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Griff nach der Weltmacht

Sie gilt als Talentschmiede der angloamerikanischen Literatur: Die Zeitschrift Granta machte oft lange vor Verlegern und Agenten kommende Stars am Literaturhimmel aus. Inzwischen fasst das elitäre Blatt aus London seinen Fokus globaler - und plant auch eine deutsche Ausgabe.

Von Martin Zähringer | 02.02.2012
    Rezensionen oder Interviews gibt es nicht. Diese Bühne gehört der Literatur selbst. Die Ankündigung auf der Homepage des Literaturmagazins Granta ist nicht gerade bescheiden:

    "Seit 1979 veröffentlicht Granta viermal jährlich die beste neue Literatur. Jedes Themenheft enthält Belletristik, Erinnerungsliteratur, Poesie und Photographie der vielversprechendsten neuen Talente und der besten Autoren auf diesem Planeten."
    Die höchsten Ansprüche kamen 1979 mit den Amerikanern, als Rea Hederman, der Verleger der New York Review of Books, die Zeitschrift übernahm. Er und sein charismatischer Herausgeber Bill Buford wollten ein Magazin, das Trends erkennt und setzt und das vor allem neue Talente bringt – die besten Autoren der englischsprechenden Welt, wie es damals noch etwas bescheidener hieß. William Gass, Joyce Carol Oates und Susan Sontag erschienen im ersten Heft. Provokation war bald darauf angesagt, als der nicht einmal 30-jährige Buford im dritten Heft das Ende des englischen Gesellschaftsromans ausrief. Es ging natürlich trotzdem weiter mit dem englischen Gesellschaftsroman.

    Buford selbst etablierte Autoren wie Martin Amis und Julian Barnes, Martha Gellhorn und Doris Lessing. Eine Spezialität von Granta wurden Themenhefte wie zu "Dirty Realism", zu Reiseliteratur oder zum Genre der Erinnerungsliteratur. Und als die Literatur sich zu globalisieren begann, erschienen – in Granta zuerst – Nadime Gordimer, Salman Rushdie, Gabriel Garcia Marquez oder Bruce Chatwin. Der kleine Clinch zwischen englischer und amerikanischer Literatur scheint inzwischen niemand mehr groß aufzuregen. Den jetzigen Herausgeber John Freeman hat weit heftiger die Globalisierung erfasst. Freeman ist seit 2008 bei Granta und war zuvor ein vielbeschäftiger amerikanischer Literaturkritiker:

    "Literatur war immer global. Garcia Marquez wäre nicht Marquez ohne Faulkner. Faulkner wäre nicht Faulkner ohne die anderen frühen Modernisten. Die Russen wären nicht die Russen ohne Balzac. In den literarischen Traditionen hat es immer schon viele Mischehen gegeben."

    Inzwischen reist Freeman selbst durch die Welt. Er pendelt ständig zwischen dem Granta-Sitz in London und dem kleinen Büro über dem New Yorker Union Square. Zudem ist er für das Magazin in Sachen Akquise neuer Autoren unterwegs. Auch privat hat er für erweiterte Horizonte gesorgt. Er lebt mit der aus Syrien stammenden Literaturagentin Nicole Aragi zusammen. Weltläufigkeit ist bei Freeman gepaart mit einem dezenten Auftritt. Er ist nicht der ruppige Amerikaner wie einst Bill Buford, der berüchtigt für seine Texteingriffe war. In dieser Hinsicht pflegt Freeman eine sympatische Arbeitsphilosophie:

    "Es ist entscheidend, den besonderen Ton eines Schriftstellers zu bewahren, denn das gehört zum Wenigen, was er wirklich besitzt. Das ist wie ein Name, das ist was ihn zu etwas Besonderem macht. Und deshalb versuche ich mich zurückzuhalten mit redaktionellen Eingriffen in die Texte. Vor meiner Zeit hat Granta einen ganz bestimmten Stil gepflegt, eine Art von nüchternem, sauberem Stil, sehr schnörkellos und trist. Ich habe diesen Stil gemocht, aber nicht jeder schreibt in diesem Stil. Wenn du versuchst, einen Autor wie Junot Diaz zu einer britischen Stimme zu machen, werden seine Sätze gegen dich rebellieren."

    Mit dem Stichwort Junot Diaz bekommt der gewünschte "besondere Ton eines Schriftstellers" eine zeitgemäße Bedeutung. Denn dieser originale Ton ist heutzutage ein deutlich multikulturell gefärbter Klang. Den guten Ton der heutigen englischsprachigen Literatur machen inzwischen Autoren wie Junot Diaz, der aus der Karibik stammt. Oder Autoren wie Uzodinma Iweala, Nicole Krauss, Daniel Alarcon, ZZ Packer, Gary Shteyngart und Yiyun Li. Es sind sogenannte Immigrantenautoren, die bei Granta im Jahr 2006 schlicht zu den 20 besten amerikanischen Autoren der Gegenwart zählten.

    Die Granta-Bestenliste ist nicht von der Hand zu weisen. Den sicheren Geschmack hat das Magazin schon 1983 mit dem Heft Nr.7 "Best of Young British Novelists" bewiesen: Martin Amis, Julian Barnes, William Boyd, Salman Rushdie und Shiva Naipaul sind Namen aus jener Zeit. Als 1996 erstmals die besten 20 amerikanischen Jungautoren ausgewählt wurden, waren darunter Edwidge Danticat, Jeffrey Eugenides, Jonathan Frantzen oder Stewart O’Nan. Das sind Namen, die heute fast jeder Leser kennt. Agenten und Verleger kannten sie immer schon etwas früher:

    "Ausländische Verleger erzählen mir, sie lesen Granta aus diesem Grund. Und zwar weil wir schon eine gute Trefferquote haben was die Einführung guter Autoren betrifft: Arundhati Roy ist zuerst in Granta erschienen, Alan Hollinghurst erschien in Granta, Salman Rushdies "Midnight Children" gab es als Vorabdruck, Zadie Smith’s "White Teeths" erschien zuerst in Granta, Die Korrekturen von Jonathan Frantzen erschien zuerst in Granta."

    John Freeman kennt inzwischen viele ausländische Verleger und Literaturagenten. Denn Granta nimmt nicht nur "die besten Autoren des ganzen Planeten" auf – tatsächlich auch immer mehr Übersetzte. Wie zum Beispiel in Heft Nr.113 die 22 besten spanischsprachigen Autoren. Das Magazin expandiert auch global und sucht Partner für eine publizistische Zusammenarbeit. Das erinnert ein wenig an das internationalistische Konzept der Zeitschrift Lettre International. Auf die Frage nach der verlegerischen Strategie bei Granta antwortet Freeman:

    "Unsere Strategie ist ganz einfach: globale Dominanz. Nein, aber wir haben bereits vier fremdsprachige Ausgaben von Granta. Eine in Spanien, eine in Italien, eine in Brasilien und eine beginnt gerade in Bulgarien. Außerdem versuchen wir Ausgaben in Norwegen, Frankreich und China zu starten. Ich bin gerade auf dem Weg nach China, um das in die Wege zu leiten."

    Eine deutsche Ausgabe ist auch geplant. Dort wären dann übersetzte Texte aus dem Granta-Archiv in der Auswahl der deutschen Redaktion zugleich mit den besten deutschsprachigen Autorinnen und Autoren der Gegenwart zu lesen. Eine gute Idee, für die sich leider noch kein Verlagshaus als Herberge gefunden hat. Vielleicht erscheinen Grantas Absichten noch etwas zu unklar. Freeman nochmals zu den publizistischen Zielen:

    "Im Grunde wollen wir eine Sammelstelle für die beste Literatur rund um die Welt werden. Die ausländischen Partner sind für uns schon äußerst vorteilhaft, weil sie uns über Autoren Bescheid geben können, bevor diese in Buchform erscheinen. Wir können uns dann deren Arbeit ansehen und kommen in einen offenen Dialog."

    Der offene Dialog ist auch interessant für den Granta Buchverlag, oder für Portobello Books, den zweiten Verlag der jetzigen Granta-Eignerin Sigrid Rausing. Die gebürtige Schwedin aus dem Clan des Tetrapak-Konzerns hat die Zeitschrift Granta vor vier Jahren übernommen. Mit Rausing begann auch Freemans Einsatz, der offen zugibt, dass es ohne den finanziellen Rückhalt dieser Geldgeberin gar nicht ginge. Mit den 50.000 weltweit verteilten Exemplaren ist noch kein Gewinn zu machen, aber Steigerungsraten sind im Geschäftsmodell vorgesehen. Granta habe keine Lizenz zum Geldverbrennen, auch wenn gute Honorare bezahlt werden:

    "Es ist mit dem New Yorker vergleichbar, und die haben eine Auflage von einer Million. Deren Honorar ist eine Art Richtwert für das, was Qualität kostet. Wir wollen konkurrenzfähig sein und ihnen auch manchmal ein Stück vor der Nase wegschnappen. Also zahlen wir auch vergleichbar."

    Der kapitalistische Spieltrieb gehört mit zum globalen Einsatz. Aber Granta macht sich auch beliebt, wenn bei einem guten Glas Wein die jeweiligen Quartalshefte in ausgewählten Buchhandlungen vorgestellt werden. Das Herbst-Heft 2011 zum Thema "Horror" wurde pünktlich zu Halloween eingeführt. In der unabhängigen Buchhandlung Greenpoints in Brooklyn las die Granta-Entdeckung Rajesh Parameswaran eine fantastische Geschichte über einen Tiger, der Liebe und Fressen verwechselt. Der junge Indo-Amerikaner, dessen Erzähldebüt bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen wird, zeigt selbst globale Flexibilität, er lernt gerade Deutsch:
    "Deutsch erscheint mir als eine sehr befriedigende Sprache, ich habe ein gutes Gefühl zu dieser Sprache. Und ich liebe Kafka und träume davon einmal Kafka in deutscher Sprache zu lesen. Ich habe auch wundervolle Dinge über Berlin gehört und möchte dort mal eine Zeit lang leben."

    Als Autor hat Parameswaran vorläufig einen Aufenthaltsort, der nichts zu wünschen übrig lässt. In der aktuellen Granta Nr.117 - neben Paul Auster, Don DeLillo, Roberto Bolaño und Stephen King.