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"Größte Problem ist die Rückgewinnung von Glaubwürdigkeit"

Die FDP sinniert über die Führungsspitze und will sich neu aufstellen. Nach Angaben von Politikwissenschaftler Wichard Woyke kommt dies zu spät, die Partei hätte den Wechsel schon Anfang des Jahres machen müssen.

Wichard Woyke im Gespräch mit Christian Bremkamp | 02.04.2011
    Christian Bremkamp: Eine Partei im Richtungsstreit, auf der Suche nach sich selbst und vor allem nach dem passenden Personal für die Zukunft. Nach den Wahldebakeln in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz liegen bei den Freidemokraten die Nerven blank, und der Chef, Guido Westerwelle, gerät immer stärker unter Druck. Wohin steuert die FDP? Darüber möchte ich jetzt mit dem Parteienforscher Wichard Woyke von der Universität Münster sprechen. Guten Morgen, Herr Woyke!

    Wichard Woyke: Guten Morgen, Herr Bremkamp!

    Bremkamp: In der kleinen O-Ton-Collage hörten wir zuletzt den ehemaligen Parteichef Wolfgang Gerhardt: "Jetzt müssen die Jüngeren ran", war seine Botschaft. Ist das so?

    Woyke: Ich denke schon, dass die FDP ja in einer Situation ist, in der man sich programmatisch und personell neu aufstellen will. Und wenn Sie die Generation nach Westerwelle anschauen, dann fehlen vielleicht politisch gesehen die etwa so 38- bis 45-Jährigen, die einwandfrei sozusagen nahtlos für ihn in die Führungsposition könnten – da kommt schon eine viel jüngere Generation der Bahrs und der Lindners, die Anfang 30 ist. Ob das allerdings günstig für die FDP auf Dauer ist, weiß ich nicht, oder ob man nicht vielleicht doch erst einmal mit einer Übergangslösung wird leben können müssen.

    Bremkamp: Die Bahrs, die Lindners, die Sie gerade angesprochen haben, sind das nicht alles Personen, die Guido Westerwelle doch eigentlich sehr ähnlich sind?

    Woyke: Na ja, dafür kenne ich sie zu wenig, um sie vergleichen zu können in dem Sinne, dass ich sagen kann, die sind ähnlich. Zumindest was die Darstellung angeht, unterscheiden sie sich ja doch sehr eben vom jetzigen Parteivorsitzenden ...

    Bremkamp: In welchem Bereich?

    Woyke: Ja, wenn Sie daran denken, wie kritisch Herr Lindner beispielsweise und nachdenklich in der Öffentlichkeit aufgetreten ist in bestimmten Themen, das haben wir bei Westerwelle nicht kennengelernt, sondern bei Westerwelle war immer etwas alles zu schrill und zu laut und für mich manchmal auch nicht ganz seriös. Also wenn ich an den Containerbesuch denke, wenn ich an die 18 Prozent unter den Schuhsohlen denke und so etwas, das, denke ich, werden Sie bei Herrn Lindner nicht finden, sodass jetzt die FDP vor ihrem größten Problem steht, und das größte Problem ist Rückgewinnung von Glaubwürdigkeit.

    Bremkamp: Glauben Sie denn überhaupt, dass Guido Westerwelle schon bald den Weg freimachen wird für einen Nachfolger an der Parteispitze?

    Woyke: Ich denke, dass bis zum Parteitag im Mai in Rostock Westerwelle wahrscheinlich gar keine andere Chance haben wird, als ...

    Bremkamp: Schon am Montag?

    Woyke: ... anzutreten. Das könnte sogar sich auf den Montag zuspitzen, da müssen wir dieses Wochenende abwarten, was sich sowohl innerparteilich als auch medial tut, denn das ist in der Tat eine ganz, ganz wesentliche Funktion, die hier einwirkt auf die innere Entwicklung in der FDP.

    Bremkamp: Aber die Frage ist doch, kommt dieser Wechsel noch rechtzeitig, um den Niedergang zu stoppen, oder ist es nicht eigentlich schon zu spät?

    Woyke: Eigentlich ist es in meinem Verständnis zu spät, man hätte dieses schon Anfang des Jahres machen müssen, nach dem Dreikönigstreffen – da wurde ja auch spekuliert, ob man das nicht hätte zu dem Zeitpunkt eben schon ankündigen können. Und dann hieß es, man wollte diese drei Landtagswahlen abwarten, wie sie eben sich auswirken. Und ich denke aber, die FDP ist in solch einer Situation, in der ja teilweise bei einigen schon Panik ausgebrochen ist, denn rational können sie ja nicht erklären, dass die FDP eine Partei war, die sich vor einem halben Jahr noch für die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken ausgesprochen hat und wo jetzt der Generalsekretär Lindner in dieser Woche eine Wende um 180 Grad machte und davon sprach, dass die wichtigsten ältesten acht Meiler eben abgeschaltet werden sollen. Das kommt natürlich nicht über, das ist nicht glaubwürdig, sondern ein neues Programm mit neuen Leuten muss vorbereitet werden.

    Bremkamp: Waren die möglichen Nachfolger, die Jüngeren, möglicherweise bisher zu feige?

    Woyke: Ich möchte das nicht mit feige bezeichnen, aber es lief ja im Schatten des großen Vorsitzenden, der ja auch wenig Arbeitsaufträge nach außen geteilt hat, ganz gut, und alle haben ja mitgemacht. Und man hätte ja, wenn man das wirklich gewollt hätte, hätte man in auch dieser von Guido Westerwelle dominierten Partei sich tatsächlich eben einen Bereich herausnehmen können, indem man sozusagen der Konzeptionssprecher, der Konzeptsprecher der Partei gewesen wäre und die Partei auch neben dem Vorsitzenden nach außen vertreten hätte. Das ist aber nicht geschehen, das wäre meines Erachtens durchaus möglich gewesen.

    Bremkamp: Von einem Neustart zu sprechen, hört sich vielleicht gut an, aber weiß die Partei überhaupt, wo sie hin will?

    Woyke: Nein, ich denke, das muss auch auf dem Parteitag und in einer innerparteilichen Diskussion noch debattiert werden, denn es ist ja nicht so, dass hier jetzt neue Köpfe kommen können und diese neuen Köpfe schon sagen, wir wollen das so machen. Ich habe gerade Herrn Lindner angesprochen, mit der Wende in der Energiepolitik, die muss ja innerhalb der Partei eben auch akzeptiert werden, und die ersten Reaktionen lassen ja erkennen, dass nicht alle in diese Richtung innerhalb der Partei marschieren wollen.

    Bremkamp: Welche Themenfelder gibt es denn noch, die die FDP besetzen könnte, die nicht schon von anderen Parteien besetzt sind?

    Woyke: Wir haben so viel Themen, die eigentlich auf der Hand liegen. Der Klassiker ist nach wie vor die Bildungspolitik, wo hier die FDP ziemlich in den Hintergrund getreten ist. Aber ein weiteres liberales Feld auch in der Geschichte gewesen ist immer die Freiheit des Bürgers. Angesichts der elektronischen Vernetzung liegen so viele Themen dazu auf der Hand, dass sich hier die Liberalen eigentlich tummeln könnten und dem Bürger eben eigentlich gute Angebote machen könnten. Die Wirtschaftspolitik ist ein weiteres Thema. Es ist in den letzten Wochen und Monaten seit der Regierungsübernahme in Berlin eben darauf reduziert worden, dass die FDP eigentlich nur als Steuersenkungspartei wahrgenommen wurde, und wenn sie da versagen, dann haben sie schlechte Karten.

    Bremkamp: Freiheit des Bürgers haben Sie angeführt, sollte da nicht vielleicht eher Frau Leutheusser-Schnarrenberger an die Spitze der Partei rücken?

    Woyke: Sie wäre in meinem Verständnis eine denkbare Übergangskandidatin, aber ob sie eben tatsächlich auch von allen Parteimitgliedern oder den meisten Parteimitgliedern oder Delegierten auf dem Parteitag eben eine derartig große Unterstützung bekäme, das kann ich mir im Augenblick nicht vorstellen. Denkbarer wäre in meinem Verständnis als Übergangskandidat Herr Solms.

    Bremkamp: Und was würde das als Symbol bedeuten?

    Woyke: Na, dies würde zumindest bedeuten eine innerparteiliche Befriedung und der Versuch eines Neuanfangs, der aber nicht auf dem Rostocker Parteitag sofort nach außen dokumentiert werden kann, sondern wo man nach außen, wenn man in der Stellvertretertruppe von Herrn Solms beispielsweise die drei jungen Leute Rösler, Bahr und Lindner nehmen würde, wo man dann dokumentieren könnte, bis zum nächsten Parteitag, wo Wahlen sein werden, in zwei Jahren, da werden wir programmatisch so weit sein, dass wir ein neues Programm verabschieden können, dass wir mit neuen, jungen, unverbrauchten Leuten nach außen gehen können. Und dies hielte ich für eine denkbare Lösung.

    Bremkamp: Einschätzungen des Parteienforschers und FDP-Kenners Wichard Woyke. Danke schön!

    Woyke: Gern!