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Grönland
Deutscher Braumeister im ewigen Eis

Grönland ist ungefähr sechs Mal so groß wie Deutschland, hat aber nur 56.000 Einwohner. In der Hauptstadt Nuuk zwischen bunten Holzhäusern und modernen Zweckbauten steht das Godthaab Bryghus, das "Brauhaus der Guten Hoffnung". Und ihr Braumeister ist ein Hesse aus Eschwege.

Von Michael Marek und Sven Weniger | 06.04.2015
    Ein Eisberg in Süd-West-Grönland im August 2014.
    Grönland hat nur 56.000 Einwohner - und eine Brauerei mit Bier nach deutschem Reinheitsgebot. (picture-alliance / dpa / Albert Nieboer)
    Nuuk, im Südwesten Grönlands: 16.000 Einwohner leben in der Hauptstadt. Hier, in einem orangefarbigen Holzhaus, residiert die einzige Brauerei Grönlands:
    "Ich bin im Mai hier gestartet, bei fünf Meter Schnee. Das war schon ein bisschen hart, die Wetterumstellung. Man fragt sich, ob das das ganze Jahr so ist."
    Nein, sein Bier kühl und damit frisch zu halten, darüber muss sich Braumeister Jörg Sennhenn keine Gedanken machen. Und das nicht nur im Winter. Fast das ganze Jahr hindurch zieht draußen am Godthaab Bryghus ein schneidender Wind vorbei. Durch die Bucht, ein paar Straßen weiter, treiben Eisberge träge dem Meer entgegen. Sennhenn ist verantwortlich dafür, dass die größte Insel der Erde mit Gerstensaft versorgt wird. Der 52-jährige Hesse aus Eschwege braut Bier auf Grönland.
    "Es gibt so spezielle Seiten im Internet für Brauer. Und da hab ich halt mal gesurft. Und ich habe da einiges angeschrieben, darunter war auch Grönland. Und da kam eine positive Resonanz. Und da hab ich gesagt: ja, warum nicht".
    Jörg Sennhenn ist eine robuste Erscheinung: mittelgroß, dunkle Brille, dunkle Fleece-Jacke, dunkles Kurzhaar, Tattoos, Ohrringe. Er führt durch seine moderne Brauanlage, auf die er sichtlich stolz ist:
    "Das kommt aus Deutschland. Die Brauerei besteht seit 2006 und wurde damals hierher gebracht, auch die Brauanlage. Das ist alles kompatibel miteinander, fantastische Tanks. Das sind ZKGs, zylindrokonische Tanks. Ich mache meine Hauptgärung und meine Storage Time in einem Tank."
    Eine genaue Vorstellung davon, was ihn erwarten würde, hatte er nicht, als er 2010 am Polarkreis ankam. Ein Land, sechs Mal so groß wie Deutschland, davon mehr als 80 Prozent eisbedeckt, mit gerade mal 56.000 Einwohnern, ein Drittel davon allein in der Hauptstadt Nuuk. Dort, im kleinen Ortszentrum mit seiner Fußgängerzone, dem Mix aus farbigen Holzhäusern und modernen Zweckbauten, dem neuen Shoppingcenter und heruntergekommenen Plattenbauten, steht das "Brauhaus der Guten Hoffnung", wie es auf Dänisch heißt:
    "Die Leute, die haben nicht viel Gastronomie hier. Und was wir hier haben, das wird halt genutzt. Und zum Wochenende sind die Gaststätten hier auch alle belegt. Und das ist Sommer wie Winter, das macht keinen Unterschied."
    Sennhenn war überrascht von Nuuk. Das kleine Städtchen war nicht das Ende der Welt, kein Ort, an dem sich die Polarfüchse gute Nacht sagten. Nuuk, obwohl nur wenige Quadratkilometer groß, bündelt das gesellschaftliche Leben eines ganzen Landes.
    Grönland gehört zwar politisch noch zum weit entfernten Dänemark, verwaltet sich aber längst weitgehend autonom und pflegt mit grönländisch eine eigene Sprache. Nuuk hat ein hochmodernes Kulturzentrum, vom Staat geförderte Kunsthandwerkstätten und eine eigene Musik- und Kneipenszene. Und hier wird zu grönländischen Rockklängen selbstverständlich auch grönländisches Bier getrunken.
    Die Pubs sind abends stets gut besucht. Dabei spielt es keine Rolle, ob draußen im arktischen Winter minus 25 Grad herrschen oder heimelige plus 15 wie im Sommer. Die Grönländer sind trinkfeste Allwetternaturen. Und auch die Bierqualität kann sich sehen lassen. Um den Standard zu gewährleisten, muss Sennhenn aber weit im Voraus planen. Obwohl Grönland vor den Toren Kanadas liegt, kommen alle Waren aus Dänemark und der EU, das schreibt die Politik vor. Und der Seeweg über den Atlantik ist weit:
    "Der Standard, den wir haben, ist derselbe wie in Deutschland. Natürlich die Probleme, das sind logistische Probleme. Man muss halt gewisse Sachen acht Wochen vorher bestellen, oder im Winter kommt kein Schiff. Das muss man alles einkalkulieren, damit man auch jede Woche brauen kann. Hopfen, Malz, Hefe, das ist das Wichtigste, was ich brauche, da muss ich immer genug auf Lager haben. Im Moment habe ich gerade noch 17 Tonnen, da sollten bald wieder zehn Tonnen kommen aus Deutschland. Weil wir verwenden nur Malz aus Deutschland."
    Das deutsche Reinheitsgebot, es gilt auch am Polarkreis. Zu den Rennern in den Restaurants und Kneipen, die der Brauerei mittels unterirdischer Bier-Pipelines direkt angeschlossen sind, gehören Sorten wie Münchener Dunkel und Märzen. Beide werden nach bayrischer Brauordnung hergestellt. Darüber hinaus begann Sennhenn, zu experimentieren – mit Zutaten von der Insel selbst:
    "Wobei ich sagen muss, dass wir jetzt auch eine Sorte gemacht haben speziell für Grönland mit Ingredienzen von hier. Wir haben die Schwarzbeeren benutzt, und mit Grönlands Thymian haben wir eine Sorte gemacht. Der Beerengeschmack, man merkt schon, das da was drin ist, es sollte aber nur ein kleiner Hauch sein. Das ist genauso bei Thymian, es darf nicht einlastig sein. Man sollte schmecken, dass es drin ist, aber nicht zuviel, das ist sehr wichtig. Wir haben das im kleinen Versuch gemacht, das hat sich dann schon über sechs Wochen hingezogen, um das Endresultat zu sehen. Und dann haben wir das im Großen gemacht."
    Herausgekommen sind Eigenkreationen wie Amaroq, ein Lager benannt nach dem Inuit-Begriff für den Polarwolf Qimuttoq. Es gibt ein Pilsener mit dem Emblem des grönländischen Schlittenhundes und Moskusbajer, ein Bockbier. Mit einem Alkoholgehalt von sieben Prozent ist es fast so stark wie der in den menschenleeren Küstentälern Grönlands weitverbreitete Moschusochse. Grönländische Biere haben also eine eigene Identität. Werbung muss die Brauerei nicht machen für ihre Produkte. Nicht nur in der Hauptstadt Nuuk spricht sich alles in Windeseile herum.
    "Die Grönländer bevorzugen dunkle Sorten Bier mit malzigem Geschmack, das ist der Unterschied. Es schmeckt halt etwas vollmundiger. Wir machen auch nur eine kleine Filtration hier, in Deutschland wird wegen der Haltbarkeit intensive Filtration betrieben. Das brauchen wir hier nicht. Und dadurch kommt auch ein bisschen mehr Vollmundigkeit heraus."
    Die Jahresproduktion der einzigen Großbrauerei Grönlands bleibt überschaubar, exportiert werden Grönlands Biere nicht.
    "Im Moment läuft es raus bei 2500 Hektoliter. Die Produktion Flaschen ist nur ein Teil. Das füllt die Firma Carlsberg ab, weil wir haben hier keine Flaschenfüllanlage. Dann geht einiges an die Küste, an die großen Hotels. Dann haben wir hier die Stadt, das meiste geht natürlich hier im Haus."
    Kein Brauereibesuch ohne Verkostung. Zum Schluss seiner Führung lädt Jörg Sennhenn seine Gäste dazu ein, seine neueste Kreation zu probieren.
    "Wir machen mal einen kleinen Biertest. Wir zapfen den Kapisilik an, der kommt nächste Woche an die Taps. Und das ist eine ganz neue Sorte, den testest du als Erstes, außer mir. Kapisilik bedeutet soviel wie Lachs, die Farbe ist golden. Ich wollte ein Bier kreieren, was ein bisschen hopfiger ist im Abgang. Und ich hoffe, ich hab das hingekriegt. Das ist ein Saisonbier, und dann schauen wir mal, was passiert."