Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Grigol Robakidse: "Die gemordete Seele"
Abrechnung mit dem Stalinismus

Der georgische Autor Robakidse legte 1933 im deutschen Exil mit diesem Roman sein erstes Werk in deutscher Sprache vor. Die Liebe zur verlorenen Heimat und der Hass auf den Stalinismus führten ihm die Feder – zwei machtvolle Leidenschaften, die nicht ohne Konsequenzen für sein Erzählen blieben.

Von Brigitte van Kann | 31.01.2019
    Buchcover Grigol Robakidse „Die gemordete Seele“ und im Hintrgrund eine Zeichnung mit Stalin
    Mit der Flucht nach Berlin rettete sich der Autor vor Stalins Schergen (Buchcover Arco Verlag / Hintergrund: picture alliance / dpa / Matthias Tödt)
    Grigol Robakidse, geboren 1880, war ein umfassend gebildeter Mann. Er hatte in Leipzig Philosophie studiert, sprach fließend Deutsch und Russisch und schrieb über russische Dichter. Als die Rote Armee 1921 Georgien eroberte und das Land schließlich in die Sowjetunion eingegliedert wurde, sah Robakidse seine geliebte Heimat, ihre Jahrtausende alte Kultur der Barbarei ausgeliefert. Zehn Jahre lang beobachtete und durchlitt der Autor die Sowjetisierung seines Landes, die "Entgötterung", wie er es nannte, bis er schließlich 1931 nach Deutschland ins Exil ging. Ein Schritt, der womöglich lebensrettend war. Grigol Robakidse ließ sich in Berlin nieder und veröffentlichte 1933 seinen ersten Roman in deutscher Sprache: "Die gemordete Seele". Zwei Anliegen hatten dem Exilautor die Feder geführt: seinen deutschsprachigen Lesern die Schrecken des Stalinismus und zudem die überwältigende Natur, die Sitten und Gebräuche, Mythen und Märchen seiner geliebten verlorenen Heimat vor Augen zu führen.
    Zwei Themen, die sich nicht leicht zu einem Ganzen fügen, zumal der Autor bei seinen deutschsprachigen Lesern von nicht mehr als vagen Kenntnissen ausgehen konnte. Und bei vielen sogar von einer anerkennenden Haltung der Sowjetmacht gegenüber. Das Didaktische verleiht Robakidses Roman allerdings etwas Hölzernes: Jede Regung, jedes Faktum wird ausführlichst erklärt und kommentiert. Das sabotiert jede erzählerische Eleganz, bisweilen wirkt es lähmend.
    Stalinistischer Terror
    Um wieviel mitreißender sind nur wenig später berühmte Romane über das stalinistische System geschrieben worden: 1937 erschien "Moskau – Die Grenze" des Tschechen Jiři Weil, 1940 Arthur Koestlers "Darkness at noon", im Deutschen unter dem Titel "Sonnenfinsternis" bekannt. Grigol Robakidse aber war einer der ersten, wenn nicht gar der erste Schriftsteller, der die allgegenwärtige Bedrohung durch den sowjetischen Geheimdienst, die Zerrüttung des öffentlichen und privaten Lebens durch Angst und Misstrauen, die Zermürbung von Häftlingen durch Folter und Spitzeltum zum Thema eines literarischen Werks gemacht hat – vier Jahre, bevor der stalinistische Terror in der wohlkalkulierten Hysterie der Säuberungen seinen Höhepunkt erreichte.
    Im Fadenkreuz der Ermittler
    Tamas, die Hauptfigur des Romans, ist eigentlich Dichter, arbeitet aber in der "Manuskript-Abteilung" der Staatlichen Filmproduktion Goskino, er begutachtet und betreut also Drehbücher. Tamas ist weder ein Revolutionär noch ein Kommunist, sondern eher ein Mitläufer. Ihn schmerzen jedoch die Gleichschaltung und die Preisgabe traditioneller georgischer Werte. Als auf einem Gastmahl – Gastmähler sind den Georgiern heilig – plötzlich hohe Funktionäre erscheinen und den Genuss von Wein und Gesang, die Freude am Gespräch stören, reitet ihn der Teufel: Tamas erzählt, wie während der Revolution wutentbrannte russische Bauern ein Herrenhaus demolieren und schließlich einem edlen Pferd des Herrn die Haut bei lebendigem Leibe abziehen. Eine Parabel, die an höherer Stelle richtig verstanden wird. Tamas gerät ins Fadenkreuz der Ermittler und wird verhaftet. Dem Druck der Verhöre widersteht er nicht: Er verrät einen Freund. Tamas kommt wieder frei, muss aber erfahren, dass der verratene Freund erschossen worden ist. Nun ist Tamas nicht mehr der Mann, der er vor dem Gefängnis gewesen ist, das System hat seine Seele ermordet. Auch seine Gefährtin Nata hat einen Verrat begangen und sich mit einem führenden Funktionär eingelassen, um Tamas zu retten.
    "Seine Bücher schrieb er auf Deutsch", erinnert sich Nicolaus Sombart in einem Anhang zum Roman. Robakidse verkehrte in Sombarts Elternhaus. Weiter lesen wir bei ihn: "Nie wieder habe ich einen Menschen gekannt, der die deutsche Sprache so vollkommen beherrschte wie er. Das war nicht eine Frage der grammatikalischen Korrektheit oder des Vokabulars. In jedem Satz, den er sagte oder schrieb, war er genuin sprachschöpferisch am Werk."
    Englischer Windhund und träumende Gazelle
    Robakidses Deutsch ist zweifellos elaboriert und besser als das manches Muttersprachlers, aber leider auch altfränkisch, bisweilen schwurbelig, sein Stil schrammt nicht nur am Kitsch vorbei: Giwi, ein junger Mithäftling seines Helden Tamas, inspiriert den Autor zu folgender Beschreibung: "Er glich in seinem Bau einem englischen Windhund und hatte die mandelförmigen Augen der träumenden Gazelle. [...] Tausende von Jahren musste das Blut arbeiten, um ein solch rassiges Wesen zu erzeugen." Man fragt sich, was für Augen die Gazelle wohl hat, wenn sie nicht träumt.
    Auch wenn Alexander Kartosia, Herausgeber und Autor des Nachworts, Robakidse gegen den Verdacht in Schutz nimmt, Anhänger einer diskriminierenden Rassentheorie wie der des Nationalsozialismus zu sein – die Wortwahl bleibt befremdlich. Bei wem ist Robakidse in die Lehre gegangen? An wessen Stil orientierte er sich? Einem stilsicheren zeitgenössischen Autor, Joseph Roth etwa, wäre dergleichen nicht unterlaufen. Es keimt und west und wurzelt in diesem Buch, dass es peinlich ist. Das Wörtlein "ur" feiert fröhliche Urständ! Blut, Erde und Sonne, Schlange und Adler werden geradezu penetrant bemüht, um in mythologischen Tiefen zu gründeln.
    Überdies muss leider auch gesagt werden, dass "Die gemordete Seele" ein misogyner Roman ist. Nata, die erwähnte Freundin des Helden, wird selten bei ihrem Namen genannt. Sie ist "die Frau", "das Weib" an sich und als solches lasziv-lüstern, ein "Tierweibchen" mit "wild geweiteten Nüstern", "die geballte Macht der Erde und des Erdatems", ihr Schoß lauert auf den männlichen, den göttlichen Samen. Aber das Göttliche verbraucht sich in jedem Samenerguss, weshalb dieser vermieden werden muss. Robakidse, praktizierender Anhänger dieser kruden Theorie, serviert sie uns in ein paar verschwitzten Sexszenen, die man aus Gründen des guten Geschmacks und der nachmittäglichen Sendezeit besser nicht zitiert. Bleibt die bange Frage, wie der Autor sich den Fortbestand seines geliebten georgischen Volkes vorgestellt hat, die Produktion seiner prachtvollen männlichen Helden?
    Was sich zur Ehrenrettung dieses Romans sagen lässt, ist gerade das, was ihn als Erzählwerk so sperrig macht: Immer wieder flicht Robakidse glasklare Beobachtungen und Analysen des frühen Stalinismus ein. Bisweilen dehnt er diese essayistischen Ausflüge auf ganze Kapitel aus. In einem legt er zum Beispiel eine Biografie Stalins, ein Psychogramm des Tyrannen vor. Für Robakidse ist Stalin Georgier nur insoweit, als dieser, wie er schreibt, "der Gegenpol Georgiens war". Eines der eindrucksvollsten Kapitel zitiert Anstreichungen und Randnotizen von der Hand des Helden Tamas in Dostojewskijs Roman "Die Dämonen". Robakidse könnte der erste Intellektuelle gewesen sein, der die gespenstischen Parallelen von Dostojewskijs im Untergrund agierender Terrorzelle zur Machtpraxis der Bolschewiki aufdeckte und Dostojewskij in den Rang eines Propheten erhob.
    In blindem Hass Realität nicht gesehen
    Bei Robakidses Einsicht in das Wesen totalitärer Herrschaft erscheint es umso unverständlicher, dass er 1939 eine Eloge auf Adolf Hitler in Buchform veröffentlichte. In welchem Land lebte dieser Mann? Hatte er die Gleichschaltung, die Verfolgung Andersdenkender, die Entrechtung der Juden, die Angst vor der Gestapo nicht mitbekommen? In seinem Hass auf die Sowjetmacht erhoffte der Georgier sich deren Beseitigung durch den deutschen Diktator. Der Hitler-Stalin-Pakt muss ihn schwer getroffen haben. Robakidses Schicksal zeigt, was das Exil auch mit einem klugen Menschen machen kann: in blindem Hass die Realität nicht mehr sehen, vor Liebe zum Verlorenen schwach werden.
    Grigol Robakidse, Die gemordete Seele.
    Herausgegeben von Alexander Kartosia.
    Mit Erinnerungen von Nicolaus Sombart an Grigol Robakidse.
    Arco Verlag, Wien/Wuppertal 2018.
    280 Seiten. 24 EURO