Fortschritte gemacht zu haben in den vergangenen Monaten. Zu Recht in Ihren Augen?

    Syrianos: Teilweise mit Sicherheit zu Recht. Man muss festhalten, die Griechenlandrettung steht bevor, also ich glaube, wie gesagt, das Krisenmanagement ist bald abgeschlossen. Nur der Stellenabbau im öffentlichen Dienst ist sehr schleppend vorangekommen. Die Erhöhung der Steuern ist, glaube ich, abgeschlossen, da ist nicht mehr viel zu erwarten. Was sich noch verändern muss, ist, dass die Öffnung der Märkte. Das, was wir immer wieder hören, dass Märkte einfach abgeschottet sind, und ich kann das an dem Beispiel unserer Brauerei sagen: Uns ist untersagt, dass wir was anderes als Bier herstellen, beispielsweise lukrative Zusatzgeschäfte wie Limonaden oder Wasserabfüllung dürfen wir gar nicht machen. Also es gibt eine Reihe von Veränderungen, die stattfinden können, die beispielsweise Betriebe entfesseln werden, und wo die Möglichkeit gegeben wird, dass man andere Geschäfte noch abschließen kann. Natürlich fehlt im Moment vollständig eine Finanzierung.

    Raith: Wir haben einen Generalstreik, wir haben einen erbitterten Regierungsstreit um die Sparpläne, die Euro-Finanzminister haben gerade ihre Entscheidung vertagt über die Hilfsgelder. Was macht Sie so optimistisch, dass für Griechenland der Weg aus der Krise möglich ist?

    Syrianos: Erst mal geht es um wirklich viel Geld. Ich kann mir diese Summe von 130 Milliarden, um die es im Moment geht, kann ich mir gar nicht als Geld vorstellen. Das ist eine Unmenge von Geld. Allerdings ist dieses Geld für die Refinanzierung der bereits in der Vergangenheit gemachten Schulden, das darf man nie, nie vergessen. Das Geld kommt also nicht frisch und wird irgendwo investiert, sondern es wird quasi nach dem Schuldenschnitt, dessen Höhe auch nicht genau definiert ist, verwendet, um alte Schulden quasi zu refinanzieren. Was also fehlt, ist ein Investitionsprogramm, so wie beispielsweise der Aufbau Ost, oder wie jetzt nach dem Zweiten Weltkrieg der Marshallplan. Es fehlt also an einem Programm - was natürlich mittelfristig erst wirken kann -, das Wachstum generieren wird. Und in diesem Programm werden die veränderten Rahmenbedingungen, die Wettbewerbsbedingungen, sehr hilfreich sein. Ich kann Ihnen anhand unseres Beispiels der Brauerei zeigen, dass eine Steuergerechtigkeit dazu führen wird, weil wir Wettbewerber haben, die die Steuern nicht vollständig entrichten, dass wir dann mit einem Mal Bedingungen vorfinden werden, wo Leistungsfähigkeit sich lohnt - also nicht unbedingt alles negative Entwicklungen, wenn wir das aus der ganz kleinen Sicht unseres Betriebes in Griechenland sehen, dass wir demnächst Wasser und Limonade herstellen können. Dass wir Modernisierungen in unserem Betrieb durchführen können, und dass wir vielleicht mit der Malzherstellung lokale Investitionsprogramme haben, die wir durchaus als lukrativ empfinden, macht unseren Optimismus aus unserer Sicht jetzt schon glaubwürdig, ist also nichts aus der Luft Gegriffenes.

    Raith: Stichwort Aufbau Ost, Stichwort Marshallplan - Herr Syrianos, es sind bereits Milliarden nach Griechenland geflossen. Die Zustimmung für diese Hilfsgelder, die wird in allen europäischen Ländern immer wackeliger, auch weil zu wenig passiert. Warum hat Griechenland einen Marshallplan verdient?

    Syrianos: Die Regeln der Moral sind nicht nur Schlussfolgerungen unserer Vernunft. Das heißt, das, was vernünftig ist, was aus dem Westen und aus den Finanzministern der Europäer als vernünftig ist, ist nicht unbedingt moralisch. Wenn Menschen hier hungern - und es gibt wirklich Menschen, die mittlerweile hier Schwierigkeiten haben - ich glaube, 15.000 Kinder konnten die Eltern nicht mehr ernähren und haben die in irgendwelche Heime gebracht -, dann haben wir hier eine Situation, dass wir von der Krise jetzt wirklich in einer Katastrophe langsam landen. Ich bin der Meinung, die Maßnahmen sind wichtig und notwendig, aber es muss sozial abgefedert werden. Das ist in Deutschland durchaus üblich, hier sind die Systeme nicht vorhanden und der Staat so ineffizient, dass das eine große Gefahr darstellt - nicht nur politisch, auch humanitär.

    Raith: Athanasios Syrianos im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Der Grieche ist Inhaber einer Brauerei und Mitglied der Deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.