Donnerstag, 18. April 2024

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Grimm-Welt Kassel
"Eine Brücke zurück in den Text der Märchen"

"Die Brüder Grimm sind weltweit bekannt für ihre Märchensammlung. Auf allen Kontinenten werden sie gelesen. Aber das war bei Weitem nicht alles, was Jacob und Wilhelm Grimm geleistet haben", sagte Susanne Völker, Leiterin der Grimm-Welt. Was das ist, können Besucher künftig in Kassel erleben.

Susanne Völker im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.09.2015
    Leuchtende Buchstaben markieren Ausstellungsbereiche in der "GRIMMWELT" in Kassel
    Museums-Leiterin Susanne Völker: "Ich habe kein Lieblingsmärchen." (dpa / picture alliance / Swen Pförtner)
    Christoph Heinemann: Es war einmal, so beginnt es häufig. Das neue Erlebnismuseum Grimm-Welt öffnet heute in Kassel. Dort haben die beiden Brüder studiert und dort begannen sie, Märchen und Sagen zu sammeln.
    Die Stadt beschreibt das pädagogische Ziel des Museums wie folgt: "Das Wirken der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm soll in seiner ganzen Breite dargestellt und zudem gezeigt werden, dass Bildung und Spaß miteinander zu vereinbaren sind." Vor der Sendung habe ich Susanne Völker, die Leiterin der Grimm-Welt, gefragt, wie die Grimms in Kassel vorgestellt werden.
    Susanne Völker: Die Brüder Grimm sind weltweit bekannt für ihre Märchensammlung. Auf allen Kontinenten werden sie gelesen. Aber das war bei Weitem nicht alles, was Jacob und Wilhelm Grimm geleistet haben.
    Sie waren Sprachforscher, sie waren Kulturforscher, sie waren zwei der berühmten Göttinger sieben. Jacob Grimm war Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung von 1848, also des ersten verfassungsgebenden Parlamentes, und so gibt es sehr, sehr viel zu entdecken über die Brüder Grimm, viele Aha-Erlebnisse zu entdecken. Und dieses ganze Wissen, was vielleicht gar nicht jedem so bewusst ist, das lässt sich natürlich ähnlich wie in der Schule sehr trocken vermitteln, oder aber, wie es mittlerweile ja auch im schulpädagogischen Bereich inzwischen Gang und Gebe ist, auf eine spielerische eigenmotivierte Art und Weise, sodass die Besucherinnen und Besucher der Grimm-Welt Lust haben, sich selbst mit den Themen und mit den Inhalten auseinanderzusetzen.
    Heinemann: Und wie genau geht das?
    Völker: Das kann natürlich nur funktionieren, wenn unterschiedliche Vermittlungsangebote angeboten werden und unterschiedliche Ebenen angesprochen werden.
    Interaktive und mulitmediale Angebote
    Heinemann: Und welche sprechen Sie an in dem Museum?
    Völker: So gibt es wertvolle Originalobjekte, die zum Teil noch nie der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Aber es gibt auch historische Kunst aus der Zeit der Grimms. Es gibt zeitgenössische Kunst von Künstlern, die sich jetzt für die Entstehung der Grimm-Welt mit dem Werk und Wirken der Grimms auseinandergesetzt haben, Kunstwerke geschaffen haben. Und es gibt auch interaktive und multimediale Angebote.
    Heinemann: Wie erleben Besucher den Spaßansatz?
    Völker: Die Grimm-Welt hat sich zur Aufgabe gemacht, immer sehr nahbare Angebote zu schaffen und häufig die Brücke in die eigene Lebenswirklichkeit zu schaffen. So gab es zum Beispiel ein Projekt mit Schulklassen, die Aufsätze darüber geschrieben haben, was es für sie heißt, vom Weg abgekommen zu sein, die Geschichte von Rotkäppchen sozusagen in die eigene Lebenswirklichkeit zu übertragen.
    Aber es gibt auch Bereiche, da kann man in der Dornenhecke verschwinden, es wird einem etwas zugeflüstert, man kann Dinge entdecken, man kann mit den sieben Zwergen an einem Tisch sitzen, man kann in das Haus der Großmutter von Rotkäppchen kommen, oder den Spiegel befragen, wer denn die Schönste im ganzen Land sei.
    Mit den eigenen Assoziationen beschäftigen
    Heinemann: Frau Völker, wozu benötigen wir ein Museum, wenn man die Märchensammlung der Brüder Grimm doch lesen oder vorlesen kann?
    Völker: Es ist ganz interessant, dass in der allerersten Ausgabe der Sammlung der Kinder- und Hausmärchen der reine Text völlig ohne Illustrationen erschienen ist, und das war im ersten Anlauf tatsächlich kein Verkaufsschlager.
    Erst als es erste Illustrationen und Abbildungen gab, hat sich die Märchensammlung durchgesetzt, und mittlerweile haben wir eine ganze Flut und Fülle von Bildern und mittlerweile ja auch Märchenverfilmungen. Und diese Bilder, die entsprechen natürlich auch unseren inneren Bildern. Jeder hat sich eine Vorstellung gemacht, wie Rotkäppchen aussieht, wie Rumpelstilzchen aussehen könnte. Wir neigen sehr dazu, diese sehr bunten und lebhaften Erzählungen auch vor unserem inneren Auge zu verbildlichen, und die Grimm-Welt schafft Angebote, sich mit den eigenen Bildern, aber auch mit den Assoziationen von Künstlerinnen und Künstlern sowohl im historischen Sinne, als auch der Jetztzeit zu beschäftigen.
    Vom Buch zum Ausstellungsangebot
    Heinemann: Mit dem Ziel: durchs Museum zum Buch?
    Völker: Die Vermittlung von Literatur in Museen und Ausstellungen steht natürlich immer vor ganz eigenen Herausforderungen, weil das geschriebene Wort sich scheinbar auf den ersten Blick nicht so richtig für Ausstellungen eignet, und deshalb geht es immer darum, eine Brücke zu schlagen zwischen dem Inhalt und dem, was vermittelt werden soll in dem Inhalt. Insofern ist es tatsächlich so, dass es eine Brücke ist vom Buch in eine Ausstellungsarchitektur, in ein Ausstellungsangebot, und über diese Oberfläche, wenn ich das mal so nennen kann, der gestalteten Ausstellung der Weg zurück in den Text, in die Sprachforschung, in die Kulturforschung und auch in die Märchen der Brüder Grimm.
    Heinemann: Welches Märchen mögen Sie am liebsten?
    Völker: Oh, das ist eine Frage, die mir sehr schwerfällt zu beantworten, weil ich, ehrlich gesagt, kein wirkliches Lieblingsmärchen habe. Aber mir gefallen Märchen besonders gut, in denen ein Held oder eine Heldin durch Klugheit, durch Geschick, durch List, durch Eigeninitiative eine schwierige Situation überwindet.
    Heinemann: Susanne Völker, die Leiterin der Grimm-Welt, die heute in Kassel öffnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.